Gefühlte Geschichte
Im Frühsommer 1908 wurde der Neubau des Märkischen Provinzial Museums feierlich eröffnet. Es ist ein Museum, das die Geschichte von Berlin und Brandenburg zeigt. Zum 100. Jubiläum soll ein virtueller Rundgang durch das Museum an diesen Anfang erinnern.
Der Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann war kaum im Amt, als er das Märkische Museum am Köllnischen Park zu planen begann. Es dauerte über zehn Jahre, bis das Gebäude eröffnet werden konnte. Es wurde ein ganz besonderer Bau, der sich an historischen Vorbildern der Mark orientiert.
Kurt Winkler, Kurator der Ausstellung: "Man hat in den zeitgenössischen Besprechungen von dem agglomerierten Museumsgebäude gesprochen, ein schreckliches Wort, gemeint war damit, dass dieses Gebäude eben nicht in Toto nun neobarock oder neogotisch oder so etwas gewesen wäre, sondern eigentlich eine Zusammenstellung, eine Architekturcollage von einzelnen Gebäudeteilen, die in sich jeweils historische Vorbilder zitieren."
Ein Stück Burg, etwas Rathaus und dazu ein gotischer Kirchengiebel, ein bisschen Disneyland auf der altehrwürdigen Fischerinsel, dem historischen Herz von Berlin. Innen war es eine maßgeschneiderte Museumsarchitektur, die Räume sollten zu den ausgestellten Exponaten passen. Kurz nach der Eröffnung hat Hoffmanns Leibfotograf Ernst von Brauchitsch das Haus und die Sammlung umfassend dokumentiert. Es sind wunderbare Fotos – in braunen Tönen mit diffusem Licht – die uns zeigen, wie es damals war.
Franziska Nentwig, Direktorin der Stiftung Stadtmuseum Berlin: "Die Bilder dokumentieren den Zeitpunkt der Eröffnung des Museums, und sie sind damit praktisch auch ein Beleg des konzeptionellen Ansatzes vom damaligen Stadtbaudirektor Ludwig Hoffmann, der nicht nur der Entwerfer der Bauhülle ist, sondern in besonderer Weise eigentlich auch das Innere des Museums, die Objekte mit dem Bau in eine Einheit zu bringen versucht."
Das gehörte zum Zeitgeist. Das Germanische Museums in Nürnberg oder das Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel, das vier Jahre zuvor eröffnet wurde, folgten dem gleichen Prinzip. Museumskurator Kurt Winkler.
Kurt Winkler: "Da gab es zum Beispiel einen Raum, der Rechtspflege hieß. Im Volksmund wurde das sofort Folterkammer genannt, da gab es dann Richtbeile und solche schrecklichen Dinge, oder es gab prähistorische Räume, eine gotische Kapelle, oder es gab eine Waffenhalle mit Rüstungen und Harnischen und Schwertern und solchen Dingen. Es war eigentlich so eine Art Eintauchen in die Geschichte, mit verschiedenen Erlebnisqualitäten. Das Hindurchgehen durch diese Räume geschah gar nicht so sehr in einem chronologischen Sinn, sondern war so eine Art Flanieren in der Geschichte und so eigentlich auch ein Flanieren im Gefühl des Historischen, mit seinen unterschiedlichen Stimmungs¬werten."
Das Märkische Museum war ein Museum von unten, eine echte Bürger¬initiative, das dem Selbstverständnis einer aufstrebenden Klasse diente.
Kurt Winkler: "Da haben eben die Berliner und die Märker das dem Museum geschenkt, von dem sie selbst glaubten, dass es ihre eigene Geschichte erzählt, das reichte dann von volkskundlichen Beständen bis hin zu Dingen so aus dem Industrie- und Gewerbeleben, bestimmte Gegenstände, die so im Zunftleben eine Rolle gespielt haben, Memorabilien aller Art, aber es sind eben auch hoch bedeutende Stücke darunter, beispielsweise ein Teilnachlass von Theodor Fontane mit dem Originalmanuskript von ‚Effi Briest‘, und es sind eben auch hoch bedeutende Kunstwerke darunter gewesen."
Die Kollegen von der benachbarten Museumsinsel haben arrogant die Nase gerümpft. Wilhelm von Bode nannte die Sammlung kurzerhand eine Rumpelkammer. Doch in Wahrheit war es eine Arche Noah für Kunst und Krempel der vergangenen Tage. Berlin wuchs und wuchs, und mit der Veränderung wuchs auch die Sehnsucht nach der alten Zeit. Wenigstens an einer Stelle wollte die neu erwachte Metropole etwas Ruhe haben und von ihrer Kindheit träumen, und das Märkische Museum setzte alles daran, diesen Traum mit musealen Mitteln in Szene zu setzen.
