Gefühlsstau

Von Werner Nording · 31.05.2005
Freitagnachmittag, Hamburg, Elbtunnel. Ein Lastwagen löst die Höhenkontrolle vor der Röhre aus, die Ampel springt auf Rot. Schnell bildet sich im zähflüssigen Feierabendverkehr auf der A 7 ein kilometerlanger Stau. Er wird sich erst gegen 18 Uhr auflösen. Bis dahin Gefühlsstau bei den Autofahrern, stundenlanges Warten auf der Autobahn. Werner Nording mit einer Stau-Reportage aus dem Hamburger Elb-Tunnel.
" Unfall mit Krachen, Türenklappen: Hier spricht die Polizei, es hat sich ein Verkehrsunfall ereignet, halten Sie in der Fahrbahn bitte einen Weg für die Einsatzfahrzeuge frei. Attention please ... Martinshorn. "

Freitagnachmittag 16 Uhr im Hamburger Elbtunnel. Auf der A 7 geht nichts mehr. Ein PKW-Fahrer hat nicht genug Abstand gehalten und ist auf ein vorausfahrendes Auto aufgefahren, das plötzlich halten musste. Für den polizeilichen Einsatzleiter der Elbtunnelzentrale, Jürgen Kienke, eine Standardsituation .

"Der Grund ist immer erhöhtes Verkehrsaufkommen, wir haben Freitagnachmittag, es ist Rushhour, viele Leute wollen raus aus der Stadt nach Hause in Richtung Süden, dann ist es so dass die Verkehrsmenge von den Fahrspuren so nicht mehr bewältigt werden. "

Der Elbtunnel ist der Verkehrsknotenpunkt Nummer 1 in Norddeutschland. Hier verknotet sich der Verkehr regelmäßig. Die Europastraße ist das Nadelöhr auf der Verbindung zwischen Stockholm und Lissabon. Die Leidtragenden sind die Pendler, die täglich im Stau nach Hamburg zur Arbeit fahren müssen und abends im Stau wieder nach Hause. Wie gehen sie mit dieser ständigen Belastung um?

"Ruhig bleiben, Radio hören, man muss dann halt geduldig bleiben, ruhig bleiben, sehen dass man trotzdem sicher ans Ziel kommt, aus dem Fenster gucken, was der macht, man trifft sich morgens im Stau, abends im Stau, immer die Gleichen, heute sind wir zehn Meter voran, letztes Mal waren wir zehn Meter hinten. "

Diese Männer nehmen es gelassen. Doch viele zermürbt die tägliche Warterei. Wenn man erst mal auf der Autobahn ist, hat man keine Chance dem Stau zu entgehen, wenn der Verkehr plötzlich zum Erliegen kommt.

"Das Autofahren macht keinen Spaß mehr, wir stehen praktisch nur noch im Stau morgens und abends, während des Berufsverkehrs, es ist ja manchmal schon so schlimm, dass wir manchmal mit der Taxe mehr stehen als fahren. "

Dieser Mann, der in Hamburgs Norden arbeitet, ist auf das Auto angewiesen. Täglich muss er von Buxtehude nach Hamburg pendeln. Die Bahn ist für ihn keine Alternative. Zug fahren teuer und der Fahrplan wenig attraktiv, wie er meint.

"Ich fahre jetzt ne halbe Stunde, weil der Verkehr nicht so ist und mittags wenn wir wegfahren, ist der Verkehr in dieser Richtung nicht so und ich brauch die dreifache Zeit, die mir keiner bezahlt. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind zu unbeweglich, ich müsste hier dreimal umsteigen. Wir bilden ja schon Fahrgemeinschaften, fahren mit zwei Mann, der Schichtdienst ist so eingeteilt, dass wir mit zwei Mann aus dem gleichen Ort kommen und wir fahren dann zusammen, immer umschichtig, ist auch ne finanzielle Sache. "

Diese Rechtsanwältin hat ihre Konsequenzen aus der ewigen Warterei gezogen. Sie ist das Autofahren durch den Elbtunnel leid. Deshalb ist sie dabei, sich eine Wohnung in der Stadt zu suchen. Ihr Häuschen im Grünen will sie aufgeben.

