Gefährliche Wahrheiten über die Mafia

Rezensiert von Patricia Arnold · 01.04.2012
In seinem neuen Buch gibt Italiens wohl bekanntester Mafia-Kritiker Roberto Saviano Einblick in das organisierte Verbrechen. Die Texte über Verschwörung, Korruption und Misswirtschaft schrieb der 32-jährige Autor ursprünglich fürs Fernsehen - doch seine Sendung wurde abgesetzt.
Mafia und Müll, Verleumdung und Verschwörung, Korruption und Misswirtschaft. Italien, armes Land, unglückliches Land.

"Unglücklich, weil es sein eigenes Potenzial nicht mehr erkennt, weil es einer alten Dame ähnelt, der das Leben Schönheit und erfolgreiche Kinder geschenkt hat, die aber jetzt, dem Tod nahe, keine Ansprüche mehr stellt."

Verwahrlost und moralisch verkommen wäre eine andere, ebenso treffende Beschreibung der italienischen Situation. Roberto Saviano liebt aber sein Land. Er bleibt deshalb höflich, kehrt seiner Heimat auch nicht den Rücken, obwohl er von Mafia-Killern gejagt wird, sich verstecken muss, Tag und Nacht von Leibwächtern umgeben ist.

Präzise und deshalb so schmerzhaft beim Lesen, beschreibt der Erfolgsautor die italienischen Leiden: Krebsgeschwüre, die sich über das ganze Land ausbreiten, vom Süden bis in den Norden, vor allem im Norden seit einiger Zeit aufbrechen. Für seine Anklage wird der Schriftsteller oft verhöhnt und verlacht.

"'Für Saviano ist Norditalien Abschaum. Für Saviano ist Norditalien mafiös', schreiben Zeitungen in maßloser Vereinfachung dessen, wovon ich erzählt hatte. Als sei an der Misere derjenige schuld, der von ihr erzählt, Strukturen aufdeckt und an die Vergangenheit erinnert, indem er sein Land auffordert, den Missständen mit vereinten Kräften zu begegnen."

Das Opfer ist der Täter, der Staatsanwalt der Kriminelle. Verunglimpfungen, die Silvio Berlusconi mit seinem politischen Stil pflegte. 20 Jahre lang. Das blieb nicht ohne Folgen. Davon erzählt Saviano auch.

Die Texte seines Buches schrieb der 32-jährige Neapolitaner, der mit seinem Tatsachenroman "Gomorrha" weltberühmt wurde, für Fernsehsendungen der staatlichen RAI. "Vieni via con me", hieß das Programm, "Komm mit mir mit, Monologe aus der italienischen Wirklichkeit". Sie hatten großen Erfolg. Wer allerdings ehrlich zu sich selbst war, erfuhr, was er schon lange wusste, aber - vielleicht - nicht wissen wollte.

"Das sind keine Geschichten aus der tiefen Provinz. Es sind Geschichten, die uns alle angehen, sie sind das Ergebnis eines Mechanismus, dem diejenigen folgen, die derzeit weite Teile unseres schönen und unglückseligen Landes führen."

Die Sendereihe wurde abgesetzt, denn sie war für das RAI-Management unbequem und für die Regierung unerträglich. Inzwischen verlor Berlusconi seine Regierungsmacht. Das ändert jedoch nichts an der Kraft und der Wahrhaftigkeit der Berichte. Ein Mafioso, eine Kronzeuge der Anklagte, erzählte dem Journalisten ungeheuerliche Dinge.

"Der Staat hätte uns sofort aufhalten können, aber stattdessen sind wir in null Komma nichts reich und mächtig geworden. Die legale Wirtschaft ist auf unser illegales Geld angewiesen."

Mafia und Unternehmertum. Mafia und Politik. An den engen Verbindungen bestehen längst keine Zweifel mehr. Staatsanwälte fanden dafür Beweise. Manchmal mag man es gar nicht glauben, wie organisierte Verbrecher hinterwäldlerisch sein können, jedenfalls zu Beginn ihrer Karriere. Roberto Saviano zitiert einen Mafia-Boss.

"Als mein Bruder ihm eine Lieferung Haschisch mit einem Scheck bezahlen wollte, hat er gesagt: 'Was soll ich mit dem Fetzen? Ich will richtiges Geld!' Und heute, 20 Jahre später, redet er von Aktien, Öl-Investment und Goldpreis."

Mailand, Italiens Wirtschaftsmetropole. Ihren Ruf als das "moralische Italien" hat sie längst verloren. Kriminelle Organisationen sind hier zu Hause, allen voran die N'drangheta, das Verbrechersyndikat aus Kalabrien.

"Die Lombardei ist die Region Europas mit dem höchsten Prozentsatz an kriminellen Investitionen. Die Bosse dringen in die Wirtschaft, ins Gesundheitswesen und in die Politik der Lombardei vor. Mailand ist dadurch die Hauptstadt der kriminellen Geschäfte geworden. Um sich ein Bild davon zu machen, braucht man nur auf einem Stadtplan alle Baustellen und Projekte einzutragen, an denen die N'drangheta interessiert oder bereits im Spiel ist."

Die Liste ist sehr lang. Sie reicht vom Bau des neuen Justizpalastes über neue U-Bahn- und Eisenbahnlinien bis hin zu den Prachtbauten für die Weltausstellung 2015.

Vor 20 Jahren, nach den Morden an mutigen Staatsanwälten, regte sich in der Bevölkerung Widerstand gegen das organisierte Verbrechen. Die Regierung Berlusconi nahm der Anti-Mafia-Bewegung jedoch jeden Elan. Nach dem Ende der Ära Berlusconi könnte sie jedoch wieder Schwung bekommen.

Roberto Saviano ermutigt zu zivilem Ungehorsam. Ein Beispiel dafür ist sein Bericht über einen Priester, der in Kalabrien gegen großen Widerstand lokaler Behörden in einem Haus, in dem früher eine Mafia-Familie lebte, ein Wohnheim für Behinderte einrichtet.

"Die Menschen, die in diesem Haus wohnen und arbeiten, übermitteln eine Botschaft: Wenn man das Haus der Bosse zurückerobern kann, dann kann man vielleicht auch die Gesellschaft zurückerobern. Man muss die Dinge verändern und umgestalten -mit den Mitteln und Fähigkeiten, die man zur Verfügung hat, ohne sich von anderswo Hilfe zu erwarten."

Roberto Saviano hält sich gerne in Deutschland auf. Dort hat er ein bisschen mehr Freiheit als in Italien. Er warnt die Deutschen jedoch vor Unaufmerksamkeit gegenüber der Mafia, einem Krebsgeschwür, das nicht vor Landesgrenzen halt macht.

Roberto Saviano: Der Kampf geht weiter. Widerstand gegen Mafia und Korruption
Carl Hanser Verlag, München 2012
Cover Roberto Saviano: "Der Kampf geht weiter"
Cover: Roberto Saviano: "Der Kampf geht weiter"© Hanser Verlag