Gefahren beim Bergsteigen

"Der wichtigste Muskel beim Klettern ist das Gehirn“

Mehrere Bergsportler klettern bei Garmisch-Partenkichen (Oberbayern) auf der Zugspitze in Richtung Gipfelkreuz.
Mehrere Bergsportler klettern bei Garmisch-Partenkichen (Oberbayern) auf der Zugspitze in Richtung Gipfelkreuz. © picture alliance / dpa / Marc Müller
Ernst Vogt im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 11.08.2017
Zu oft werden die Gefahren beim Bergsteigen von Laien unterschätzt, sagt Ernst Vogt, Leiter der Bergsteigerredaktion beim Bayerischen Rundfunk. Zu 99 Prozent ist der Mensch selber schuld an Unfällen. Dazu gehöre Selbstüberschätzung und mangelnde Fitness.
Liane von Billerbeck: Die Bergsteigersaison ist schon in vollem Gange, und damit häufen sich auch wieder die Bergunfälle – die gehören dazu. Man könnte gerade sagen, man kommt gar nicht ohne sie aus, denn gestresste und erfolgsverwöhnte Bürohengste, die wollen unbedingt auf den Gipfel, haben manchmal viel Geld in ihre Ausrüstung investiert, aber zu wenig auf den Wetterbericht gehört. Todesfälle gibt es also immer wieder. Anlass für uns, über Gefahren beim Bergsteigen zu sprechen, und zwar mit Ernst Vogt. Er ist Leiter der Bergsteigerredaktion beim Bayerischen Rundfunk, und ich habe eben von ihm erfahren, dass es die schon seit 60 Jahren gibt. Schönen guten Morgen!
Ernst Vogt: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Die Frage, werden die Gefahren beim Bergsteigen von Laien unterschätzt, sorgt ja dafür, dass man sich erst fragt, ist es tatsächlich immer der menschliche Faktor, auf den diese Unfälle zurückzuführen sind?

