Gefahr für die Rechtssicherheit?

Brandenburg gehen die Richter aus

13:34 Minuten
Prozessbeteiligte warten auf einem Flur auf die Verhandlung. (Symbolbild)
Der Schatten wird länger, in den nächsten Jahren gehen mehr als 600 Richterinnen und Richter in den Ruhestand. © dpa/ Wolfgang Kumm
Von Christoph Richter · 24.01.2020
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Mehr als hundert Richter fehlen in Brandenburg. Der Richterwahlausschuss war lange blockiert. Von der AfD nominierte Kandidaten waren für andere unwählbar. Eine AfD-Vertreterin attackierte gar verbal den Rechtsstaat. Sie sitzt nun trotzdem im Ausschuss.
"Sitzungspause" nennt sich die nüchtern gehaltene Cafeteria im Justizzentrum Potsdam in der Jägerallee. Eines der beherrschenden Gesprächsthemen unter Anwälten und Justizangestellten ist der Richtermangel. Es wird getuschelt, geklagt, moniert, dass die Arbeit kaum zu schaffen sei. Manche Kollegen seien dauererkrankt, kein Richter sei jünger als 50.
Öffentlich ins Mikrofon will keiner dazu etwas sagen. Marlen Block mahnt jedoch zur Gelassenheit. Sie ist Strafverteidigerin und die rechtspolitische Sprecherin der Linken im Potsdamer Landtag.
Die Fahne vom Bundesland Brandenburg mit dem Märkischen Adler weht auf dem Landtag.
Der Brandenburger Landtag hat im zweiten Anlauf zwei AfD-Abgeordnete in den Richterwahlausschuss gewählt. © ZB/ dpa-Zentralbild/ Patrick Pleul
"Es fehlen welche. Aber es ist jetzt nicht so, dass der Rechtsstaat in Brandenburg handlungsunfähig ist. Sondern es sind auch andere Gründe. Dass Verfahren tatsächlich umfangreich sind, sehr umfangreich sind, dass tatsächlich Zuarbeiten fehlen, aus der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Das kann eben dazu führen, dass mal ein Verfahren eingestellt wird, jemand freigelassen wird."
Die oppositionelle Linkspartei im Land Brandenburg will aus dem Richtermangel keinen Skandal machen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass sie in der vergangenen Legislaturperiode den Justizminister gestellt hat und sich nun kein schlechtes Zeugnis ausstellen lassen will.

In Brandenburg fehlen über 100 Richter

Die Zahlen jedoch sprechen eine andere, eine deutliche Sprache: Nach Angaben des Deutschen Richterbunds wird deutschlandweit bis 2030 knapp die Hälfte aller Richter und Staatsanwälte in Rente gehen. Das Land Brandenburg hat einen Personalbedarf, wie es nüchtern heißt, von 850 Richtern. Derzeit gebe es aber nur 746, sagte kürzlich die CDU-Justizministerin Susanne Hoffmann im Rechtsausschuss des Potsdamer Landtags. Das bedeutet im Klartext: Dem Land fehlen aktuell mehr als 100 Richter.
"Wir brauchen mindestens 30 Neueinstellungen pro Jahr in den nächsten zehn Jahren. Im Ganzen fehlen Richter und Staatsanwälte in allen Bereichen."
Stapel von Akten liegen zum Prozess im Verhandlungssaal. (Symbolfoto)
Ohne Richter keine Bearbeitung der Aktenberge.© dpa-Zentralbild/ Patrick Pleul
Claudia Cerreto ist die Direktorin des Amtsgerichts Nauen und Vorsitzende beim Landesverband Brandenburg des Deutschen Richterbunds. Seit Jahren fordert sie schon eine angemessene und auskömmliche Personalausstattung der Brandenburger Gerichte:
"Es ist jetzt schon so, dass die Verfahren in allen Bereichen viel zu lange dauern. Die Bürger haben einen Rechtsgewährungsanspruch, in zumutbarer Zeit eine Entscheidung zu bekommen. Und zwar in allen Bereichen. Und wir befürchten aufgrund der Verfahren, die an den Landgerichten sind, gerade im Strafbereich, dass es dort dazu kommen wird, dass entweder Täter gar nicht mehr einem Strafverfahren zugeführt werden können, weil Straftaten verjähren oder aber milde Urteile ausgesprochen werden müssen."

"In allen Bereichen der Justiz deutlich unterbesetzt"

Die Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen sei "schwierig", wie Claudia Cerreto sagt. Und sie wird nicht besser. Denn in den nächsten zwölf Jahren würden knapp zwei Drittel, also mehr als 600 aller Richterinnen und Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaften in den Ruhestand gehen. Die Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgerichte gingen in wenigen Jahren gar nahezu geschlossen in Pension, ergänzt die 48-jährige Cerreto.
"Mittlerweile sind wir in fast allen Bereichen der Justiz deutlich unterbesetzt, die Staatsanwaltschaften haben mehr als zehn Prozent zu wenig Leute. Bei den Verwaltungs- und Sozialgerichten sind die Bestandszahlen durch die Hartz-4-Gesetzgebung und Asylverfahren enorm gestiegen."
Der akute Personalmangel wird noch durch ein anderes Problem verschärft: Richterstellen werden in Brandenburg, wie in acht weiteren Bundesländern, durch den so genannten Richterwahlausschuss besetzt. Das Gremium besteht aus parlamentarischen-, also Landtagsabgeordneten, und nichtparlamentarischen Mitgliedern. Das sind Vertreterinnen und Vertreter der Gerichte, Staatsanwaltschaften und der Rechtsanwaltschaft.

