Gefährlicher Wahnsinniger oder ein Opfer der bayerischen Justiz?

Moderation: Klaus Pokatzky · 03.06.2013
Sitzt Gustl Mollath unschuldig in der Psychiatrie, weil er gegen zwielichtige Bankgeschäfte vorgegangen ist? Die Journalistin Monika Anthes hält diesen Verdacht für plausibel. Zusammen mit einem Kollegen hat sie sich intensiv mit dem Fall beschäftigt, heute Abend läuft ihre Dokumentation in der ARD.
Klaus Pokatzky: Die folgende Geschichte klingt nach dem, was wir so gerne Bananenrepublik nennen, oder sie klingt nach Weißrussland. Sie klingt nach einem Regime, in dem die Obrigkeit machen kann, was sie will, weil das Regime den Rechtsstaat nicht kennt. Die folgende Geschichte von Gustl Mollath, der in die Psychiatrie gesteckt wurde, nachdem er gegen zwielichtige Bankgeschäfte angegangen ist, spielt aber in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar im schönen Lande Bayern. Unser Münchner Korrespondent Michael Watzke fasst sie erst einmal zusammen.

Im Studio in Mainz begrüße ich nun die Fernseh-Kollegin Monika Anthes vom Südwestrundfunk SWR, die gemeinsam mit Eric Beres sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt hat und deren Film "Der Fall Mollath" heute Abend in der ARD gezeigt wird. Guten Tag nach Mainz!

Monika Anthes: Ja, guten Tag!

Pokatzky: Im April 2010, Frau Anthes, hat Gustl Mollath an den Südwestrundfunk einen Brief geschrieben und darin seinen Fall geschildert. Im Internet gab es ja schon eine Videobotschaft von ihm, die aus der Psychiatrie geschmuggelt worden war – was waren damals Ihre ersten Reaktionen, als Sie das gelesen haben, das Internet gesehen haben, als Sie mit dem Fall angefangen haben? Haben Sie das alles glauben können?

Anthes: Nein. Also ich muss ganz ehrlich sagen, ich war am Anfang auch sehr skeptisch. Ich hatte diesen Brief auf dem Tisch, Herr Mollath hatte mir geschrieben, weil ich zuvor auch mal über gekaufte Gutachter berichtet hatte in "Report Mainz", und habe das lange immer wieder in die Hand genommen, immer wieder weggelegt, habe dann aber auch mal mit Gustl Mollath telefoniert und fand dann seine Schilderungen doch sehr klar und dachte mir, na ja, das kann man ja nachprüfen.

Er sagte, er hat Belege, er hat Beweise, er hat Dokumente, das hat er ja auch in dieser Videobotschaft gesagt. Und dann fingen wir an und haben einfach mal diese ganzen Akten gelesen. Und je mehr ich da gelesen habe, umso mehr hab ich gedacht, die Telefonnummer kann man nachvollziehen, diesen Ansprechpartner kann man finden – es ließ sich einfach schnell sehr, sehr viel nachweisen. Und da fingen wir so langsam an zu glauben, dass das Unmögliche vielleicht doch passiert ist, dass ein Mensch unschuldig weggesperrt wurde.



Pokatzky: Beruhend alles, zurückgehend auf Ehestreitigkeiten mit seiner Gattin, die damals bei der HypoVereinsbank gearbeitet hat, und wo er, das beschreiben Sie in dem Film sehr schön, auch mit nachgestellten fast Spielfilmszenen, wo das Faxgerät überquoll von irgendwelchen zwielichtigen Geldgeschäftepapieren. Die Recherchen jetzt, die Sie mit ihm gemacht haben, es gibt ja ganz lange Interviewszenen mit ihm – konnten Sie ihn da so ganz unbehindert in dem psychiatrischen Krankenhaus interviewen? Hat er jetzt größere Freiheiten?

Anthes: Nein. Das war immer sehr, sehr schwierig. Wir haben auch beim ersten Mal einen langen Vorlauf gehabt, da schreiben müssen mit der Klinik, das wirklich beantragt, das sind doch enorme Sicherheitsbestimmungen, die da herrschen …

Pokatzky: Er wird – das muss man dazu sagen, wenn es Gerichtstermine jetzt gibt, wo es darum geht, muss er weiter in der Psychiatrie bleiben oder irgendwann wird das ganze Verfahren neu aufgenommen, da wird er bei Gericht immer noch in Handschellen vorgeführt.

Anthes: Also, als wir ihn das allererste Mal live sehen konnten, das war im Mai 2011 am Landgericht in Bayreuth, wo ja jetzt gerade auch wieder so eine Anhörung stattgefunden hat, da haben sie ihn wirklich in Handschellen vorgeführt. Bei der letzten Anhörung jetzt im März haben sie darauf verzichtet, was meiner Meinung nach aber an dem enormen Medienaufgebot lag und daran, dass der Anwalt Strate das explizit beantragt hat. Ansonsten wurde er immer in Handschellen vorgeführt, ja.

Pokatzky: Enormes Medienaufgebot – außer Ihnen hat ja auch die "Süddeutsche Zeitung" sehr kritisch über den Fall berichtet, "Die Zeit" hat im Dezember einen ja doch, sagen wir mal, eher wohlwollenden Artikel gebracht, was die bayerische Justiz angeht und vor allem auch, was den ganz wesentlichen Gutachter, auf dessen – aus Ihrer Sicht, Frau Anthes, sehr zweifelhaften Gutachten Mollath damals in die Psychiatrie eingewiesen wurde.

