Gebrochenes Herz

02.04.2012
Zum Glück ist Vita Sackville-Wests "Eine Frau von vierzig Jahren" endlich wieder auf Deutsch zu haben. Der Roman über eine Liebe, die gesellschaftliche Normen sprengt, liest sich so frisch und vergnüglich wie vor 80 Jahren.
"Eine Frau von vierzig Jahren" (eng. "Family History") – der deutsche Titel ruft nicht von ungefähr die Erinnerung an Balzacs Roman "Die Frau von dreißig Jahren" (1835) auf. Beide meinen Frauen auf der Schwelle zum Alter – dessen Beginn sich ein Jahrhundert später um zehn Jahre nach hinten verschoben hat.

Sackville-Wests Roman erzählt die Geschichte der schönen, eleganten Evelyn Jarrold, Witwe und Mutter eines 18-jährigen Sohnes, außerordentlich angepasst an die gesellschaftlichen Normen der großbürgerlichen Welt, in der sie lebt, und sehr auf ihren tadellosen Ruf bedacht. Ausgerechnet ihr passiert es, dass sie sich leidenschaftlich in einen 15 Jahre jüngeren Mann verliebt.

Ältere Frau und junger Mann – in den 1930er-Jahren war das noch ein gesellschaftlicher Skandal. Darum kann Evelyn Jarrold nicht offen zu ihrer Liebe stehen. Und die souveräne Leichtigkeit, mit der sie zu Beginn die Beziehung lebt, wandelt sich bald in eine fordernde, ständig unzufrieden-kritische Haltung gegenüber dem Mann, der sie zwar sehr liebt, für den jedoch die Politik einen Großteil seiner Zeit in Anspruch nimmt. Eifersucht auf seine Aktivitäten und Angst, ihn früher oder später an eine Jüngere zu verlieren, veranlassen sie nach einem heftigen Streit dazu, sich zu trennen. Da ihr Lebensinhalt jedoch diese Liebe war, die sie eigentlich erst jetzt, im "reifen" Alter von 40 Jahren, zum ersten Mal wirklich erlebt hat, stirbt sie – wie eine Romanheldin des 19. Jahrhunderts – romantisch an gebrochenem Herzen.

Vita Sackville-Wests elegante, kluge und pointierte Prosa ist den Modellen des englischen Gesellschaftsromans des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verpflichtet. Dieses Register beherrscht die Autorin meisterhaft. Gerade darum lesen sich die Romane heute noch so frisch wie vor 80 Jahren.

"Eine Frau von vierzig Jahren" ist glücklicherweise endlich wieder auf Deutsch erhältlich: Die Berliner Edition Ebersbach hat eine Übersetzung aus den 1950er-Jahren überarbeiten lassen und zum Geburtstag der Autorin in einer sehr schönen Ausgabe veröffentlicht. Die Überarbeitung glättet und modernisiert manche Stellen, andere hätte man so lassen können, wie sie waren. Für den Lesefluss etwas hinderlich ist die Interpunktion, die die Permissivität der neuen Rechtschreibregeln arg überstrapaziert.

Es ist vermutet worden, die unkonventionelle Liebesbeziehung im Roman sei auch eine indirekte Auseinandersetzung mit der Unkonventionalität von Sackville-Wests eigener Lebensführung, die vor und während ihrer Ehe lesbische Beziehungen hatte. Erstaunlich ist, dass sie ihrer Heldin keinen anderen Ausweg lässt als den Tod – bestätigt der Roman damit nicht das Bild von Frauen als reinen Gefühlswesen, die keine künstlerischen, politischen oder allgemein intellektuellen Interessen haben? Man kann ihn jedoch stattdessen auch als indirekte Kritik an einer Gesellschaft lesen, die für Frauen nur diese eine Rolle vorsieht.

Lesenswert ist der Roman allemal, mehr noch: ein Lesevergnügen.

Besprochen von Gertrud Lehnert

Vita Sackville-West: Eine Frau von vierzig Jahren
Roman
Aus dem Englischen von Th. A. und I. Knust, neu bearbeitet von Heidi Feilhauer
Edition Ebersbach, Berlin 2012, 415 Seiten, 24,80 Euro
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