"Ich bin Anwältin, Strafverteidigerin und muss morgens sehr pünktlich um neun zu meinen Verhandlungen, da kommt es dann vor, dass ein Gericht besetzt mit fünf Richtern, zwei Staatsanwälten und mehren Angeklagten und mehreren Mitverteidigern warten müssen, weil ich im Stau im Elbtunnel stehe. "

Der Elbtunnel ist schon lange zu einem Sinnbild für Verkehrsstress geworden. Bei Autofahrern ist das norddeutsche Nadelöhr berüchtigt. Im Verkehrsfunk hat der Tunnel seinen festen Platz.

Vor 30 Jahren wurde der Elbtunnel gebaut, um die Innenstadt von Hamburg zu entlasten. Bis dahin wurde der gesamte Nord-Süd-Verkehr über die Elbbrücken geleitet. Doch schnell stellte sich heraus, dass die drei Röhren des Tunnels nicht ausreichten. Im vergangenen Jahr wurde die vierte Röhre fertig gestellt, die allerdings nur während der Sommermonate genutzt werden kann. Weil die alten Röhren schon wieder saniert werden müssen, wird das Winterhalbjahr für die Bauarbeiten genutzt. Mindestens bis 2007 werden die Sanierungsarbeiten noch andauern. Ein Ende der Staus ist also noch nicht in Sicht. Zurzeit können sich die Autofahrer allerdings freuen, denn mit Beginn der Reisezeit sind alle vier Röhren freigegeben. Damit soll das berüchtigte Nadelöhr wenigstens für die Feriensaison etwas entschärft werden, sagt die Sprecherin der Wirtschaftsbehörde, Claudia Eggert.

"Der Elbtunnel war schon immer ein Nadelöhr im Zuge der A 7 und wir hoffen doch dass jetzt mit der Inbetriebnahme aller vier Röhren sich die Situation deutlich entspannen wird. Also bekannt waren die regelmäßigen Meldungen im Berufsverkehr, dort hatten wir regelmäßige Staubildung zwischen drei und fünf Kilometer war eigentlich so die Regel und dann natürlich der Reiseverkehr zu den Sommerferien aber auch zu den langen Wochenenden. "

"Elbtunnelbetrieb Weinert, Guten Tag.... Moment, ich stell mal zu den Kollegen von der Polizei durch, damit die im Bilde sind, Sperrung Spur 5. "

Gerade das Auslösen der Höhenkontrolle ist für den Verkehr im Elbtunnel ein großes Problem. Registriert die Lichtschrankenkontrolle, dass ein Lastwagen höher als die erlaubten vier Meter ist, springen die Ampeln in der Röhre sofort auf rot. 800 Mal im Jahr wird die Höhenkontrolle ausgelöst. Manchmal hat sich nur die Abdeckplane gelöst, nicht selten halten die Spediteure aber nicht die vorgeschriebene Ladehöhe ein, um mehr als erlaubt auf dem Lkw zu transportieren, weiß der polizeiliche Einsatzleiter Jürgen Kienke.

"Wir haben sehr oft ausländische Lkw-Fahrer, die gegen die zulässige Höhe von vier Metern verstoßen und da kann das schon mal einige Stunden dauern, bis man das Fahrzeug auf die Höhe gebracht hat, die es eigentlich haben darf. Also das ist ein Phänomen im Transportmarkt europaweit, da kann man eine Menge Geld verdienen, wenn man ein bisschen mehr Ladung auf sein Fahrzeug packt, als erlaubt ist.