Fehlender Respekt vor der Natur

Vogt: Ja, da haben Sie völlig recht. Zu 99 Prozent ist der Mensch selber schuld daran. Es ist menschliches Versagen. Dazu gehört Selbstüberschätzung, dazu gehört mangelnde Kondition und auch die mangelnde Fitness, die eine große Rolle spielt, und auch der fehlende Respekt vor der Natur. Viele Menschen glauben heutzutage, alles ist machbar, aber gerade in den Bergen ist das eben nicht machbar, und nur zwei Zahlen: In Bayern hat es im vergangenen Jahr 89 Bergtote gegeben und in Österreich 267. Das sind ein bisschen weniger als im Vorjahr.
von Billerbeck: Aber trotzdem noch ganz schön viele.
Vogt: Trotzdem, ganz schön viel. Und eines ist ganz klar: Der Bergunfall ist männlich, so sagt ein alpiner österreichischer Unfallforscher. 88 Prozent der Bergtoten in Österreich sind Männer.
von Billerbeck: Das wundert mich jetzt nicht, würde ich jetzt mal ganz trocken sagen. Woran liegt es, dass Bergsteiger, die ja, wie ich es schon gesagt habe, viel Geld in Ausrüstung investieren, so wenig daran denken, dass der Berg eben eine Macht ist, eine Gewalt, eine Kraft, der sie sich da aussetzen?
Vogt: Man könnte sagen, es fehlt ein wenig Demut, wenn man dieses altmodische Wort benutzen möchte, also der Respekt vor der Natur, wie ich schon gesagt habe. Und dazu kommt eben auch ein gewisser Egoismus, dazu kommt eben auch das, was Sie bereits richtigerweise gesagt haben, over-equipped, also überausgerüstet und untrainiert.
Man schleppt viel zu viel Ausrüstung mit herum, oft die falsche Ausrüstung. Man schleppt viel zu schwere Rucksäcke mit, zum Beispiel bei Alpenüberquerungen. Da habe ich Leute gesehen, die tragen 20 Kilogramm mit sich, und dabei sind empfohlen höchstens acht Kilo. Dabei ermüdet man schneller, und das Risiko steigt dann. Und es ist halt auch so, wenn man unnützes Zeug mit sich herumschleppt – bei Alpenüberquerungen haben sie mal so einen Test gemacht, und da kam dann ein Föhn aus dem Rucksack heraus, den man auf einer Berghütte, die keinen Strom hat, gar nicht einstecken kann. Also völlig überflüssig.
von Billerbeck: Es sind ja viele verunglückt, das haben Sie auch gesagt, Sie sagen, 99 Prozent spielen die Menschen und die Fehler der Menschen eine Rolle. Spielt aber auch der Klimawandel eine Rolle? Dass sich die Berge eben verändern?
Vogt: Ja, der spielt eine große Rolle. Der Permafrost hält ja sozusagen den oberen Teil der Alpen zusammen. Das ist wie zusammengebacken. Und wenn dieser Permafrost weiter auftaut, dann ist das so, wird es lockeres Gestein, wird das bröselig, werden die Felsen bröselig, und die Wege rutschen ab. Die Gletscher gehen zurück, also die Landschaft verändert sich dramatisch. Die Bergsteiger müssen sich darauf einstellen.
Die Karten von vor zehn Jahren, von vor 15 Jahren stimmen nicht mehr. Man muss selbstständiger Bergsteiger sein im Hochgebirge, man muss eigene Wege suchen können, und man muss den Mut haben, umzukehren. Man muss sagen, hier geht's nicht weiter, hier kommt ein Gletscherbach, der ist zehn Meter breit, der ist reißend, und der stürzt vorne dann in die Tiefe – ich kann hier nicht weitergehen, ich muss umdrehen.
von Billerbeck: Es gibt zwei legendäre Bergsteiger, deren Namen Sie sofort kennen werden, Toni und Franz Schmid. Die waren die Ersten, die am 1. August 1931 den Gipfel des Matterhorns über die berühmte Nordwand bestiegen haben. Und der stellvertretende Vorsitzende des Alpenvereins, Rudi Erlacher, hat mal gesagt, die hätten in der Gefahr die Poesie des Lebens gesucht. Die haben aber auch ihr Risiko gut kalkuliert und die Matterhornbesteigung wohlbehalten überstanden. Sie haben es vorhin schon erwähnt: Welche körperlichen und geistigen Voraussetzungen müssen denn erfolgreiche Hobbybergsteiger haben, damit sie wohlbehalten wieder runterkommen?
Vogt: Die körperliche Fitness ist ja unstrittig, und man kann sich auch im Flachland darauf vorbereiten. Man kann joggen, man kann ins Fitnessstudio gehen. Man muss einfach eine gewisse Fitness haben und sich dann richtig einschätzen.
Den Urlaub mit einer Zehn- oder Zwölfstundentour zu beginnen, ist also völlig unsinnig, ganz abgesehen davon, dass das der Erholung nicht zuträglich ist. Aber man muss auch die geistigen Fähigkeiten trainieren, also die Selbstwahrnehmung: Wie gut reagiert mein Körper, wie viel kann ich mir noch zutrauen.

Alle Sinne einsetzen

Dann der Blick zum Himmel: Wie entwickeln sich die Wolken? Sind Gewitter im Anzug? Ich muss also alle Sinne einsetzen, und es gibt so einen Spruch unter Kletterern: Der wichtigste Muskel beim Klettern ist das Gehirn. Das Hirnschmalz ist wichtig. Ich muss immer schauen, passt das jetzt noch für mich oder passt das nicht mehr. Und dann gilt halt eben auch das, was immer wieder ins Spiel kommt: Der Berg ist kein Frosch, der hüpft dir nicht davon, hat ein Bergführer mal gesagt.
Also ich kann auch umdrehen, ich kann nächste Woche, nächsten Monat oder nächstes Jahr wiederkommen. Da ist keine Eile geboten am Berg. Das soll man entschleunigen, da soll man runterkommen, da soll man zur Ruhe kommen und die Natur genießen.
von Billerbeck: Das war Ernst Vogt, der Leiter der Bergsteigerredaktion beim Bayerischen Rundfunk über die unterschätzten Gefahren beim Bergsteigen. Ich danke Ihnen, Herr Vogt!
Vogt: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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