Tempi Passati. Die Stimmungsbilder von 1908 sind nur eine schöne Momentaufnahme. Das Museumskonzept von damals geriet schnell an seine Grenzen, weil es die Geschichte in eine Konservendose steckte und nicht in der Lage war, die Zeitgeschichte zu begleiten. Und das ausgerechnet in der Metropole Berlin, die verdammt ist, ewig zu werden und niemals zu sein, wie es Stadtchronist Karl Scheffler behauptet hat. Schon in den Zwischenkriegsjahren wirkte das Museumskonzept reichlich antiquiert. Und so bleibt viel zu tun, das weiß auch Franziska Nentwig, die in der Stiftung Stadtmuseum Berlin auch für das Märkische Museum verantwortlich ist.
Franziska Nentwig: "Das Museum hat sich in den vergangenen hundert Jahren immer wieder neu erfinden müssen, um einfach seinen Platz auch hier in Berlin zu behalten. Was sind nun die Zukunftsperspektiven? Wir möchten gerne im Märkischen Museum im Verbund mit unserem Neubau, der direkt benachbart ist, eine neue Berlinausstellung inszenieren, die einen Überblick gibt über die Grundlagen der Stadtwerdung, bis hin aber auch zur Gegenwart. Und wir wollen auch nicht davor zurückschrecken zu fragen, vor welchen Herausforderungen wird Berlin in der Zukunft stehen? Aber das Hofmannsche Prinzip, dass man also ein Objekt präsentiert und der Besucher daran eine Emotion ableitet und sich stimmungsmäßig inspirieren lässt, das wird nicht ganz reichen. Wir müssen also mehr machen, wir müssen auch klare Botschaften vermitteln. Und da gehört noch ein bisschen mehr dazu als Architektur und Raum. Wir müssen also auch eine Atmosphäre bestimmen, und wir müssen auch unsere Aufgabe der Wissensvermittlung möglichst spannend erfüllen."
Vielleicht entsteht rund um den Köllnischen Park ja eine zweite kleine Museumsinsel, ein kompetentes Refugium für die Metropole Berlin, das der Präsentation der Weltkultur jenseits der Spree mit dem nötigen Selbstbewusstsein Paroli bietet. Für die Berliner und ihre Besucher wäre das sicher ein Gewinn.
Kurt Winkler, Kurator der Ausstellung: "Man hat in den zeitgenössischen Besprechungen von dem agglomerierten Museumsgebäude gesprochen, ein schreckliches Wort, gemeint war damit, dass dieses Gebäude eben nicht in Toto nun neobarock oder neogotisch oder so etwas gewesen wäre, sondern eigentlich eine Zusammenstellung, eine Architekturcollage von einzelnen Gebäudeteilen, die in sich jeweils historische Vorbilder zitieren."
Ein Stück Burg, etwas Rathaus und dazu ein gotischer Kirchengiebel, ein bisschen Disneyland auf der altehrwürdigen Fischerinsel, dem historischen Herz von Berlin. Innen war es eine maßgeschneiderte Museumsarchitektur, die Räume sollten zu den ausgestellten Exponaten passen. Kurz nach der Eröffnung hat Hoffmanns Leibfotograf Ernst von Brauchitsch das Haus und die Sammlung umfassend dokumentiert. Es sind wunderbare Fotos – in braunen Tönen mit diffusem Licht – die uns zeigen, wie es damals war.
Franziska Nentwig, Direktorin der Stiftung Stadtmuseum Berlin: "Die Bilder dokumentieren den Zeitpunkt der Eröffnung des Museums, und sie sind damit praktisch auch ein Beleg des konzeptionellen Ansatzes vom damaligen Stadtbaudirektor Ludwig Hoffmann, der nicht nur der Entwerfer der Bauhülle ist, sondern in besonderer Weise eigentlich auch das Innere des Museums, die Objekte mit dem Bau in eine Einheit zu bringen versucht."
Das gehörte zum Zeitgeist. Das Germanische Museums in Nürnberg oder das Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel, das vier Jahre zuvor eröffnet wurde, folgten dem gleichen Prinzip. Museumskurator Kurt Winkler.