Büßen müssen dafür auch die anderen Autofahrer, die deswegen im Stau warten, bis die Röhre wieder freigegeben wird.
In der Betriebszentrale des Tunnels wird der Verkehr rund um die Uhr beobachtet. Auf Monitoren, Rechnern und Übersichtsplänen ist der drei Kilometer lange Tunnel in der Zentrale bis ins Detail nachgebildet. Alle Signale, die draußen geschaltet sind, lassen sich auf der Monitorwand ablesen.

"Die zeigen, wie die Schranken gefahren sind, welche Fluchttüren betätigt wurden oder welche Notrufsäulen, von hier aus erlebt man den Elbtunnel live. "

sagt Günther Frank, der Leiter der Tunnel-Betriebszentrale. Jeweils ein Vertreter von Polizei, Feuerwehr und Technik sitzt vor den Monitoren, um schon das kleinste Zeichen von Unregelmäßigkeiten sofort zu erkennen. Jede Störung im Tunnel hat erhebliche Folgen und kann zu langen Wartezeiten führen. Jürgen Kienke von der Polizei:

"Wir haben hier so etwa 150 Verkehrsunfälle im Tunnel im Jahr, das ist die eine Größe und etwa 1000 Fahrzeuge, die im Tunnel liegen bleiben aus technischen Gründen. Verkehrsunfälle müssen aufgenommen werden, wenn schwere Unfälle, meistens mit Lkw, diese Fahrzeuge müssen geborgen werden. Und es kann schon mal sein, wenn die Lkw sehr schwer beschädigt sind, dass eine Tunnelröhre bis zu sieben Stunden ausfällt für den anderen Verkehr, das führt zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und kann sich auch auf ganz Hamburg auswirken. "

Motorschäden und Reifenpannen sind an der Tagesordnung, manchmal bleiben Autos auch liegen, weil sie kein Benzin mehr haben. Da es im Tunnel keinen Standstreifen gibt, behinderte jedes liegen gebliebene Fahrzeug den nachfolgenden Verkehr. In den Hauptverkehrszeiten haben solche kleinen Zwischenfälle oft große Auswirkungen. Die Automobilclubs sind regelmäßig mit Stauberatern im Elbtunnel unterwegs. Immer wieder kommt es vor, dass Autofahrer im Tunnel unsicher werden, weiß Christian Schäfer vom ADAC Hamburg-Mecklenburg-Vorpommern.

"Es ist natürlich so, wie wir es gerade auch sehen, die Beleuchtung ist deutlich gedämmt, wenn ich nicht rechtzeitig die Beleuchtung eingestellt habe oder wir sehen hier im Tunnel auch gerade, jetzt ist vor uns ein Warnblinklicht, ich kann im Moment noch gar nicht erkennen, ist es nur ein Abschleppwagen, der durch den Tunnel fährt oder ist eine Spur geschlossen, das sehe ich immer relativ kurzfristig, insofern fahren viele Leute nicht nur angepasst, sondern einfach für diese Situation zu langsam, dadurch können dann Rückstaus entstehen. "

Nicht selten kommt es vor, dass Urlauber, die zum Beispiel vom Ruhrgebiet an die Ostsee fahren wollen, völlig verzweifelt sind, weil sie durch einen Stau im Elbtunnel zwei Stunden verlieren und deshalb die Fähre nach Skandinavien verpassen. Auch bei anderen Stresssituationen muss der Stauberater schon mal seelischen Beistand leisten.

