Gedichte vom Reisen

05.12.2008
Das Reisen und die Erkundung der Fremde stehen im Mittelpunkt von Ulrike Draesners Gedichtband "berührte orte". Bei der Lektüre des in fünf Abteilungen gegliederten Gedichtbandes fasziniert Draesners sprachkritisches Vermögen und ihr niemals gefälliger Stil.
Gedichte vom Reisen künden oft von überstürztem Aufbruch, von Sehnsüchten, die in einer unbekannten Ferne Erfüllung finden könnten, aber auch von Reisen ohne Grund: ziellos und zeitlos.

In Ulrike Draesners Gedichten "berührte orte" liegt die Betonung auf dem ersten Wort des Titels. Nicht, dass die Städte und Landschaften, die in dieser Lyrik bereist werden, von geringer Bedeutung wären. Ihnen kommt eher die Aufgabe zu, den Vorgang des Sprechens zu erden. Denn in den sinnlichen und mitunter derb gegenständlichen Genüssen, die das Ich unterwegs erfährt, verbirgt sich einerseits ein mächtiges Verführungspotential. Andererseits droht die Sprache angesichts von Gewalt und Not aus dem Takt zu geraten.

So bedarf es dieser Erdung in Indien, Syrien, Finnland, Marokko oder in Norwegen. Vor allem aber arbeitet Draesner die im Wort "berühren" liegende etymologische Bedeutung auf. Schließlich setzt sich nicht nur der Reisende in Bewegung.

An jedem Ort gerät er in neue Kreisläufe, beim Beobachten und Betasten kommt es zu unvorhersehbaren Berührungen und schließlich kommuniziert der Reisende in der Fremde oft mit seinem Körper. Draesner ist am Verlauf dieser unkalkulierbaren Bewegungen interessiert.

So wird das Ritual des islamischen Opferfestes im Gedicht "die kleinen heiligen der cafés" zwar aus einer vermeintlich sicheren Augendistanz heraus beobachtet.

"die kühle der zimmer
blökt den getöteten schafen nach
wo sie lagen köpfe nun auf rosten
der knaben aufgekratzter ruß - auge
und haut die taschen der lust
schwappen fort in schalen
von blut -"


Doch eingehüllt von der Fremdartigkeit des Opfergeruches, von Geräuschen - "wasserpfeifen, frauengeformt" stehen "kalt im gewühl" - und Blicken, rutscht der Traum vom Paradies unweigerlich aus der Logik abendländischer Bestimmung.

Von einem Ritual ganz anderer Art handelt das Gedicht "hammam". In Casablanca wird beim Besuch eines Badehauses der Akt des Säuberns zu einer neuen Körpererfahrung. Zwischen Verzückung und Befremden schwankend, durchlebt das Ich, umringt von geschäftigen Wäscherinnen, Glücksmomente und Angstzustände.

"wie weich sie sind
die riesengefäße
hingegossen auf kacheln
wie hart sie sind
die handschuhe die
sauberkeit… "


Wie anders jenes Gedicht mit dem Titel "revontulet", das in die nördliche Region Finnlands führt. Angesichts der überwältigenden Farbschleifen, die das Polarlicht aussendet - "revontulet" ist das finnische Wort für Nordlicht -, verschwimmen die räumlichen Distanzen und es scheint mehr Erdung vonnöten als bisher.

Dagegen wird in "zufluchtsstätte" Brechts Gedicht aus den "Svendborger Gedichten" kritisch vermessen. Heißt es dort "Das Haus hat vier Türen, daraus zu fliehn" wird bei Draesner fast spöttisch geantwortet:

"vier türen
hatte das haus, nun sind es fünf
drei verriegelt, und vor einer der schrank
mit geschirr. Wenn ich fort bin, schaltet
jemand im waschraum das licht an
und aus. ein geist, der blinkt?"


Nach der Lektüre des in fünf Abteilungen gegliederten Gedichtbandes ist das Reisen fast schon ein vergessener Anlass. Denn es ist Draesners sprachkritisches Vermögen, das fasziniert. Niemals wirkt diese Sprache gefällig. Kontraktionen, Dehnungen und Brüche lassen sie selbst zu einem Ort werden, der immer wieder in Bewegung gerät.

Rezensiert von Carola Wiemers

Ulrike Draesner: berührte orte, Gedichte
Luchterhand München, 2008
118 Seiten, 16 Euro