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"Nat Turner in Jerusalem" am New York Theater Workshop
Die Angst vor dem schwarzen Körper

Ein neues Theaterstück in New York lässt den Anführer eines Sklavenaufstandes zu Wort kommen – fast 200 Jahre nach seiner Hinrichtung. Seine Worte beschreiben auf geradezu prophetische Weise die Situation in den USA kurz vor der Wahl des neuen Präsidenten.

Von Andreas Robertz | 05.10.2016
    Phillip James Brannon bei den Proben zum Stück "Nat Turner in Jerusalem" am New York Theatre Workshop
    Phillip James Brannon bei den Proben zum Stück "Nat Turner in Jerusalem" am New York Theatre Workshop (Joan Marcus)
    Ein Mann liegt in Ketten; durch einen Fensterrahmen nah der Decke scheint warmes Licht auf ihn herab. Es ist die letzte Nacht vor seiner Hinrichtung, sein letzter Sonnenuntergang. Als Anwalt Thomas Gray sich in das Licht stellt und ihn auffordert noch einige Fragen zu seinem Schuldbekenntnis zu beantworten, bittet Turner ihn Diogenes gleich ihm aus der Sonne zu gehen. Philipp James Brannon spielt Nat Turner nicht in Angstschweiß gebadet oder beladen voller Schuld wegen der Männer, Frauen und Kinder, die er ermordet hat, sondern in Frieden mit sich und dankbar – ein Umstand, den der weiße Anwalt nur schwer verstehen kann und seine Angst vor dem schwarzen Mann noch erhöht.
    Über die letzte Nacht des Nat Turner, des Anführers des Sklavenaufstandes von 1831 in Virginia ist viel unter amerikanischen Historikern diskutiert worden. Einzig das nach seinem Tod von Thomas Gray, einem verarmten Pflichtverteidiger, veröffentlichte Schuldbekenntnis ist als Zeitzeuge übrig geblieben und die Eloquenz und sprachliche Poesie des Dokumentes hat schon früh Historiker an seiner Authentizität zweifeln lassen: wie sollte denn ein ungebildeter Sklave zu so einer Sprache fähig sein? Ähnlich wie in Nate Parkers’ Film "The Birth of a Nation", der auf dem diesjährigen Sundance Film Festival das Publikum begeisterte und im Oktober in den USA in die Kinos kommt, ist in Autor Nathan Alan Davis’ Dramatisierung dieser Nacht Nat Turner ein kraftvoller und von seinem Handeln überzeugter Mann, ein schwarzer William Wallace. Gott habe ihm in Visionen seinen Weg der göttlichen Rache aufgezeichnet, die Familien aller seiner Besitzer zu töten und das schwarze Volk in Waffen gegen seine Widersacher zu führen. Und er wollte nach Jerusalem, in Virginia, gebracht werden, um dort zu sterben. Messianische Anklänge sind beabsichtigt. Thomas Gray will Namen von Mitverschwörern wissen, von Plänen eines noch größeren Aufstandes. Vorsorglich hat er sich die Copyrights von Turners Bekenntnis gesichert, hofft er doch, dass sich damit Geld machen lässt. Doch für Turner, der immer im Besitz anderer war, ist die Idee, dass jemand Geld dafür bezahlt hat, dass seine Worte ihm gehören, genauso absurd wie die Idee der Sklaverei selbst.
    Held oder Terrorist?
    Eine dritte Figur, der Gefängniswärter, wird von demselben Schauspieler wie Thomas Gray gespielt. Er bewundert die unbeugsame Gradlinigkeit Turners, der mit ihm philosophiert, auf welcher Seite der Gitterstäbe der eigentliche Gefangene sitzt. In einer anderen Welt wären die beiden vielleicht Freunde geworden. Es gibt viele interessante Momente im Stück, aber auf weiten Strecken vermisst man Dynamik und Dramatik. Außer einer guten Dialogführung und aggressiver Hip-Hop Musik in den Szenewechseln hat Regisseurin Megan Sandberg-Zakan dem Abend leider nichts hinzuzufügen und trotz der durchweg guten Darsteller wirkt er mit seinen 90 Minuten zu lang, der Text zu repetitiv. Die Stärke mag in seiner Relevanz liegen, doch wäre es wichtig gewesen, ästhetische Übersetzungen für den Konflikt zu finden. Auch eine Parallele zu religiösem Fanatismus wäre interessant gewesen, denn was dem einen ein Held, ist dem anderen ein Terrorist. So ist es ein anregender Abend für Diskussionen geworden, mehr aber nicht. Trotzdem langer Applaus für ein sichtlich bewegtes Publikum. Die Betroffenheit über die politische Situation und die Auseinandersetzung über Rassismus im Amerika dieser Tage ist allgegenwärtig. Und wenn man den prophetischen Worten Turners glauben darf, dann wird der Aufruhr nicht eher enden, als die Ungerechtigkeit, die ihn auslöst.
    Stücke wie "Nat Turner in Jerusalem" erfüllen da eine wichtige Rolle. Ein Großteil des Publikums bleibt denn auch nach der Vorstellung zu einer Nachbesprechung sitzen.