Gedanken lesen

Von Alexandra Mangel · 01.07.2008
Im Kernspintomografen kann eine Software Aktivitätsmuster im Gehirn eines Probanden nachzeichnen. Wird der Proband vor eine Entscheidung gestellt, haben Forscher dort Erstaunliches herausgefunden: Schon zehn Sekunden, bevor er sie trifft, bereitet das Hirn diese Entscheidung unbewusst vor.
Der Proband wird in den engen Tunnel des Kernspintomografen hineingefahren - die Forscher steuern das Experiment aus einem Nebenraum. In der Röhre des Tomografen wird das Gehirn einem starken Magnetfeld ausgesetzt. Wenn die Hirnzellen aktiv werden, verbrauchen sie Sauerstoff. Durch den erhöhten Sauerstoffgehalt in der Umgebung der Hirnzellen verändern sich die magnetischen Eigenschaften des Blutes. Diese minimalen Veränderungen messen die Wissenschaftler während des gesamten Experiments alle zwei Sekunden an etwa 30.000 Stellen des Hirns gleichzeitig.

Dem Probanden wird nun eine Aufgabe gestellt: Er soll sich entscheiden, einen Knopf entweder mit seiner linken oder mit seiner rechten Hand zu drücken. Für die Entscheidung kann er sich Zeit nehmen – er muss den Forschern aber im Anschluss mitteilen, wann er sich entschieden hat.

Die gigantische Datenflut, die die Forscher gewinnen, wertet im Anschluss eine Software aus. Eine Mustererkennungssoftware, wie sie auch verwendet wird, um Fingerabdrücke zu identifizieren. Sie kann die Aktivitätsmuster im Gehirn des Probanden für jeden Zeitpunkt des Experiments errechnen, sie in ein Bild übersetzen – nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen den Mustern fahnden.

Die Auswertung ergibt Erstaunliches: Die Software identifiziert zwei Regionen im Hirn, die bei den Probanden aktiv werden, noch bevor sie sich nach eigener Aussage entschieden haben. Im Durchschnitt sieben Sekunden vorher. Da der Kernspintomograf die Hirnaktivität mit einer Verzögerung von drei bis vier Sekunden anzeigt, folgern die Forscher: Schon zehn Sekunden, bevor ein Mensch eine Entscheidung trifft, für die ihm kein Zeitlimit gesetzt ist, bereitet das Hirn diese Entscheidung unbewusst vor. Das berühmte Experiment des Hirnforschers Benjamin Libet, an dem sich bis heute Debatten über die Willensfreiheit entzünden, ergab 1979 nur eine unbewusste Vorbereitungsspanne von 0,3 Sekunden.

Und die Forscher können noch mehr: Nehmen sie sich die Aktivitätsmuster in den beiden aktiven Hirnregionen genauer vor, können sie im Durchschnitt mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob der Proband den rechten oder den linken Knopf drücken wollte.


Das Gespräch zum Thema mit John-Dylan Haynes,Hirnforscher am Bernstein Center for Computational Neuroscience, können Sie mindestens bis zum 1.12.08 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.
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