"Die Zeit" hat inzwischen so eine kleine Kehrtwende gemacht, darauf möchte ich gleich noch kommen, aber in dem alten "Zeit"-Artikel, da ist auch die Rede von nicht nur diesem einen psychiatrischen Gutachten gegen Mollath, das Sie immer kritisch erwähnen und den Sie immer kritisch erwähnen auch in Ihrem 45-Minuten-Film, der heute Abend gesehen werden kann, aber die "Zeit" hat damals auch noch zwei weitere Gutachter gegen Mollath erwähnt, und die kommen in Ihrem Film so gar nicht vor. Warum machen Sie das? Wird Ihr Film dadurch nicht so ein bisschen angreifbar?

Anthes: Ja, also wir haben – es gibt mittlerweile wirklich sehr, sehr viele Gutachten zu Herrn Mollath. Es gibt mehrere, die da keinen Wahn feststellen können, es gibt aber auch einige, und da haben Sie auch recht, durchaus angesehene, die da einen Wahn attestiert haben. Die "Zeit" hob insbesondere, wenn ich mich recht erinnere, ab auf Herrn Kröber aus Berlin. Jetzt ist es so, Herr Kröber hat damals ein Gutachten geschrieben rein auf Aktenlage, er hat sich nicht mit Gustl Mollath persönlich unterhalten, und er hat es eben so wie viele andere auch basiert auf diesem Urteil. Und wenn so ein Gutachten rein auf Aktenlage oder auf dem Urteil basierend erstellt wird, dann müssen Sie annehmen, dass zum Beispiel Herr Mollath diese schwere Körperverletzung begangen hat …

Pokatzky: Die ihm vorgeworfen wird, müssen wir jetzt dazu sagen, von seiner Frau, und was ja überhaupt Basis dieses sehr radikalen Urteils, den Mann zwangseinzuweisen in die Psychiatrie war.

Anthes: Richtig, richtig. Und von daher haben wir einfach gesagt, die klare Linie, die wir dann irgendwann gesehen haben, ist, zu sagen, am Anfang wurde ein entscheidendes Gutachten gestellt. Darin heißt es, seine Angaben zu Schwarzgeldgeschäften sind ein Wahn, ein paranoider Wahn. Man hat aber nicht überprüft, ob diese Angaben Wahrheit sind. In dem Moment, wo das wegbricht, wo eben diese Schwarzgeldgeschichten sich als Wahrheit herausstellen, bricht doch sehr, sehr vieles weg. Auf der anderen Seite haben wir auch Gutachter gesprochen, die sich lange mit Herrn Mollath auseinandergesetzt haben, wie zum Beispiel der Herr Doktor Simmerl, und die kommen eben zu dem Ergebnis, gut, sie können das nicht einordnen, sie können das nicht prüfen, aber sie sehen eben keine Anzeichen eines Wahns bei Herrn Mollath.

Pokatzky: Was diese Schwarzgeldgeschichten angeht, in die seine Frau ja auch nach einem Sonderrevisionsbericht der HypoVereinsbank unzweifelhaft verwickelt war, deshalb unter anderem ist sie ja auch entlassen worden bei der Bank und hat dann später eine Abfindung eingeklagt. Das ist alles nachlesbar auf der Homepage vom Südwestrundfunk. Die "Zeit", habe ich ja gerade gesagt, hat eine Kehrtwendung in der Berichterstattung vollzogen und schreibt nun auch von einem Justizskandal, und zwar, nachdem eben der berühmte Hamburger Revisionsspezialist Gerhard Strate das Verfahren wieder aufnehmen lassen will. Der Verteidiger Strate wirft jetzt in einem 140-seitigen Schriftsatz dem verantwortlichen Nürnberger Richter Rechtsbeugung vor. Was glauben Sie ganz persönlich, wie dieses Verfahren ausgehen wird?

Anthes: Man kann sich eigentlich bei der Faktenlage im Moment nicht vorstellen, dass die Wiederaufnahme nicht angenommen wird. Man muss aber auf der anderen Seite …

Pokatzky: Die Staatsanwaltschaft, wenn ich das kurz sagen darf, will ja auch die Wiederaufnahme …

Anthes: Ja genau, richtig. Es ist nur sehr, sehr erstaunlich – es sind ja mittlerweile schon zehn, fünfzehn Wochen vergangen, seitdem diese beiden sehr gut begründeten Wiederaufnahmeanträge vorliegen, und jetzt kommt gerade just letzte Woche aus Regensburg eine wirklich erschreckende Meldung, nämlich …

Pokatzky: Vom Landgericht Regensburg …

Anthes: Ja, vom Landgericht Regensburg. Man wäre sich noch nicht so sicher, ob selbst eine gefälschte Urkunde, also das Attest, das Frau Mollath vorgelegt hat, um die Körperverletzung nachzuweisen, gilt heute als unecht, weil es nicht von der Person erstellt wurde, die da unterschrieben hat augenscheinlich oder auf die sich auch das Urteil beruft. Selbst diese Urkunde reicht dem Landgericht da nicht, um gleich zu sagen, ja natürlich gibt es hier ganz klar Wiederaufnahmegründe. Von daher kann man das nur hoffen, dass die Wiederaufnahme erfolgen wird. Garantieren würde ich das im Moment nicht.

Pokatzky: Danke, Monika Anthes vom Südwestrundfunk in Mainz. "Der Fall Mollath – In den Fängen von Justiz, Politik und Psychiatrie", der Film von Monika Anthes und Eric Beres läuft heute Abend um 22:45 Uhr im Ersten.

Anthes: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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