Kurt Winkler: "Da gab es zum Beispiel einen Raum, der Rechtspflege hieß. Im Volksmund wurde das sofort Folterkammer genannt, da gab es dann Richtbeile und solche schrecklichen Dinge, oder es gab prähistorische Räume, eine gotische Kapelle, oder es gab eine Waffenhalle mit Rüstungen und Harnischen und Schwertern und solchen Dingen. Es war eigentlich so eine Art Eintauchen in die Geschichte, mit verschiedenen Erlebnisqualitäten. Das Hindurchgehen durch diese Räume geschah gar nicht so sehr in einem chronologischen Sinn, sondern war so eine Art Flanieren in der Geschichte und so eigentlich auch ein Flanieren im Gefühl des Historischen, mit seinen unterschiedlichen Stimmungs¬werten."
Das Märkische Museum war ein Museum von unten, eine echte Bürger¬initiative, das dem Selbstverständnis einer aufstrebenden Klasse diente.
Kurt Winkler: "Da haben eben die Berliner und die Märker das dem Museum geschenkt, von dem sie selbst glaubten, dass es ihre eigene Geschichte erzählt, das reichte dann von volkskundlichen Beständen bis hin zu Dingen so aus dem Industrie- und Gewerbeleben, bestimmte Gegenstände, die so im Zunftleben eine Rolle gespielt haben, Memorabilien aller Art, aber es sind eben auch hoch bedeutende Stücke darunter, beispielsweise ein Teilnachlass von Theodor Fontane mit dem Originalmanuskript von ‚Effi Briest‘, und es sind eben auch hoch bedeutende Kunstwerke darunter gewesen."
Die Kollegen von der benachbarten Museumsinsel haben arrogant die Nase gerümpft. Wilhelm von Bode nannte die Sammlung kurzerhand eine Rumpelkammer. Doch in Wahrheit war es eine Arche Noah für Kunst und Krempel der vergangenen Tage. Berlin wuchs und wuchs, und mit der Veränderung wuchs auch die Sehnsucht nach der alten Zeit. Wenigstens an einer Stelle wollte die neu erwachte Metropole etwas Ruhe haben und von ihrer Kindheit träumen, und das Märkische Museum setzte alles daran, diesen Traum mit musealen Mitteln in Szene zu setzen.
Tempi Passati. Die Stimmungsbilder von 1908 sind nur eine schöne Momentaufnahme. Das Museumskonzept von damals geriet schnell an seine Grenzen, weil es die Geschichte in eine Konservendose steckte und nicht in der Lage war, die Zeitgeschichte zu begleiten. Und das ausgerechnet in der Metropole Berlin, die verdammt ist, ewig zu werden und niemals zu sein, wie es Stadtchronist Karl Scheffler behauptet hat. Schon in den Zwischenkriegsjahren wirkte das Museumskonzept reichlich antiquiert. Und so bleibt viel zu tun, das weiß auch Franziska Nentwig, die in der Stiftung Stadtmuseum Berlin auch für das Märkische Museum verantwortlich ist.
Franziska Nentwig: "Das Museum hat sich in den vergangenen hundert Jahren immer wieder neu erfinden müssen, um einfach seinen Platz auch hier in Berlin zu behalten. Was sind nun die Zukunftsperspektiven? Wir möchten gerne im Märkischen Museum im Verbund mit unserem Neubau, der direkt benachbart ist, eine neue Berlinausstellung inszenieren, die einen Überblick gibt über die Grundlagen der Stadtwerdung, bis hin aber auch zur Gegenwart. Und wir wollen auch nicht davor zurückschrecken zu fragen, vor welchen Herausforderungen wird Berlin in der Zukunft stehen? Aber das Hofmannsche Prinzip, dass man also ein Objekt präsentiert und der Besucher daran eine Emotion ableitet und sich stimmungsmäßig inspirieren lässt, das wird nicht ganz reichen. Wir müssen also mehr machen, wir müssen auch klare Botschaften vermitteln. Und da gehört noch ein bisschen mehr dazu als Architektur und Raum. Wir müssen also auch eine Atmosphäre bestimmen, und wir müssen auch unsere Aufgabe der Wissensvermittlung möglichst spannend erfüllen."
Vielleicht entsteht rund um den Köllnischen Park ja eine zweite kleine Museumsinsel, ein kompetentes Refugium für die Metropole Berlin, das der Präsentation der Weltkultur jenseits der Spree mit dem nötigen Selbstbewusstsein Paroli bietet. Für die Berliner und ihre Besucher wäre das sicher ein Gewinn.