Umstrittene AfD-Politiker wählen Richter aus

Doch um die Besetzung dieses Richterwahlausschusses hat es nach der Landtagswahl in Brandenburg einigen Zoff gegeben. Denn die Abgeordneten der AfD wurden im ersten Anlauf von den anderen im Landtag vertretenen Parteien abgelehnt bzw. bekamen nicht die nötige Mehrheit. Weshalb Befürchtungen kursierten, dass die Arbeit des Ausschusses auf lange Zeit komplett blockiert werde. Denn ohne AfD-Kandidaten wäre der Richterwahlausschuss nicht arbeitsfähig gewesen. Obwohl Ende Januar über 16 Richter-Neueinstellungen entschieden werden müssen.
"Das Problem war, dass sich die AfD auf eine Position gestellt und gesagt hat, wir blockieren das Ganze. Wir nominieren ausschließlich Kandidaten, die für alle anderen nicht wählbar sind."
Benjamin Raschke von Bündnis 90/Die Grünen spricht in Brandenburg während der Landtagswahl 2019.
Benjamin Raschke von Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Richterwahlausschuss.© dpa-Zentralbild/ Christoph Soeder
Grünen-Politiker Benjamin Raschke, Mitglied im Richterwahlausschuss, meint damit unter anderen den AfD-Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz. Der war einst Mitglied der Republikaner und nach Recherchen der ARD hatte er auch Verbindungen zur rechtsextremen "Heimattreuen Deutschen Jugend", weshalb Kalbitz für viele als unwählbar galt, erklärt Raschke.
"Da hat sich am Ende die AfD bewegt, unseren Vorschlag aufgegriffen und Herrn Galau gewählt."

Verbale Attacken auf den Rechtsstaat

Doch nicht nur Andreas Galau, der bereits Mitglied bei der CDU, den Republikanern und bis 2013 in der FDP war, wurde gewählt, sondern auch Lena Duggen, AfD-Landtagsabgeordnete aus dem Havelland. Sie hat sich durch verbale Attacken auf den Rechtsstaat einen Namen gemacht.
So spricht sie beispielsweise von "Migrantenkriminalität" beziehungsweise davon, dass die innere Sicherheit durch die "fehlende Bereitschaft der staatlichen Organe, effektiv für die Durchsetzung geltenden Rechtes zu sorgen, vielfach gefährdet" sei. Nachzulesen auf ihrer persönlichen Webseite. Grünen-Politiker Benjamin Raschke:
"Sie hat die mehrfach vertretene Einstellung geäußert, dass in Brandenburg und Deutschland Gesinnungsjustiz herrscht, und dass sie da eingreifen möchte. Deswegen hat sie meiner Ansicht nach kein Anrecht da zu sitzen."
Die Wahl Duggens wurde möglich, weil ein Teil der SPD-Fraktion während der Abstimmung den Saal verlassen hatte. Gerne hätten wir mit Lena Duggen selbst gesprochen, doch auf Anfragen reagiert sie nicht. Der Sprecher der AfD-Landtagsfraktion sagte gegenüber Deutschlandfunk Kultur, dass man sich nicht zur Personalie Duggen äußern werde.

Die Aussschussarbeit wird komplizierter

Rechtsextremismus-Expertin Frauke Büttner vom Aktionsbündnis Brandenburg, einer Nichtregierungsorganisation, befürchtet, mit der Wahl von Lena Duggen sei in Brandenburg die Unabhängigkeit der Justiz bedroht.
"Das Problem, was ich hieran sehe, dass hier Personen in einem sehr sensiblen Gremium sitzen. Der Richterwahlausschuss ist ja dazu da, um eben über die Einstellungen von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zu befinden. Dem Richterwahlausschuss liegen auch sehr sensible Daten vor, die Personaldaten aller Bewerberinnen und Bewerber, inklusiver privater und familiärer Informationen."
Und die gehören nicht in die Hände der AfD, sagt Politikwissenschaftlerin Büttner noch. Die Ausschussarbeit werde durch die Mitarbeit der AfD künftig komplizierter ablaufen, als es bisher der Fall war. Das vermutet zumindest Marlen Block. Sie sitzt für die Linkspartei im Brandenburger Richterwahlausschuss. Den Rechtsstaat sehe sie aber, so sagt sie, nicht in Gefahr.
"Entspannt bin ich bei der AfD nie. Das sei mal vorangestellt. Aber es ist jetzt nicht so, dass die AfD Entscheidungen trifft. Alleine. Über die Einstellungen von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte."
Aber deutlich wird auch: Der Weg aus dem Richtermangel in Brandenburg ist kein einfacher Weg.

Mecklenburg-Vorpommern muss mehr Richter ausbilden, hat bislang aber nur eine einzige juristische Fakultät im Land, berichtet unsere Landeskorrespondentin Silke Hasselmann.
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