Gegen die gesellschaftlichen Zwänge

Von Anette Schneider · 21.05.2006
Männer machen Kunst, Frauen dilletieren - lange Zeit war das allgemeingültige Vorstellung. Die Hamburger Kunsthalle rückt dieses Bild nun zurecht: Die Ausstellung "Malerinnen der Avantgarde - Künstlerinnen in Hamburg zwischen 1890 und 1933" stellt sieben Künstlerinnen vor, die zu ihren Lebzeiten bekannt und oft sehr erfolgreich waren, später aber aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwanden.
Geranien, Rhododendron, Goldlack, Primeln - ausgerechnet mit Blumenbildern eröffnet die Ausstellung. Molly und Helene Cramer malten sie in den 1890er Jahren in leicht impressionistischer Manier, womit jedes Vorurteil bestätigt scheint: Wenn damals Frauen malen, dann Blumen. - Doch Ulrich Luckhardt, der die Ausstellung organisierte, weiß:

"Die beiden Schwestern Cramer haben sich vehement gegen den Vorwurf gewehrt, sie würden 'niedliche Damenmalerei' machen und sie haben sich auch dagegen gewehrt, Dilletantinnen zu sein."

Dilletantinnen waren sie wirklich nicht: Geboren 1844 und 1852, mussten sie auf ihre künstlerische Ausbildung zwar warten, bis ihr Vater gestorben war, denn der hatte sie ihnen verboten, dann aber lernten die Bürgerstöchter bei den berühmtesten holländischen Blumenmalern und hatten mit ihren Bildern schnell Erfolg.
Dennoch wurde ihr Werk nach ihrem Tod vergessen.

"Das ist eine Frage der ästhetischen Entwicklung der Kunst überhaupt: Die beiden Schwestern Helene und Molly Cramer, die an allen großen Ausstellungen im In- und Ausland teilgenommen haben - dieser realistische Impressionismus, den sie gepflegt haben, der um 1900 sehr modern war und dann aber durch die Entwicklung in der Kunst - Brücke, Expressionismus - in Vergessenheit geriet - dass diese Künstlerinnen einfach mit ihrer Malerei dann nicht mehr interessierten."

In sieben Kabinetten stellt Ulrich Luckhardt sieben Malerinnen aus Hamburg vor, die zwischen 1890 und 1933 arbeiteten und später aus dem Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit verschwanden.

Alle sieben stammten aus gutbürgerlichen Verhältnissen und mussten sich ihre Ausbildung mühsam erkämpfen: Gegen den Widerstand der Familie und den der Gesellschaft. Weil ihnen Kunstakademien verwehrt waren nahmen sie Privatunterricht in Künstlerateliers - natürlich ohne Aktmalerei. Erst als die fortschrittliche Kunstschule "Aleska Röver" eröffnete, änderte sich das.

Nicht änderten sich die gesellschaftlichen Zwänge: die 1866 geborene Mary Warburg etwa war vor ihrer Ehe mit dem Kulturwissenschaftler Aby Warburg viel gereist, hatte in Paris gelebt und ausgestellt. Zu sehen sind kleinformatige Aquarelle und Pastelle die Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre entstanden: lichte impressionistische Sommerszenerien und Landschaftsansichten, in dichter Atmosphäre souverän auf's Papier gebracht. In den ersten Jahren nach ihrer Heirat 1897 folgen noch einige Skizzen ihrer drei Kinder - dann bricht das Werk ab.

"Mary Warburg ist ein Beispiel für eine Künstlerin, die einfach an den gesellschaftlichen Gegebenheiten scheitert. Sie kam in dieser Situation - Familie, Ehefrau, Mutter und der dazukommenden Situation eines schwierigen, häufig kranken Mannes - überhaupt nicht mehr dazu, sich ihrer künstlerischen Entwicklung zu widmen. Also das, was wir heute zeigen, ist eigentlich ein Fragment einer Künstlerin, die am Rande der Avantgarde stand, aber eigentlich den Schritt dorthin nicht wirklich geschafft hat."

Alle Frauen zahlten für ihren Kampf um ein Künstlerinnendasein einen hohen Preis: Fünf der sieben verzichteten lieber auf ein Ehe- und Familienleben. Die beiden, die versuchten, Familie und Beruf miteinander zu verbinden, scheiterten damit. Neben Mary Warburg war dies Elena Luksch-Makowsky, die von St. Petersburg über Wien nach Hamburg kam: Sie hatte im Atelier von Ilja Repin gelernt, an der Kunstakademie studiert - in Russland war dies möglich - und schuf Reliefs und Skulpturen im Jugendstil.

Nach ihrer Hochzeit zog sie nach Wien, wo sie 1901 als erste Frau mit der Wiener Secession ausstellte. 1907 kam sie mit ihrem Mann nach Hamburg. Mittlerweile hatte sie Kinder. Wie die Familie ihr die Kraft für ihre Arbeit entzog, zeigt sie in ihrem Hauptwerk, einer zwei Meter hohen Keramikskulptur, die in der Ausstellung zu sehen ist: eine hockende Frau fasst sich da mit entsetzt-irrem Blick in ihre aufgelösten langen Haare, während ihr etliche Kinder zwischen den Beinen herumkriechen. Titel der 1911 entstandenen Arbeit: Frauenschicksal. - Zwar arbeitete Elena Luksch-Makowsky noch jahrzehntelang weiter, allerdings kraftlos, ohne Neues zu entwickeln.

Ganz anders das Trio Alma del Banco, Gretchen Wohlwill und Anita Ree. 1919 gehören sie zu den Mitbegründerinnen der Künstlervereinigung "Hamburgische Sezession", reisen nach Paris und lernen dort die Moderne kennen, die sie alle auf ihre Weise nutzen. Die eigenwilligste der drei ist Anita Ree. Sie hatte im Atelier von Fernand Leger gelernt und zerlegt in den frühen 20er Jahren Landschaftsansichten und Gesichter in Kuben und Quadrate. Später arbeitet sie im Stil der Neuen Sachlichkeit, es entstehen strenge, klare Porträts von Freunden und von ihrer Geliebten.

Während Gretchen Wohlwill, die bei Matisse gelernt hatte, kaum von ihrer Arbeit leben kann, erhält Anita Ree repräsentative Aufträge für öffentliche Gebäude - Bilder, die 1933 von den Nationalsozialisten zerstört werden, denn Anita Ree, wie auch Alma del Banco und Gretchen Wohlwill waren jüdischen Glaubens. Genau deshalb gerieten sie auch in Vergessenheit.

"Anita Ree, psychisch sehr labil und depressiv, nahm sich 1933 das Leben. Gretchen Wohlwill emigrierte nach Lissabon und Alma del Banco blieb in Hamburg und erhielt 1943 den Deportationsbescheid und hat sich daraufhin das Leben genommen."

Sieben Malerinnen, sieben Kämpfe um ein Leben nach eigenen Vorstellungen, sieben unterschiedlichste künstlerische Werke - dies aus den Depots gehoben zu haben und mit einer Ausstellung vor dem Vergessen zu bewahren ist in Zeiten umso wichtiger, in denen Politiker und Politkerinnen einmal wieder Frauen das Kinderkriegen - und damit ein Dasein als Hausfrau, Mutter und Teilzeitarbeitskraft - schmackhaft machen wollen.


Service:

Die Ausstellung "Künstlerinnen der Avantgarde in Hamburg zwischen 1890 und 1933" in der Hamburger Kunsthalle ist bis zum 20. August 2006 zu sehen.