"Der Stau selbst ist ja schon mal Stress an sich, dann kommen die sommerlichen Temperaturen dazu, wo die Gemüter auch hoch kochen, des weiteren ist es, wenn ich mit mehreren Leuten im Fahrzeug sitze, dann gibt es schon mal Reibereien, die ich dann auch schlichten muss, Das Typische ist dann, der Fahrer mit dem Beifahrer schimpft, weil er nicht die richtige Route ausgewählt hat, obwohl der Beifahrer auch nichts dafür konnte, letztendlich, wenn sich die Gemüter beruhigt haben, weiß jeder selbst, das man nichts dafür konnte für den Stau, aber im ersten Moment wird schnell mal gemeckert. "

Joachim Weinert ist Schichtleiter für den technischen Ablauf im Tunnel. Der Fachmann überwacht die Beleuchtung, Belüftung oder Katastrophensteuerung, die Pumpwerke oder die Nischenmobiltelefone. Vor ihm steht jeweils ein rotes, weißes, grünes und schwarzes Telefon, mit dem er direkt mit der Feuerwehr, Polizei oder Autobahnmeisterei verbunden ist. Der Schichtleiter arbeitet seit 15 Jahren im Elbtunnel. Mit Entsetzen erinnert er sich an den Selbstmord einer Frau mitten im Tunnel.

"Das Schlimmste, was ich selber erlebt hab, war eine Frau, die sich im Tunnel angezündet hat, die hat sich mit Benzin übergossen und hat sich mitten in der Röhre angezündet, das war so mit das Schlimmste, weil ich selbst im Einsatz war und den Einsatz geleitet hatte, das geht nicht spurlos an einem vorbei. "

Die Türen des Autos der Frau waren verriegelt, eine Rettung war nicht mehr möglich, die Helfer konnten das Fahrzeug nur noch bergen.
Während Joachim Weinert noch die Geschichte erzählt kommt plötzlich ein Alarm.

"Jürgen .... hab zwei Liegenbleiber Ausfahrt Bahrenfeld, Richtung Norden 11 … wir dachten erst das sind Unfälle, die haben den ADAC bestellt, aber weil der Verkehr wieder zurückgeht auf die Autobahn ist das kritisch, Wagen ist schon los . "

Nur wenige Sekunden nach dem Alarm ist ein Feuerwehrwagen unterwegs, der die Liegenbleiber von der Fahrbahn zieht. Ein längerer Stau hat sich erst gar nicht aufbauen können. Der Verkehr kann reibungslos weiterlaufen.

Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern läuft der Verkehr durch den Elbtunnel. So ist es dem Leiter der Betriebszentrale Günther Frank am liebsten.

"Wir haben im täglichren Mittel etwa 120.000 Fahrzeuge pro Tag es kann Spitzenzeiten geben bis 130.000.
140.000 Fahrzeuge pro Tag, der Lkw Anteil schwankt, sonntags gar keine, sonst um 20 Prozent. "

Durchsage: "Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei fahren Sie bitte zügig, sie behindern den nachfolgenden Verkehr. "

Wenn extreme Langsamfahrer im Tunnel unterwegs sind, setzt die Polizei schon mal Durchsagen ein, um diese Personen aufzufordern, Gas zu geben. Statt der Lautsprecherdurchsagen hat die Polizei seit kurzem auch die Möglichkeit, sich über den Verkehrsfunk direkt an die Autofahrer im Elbtunnel zu wenden. Sicherheit wird groß geschrieben, sagt Günther Frank.

"Wir haben hier alle hundert Meter so genannte Notrufnischen, die beinhalten ein Telefon und einen Feuermelder, da kann man sich verständigen, man kann sich aber auch über Handy verständigen. Die Handy-Netze funktionieren alle im Elbtunnel, da ist man nicht allein und wir selbst aus der Zentrale können uns an die Fahrzeugführer wenden über Lautsprecheranlagen und über simulierte Verkehrsfunkdurchsagen, wir schalten also die Sender ab, die üblicherweise empfangen werden können und können dann durchsagen übers Autoradio vornehmen aus der Zentrale heraus, die nur die Leute im Elbtunnel empfangen.

Trotz aller technischen Raffinessen - das unkalkulierbare Risiko sind die Autofahrer. Vor allem die Pendler leiden darunter, wenn es morgens oder abends im Berufsverkehr wieder heißt: Stau vor dem Elbtunnel.