Aus den Feuilletons

Schluss für ungarische Oppositionszeitungszeitung

Budapest
Protest gegen die Schließung der ungarischen Zeitung Népszabadság am 09.10.2016 in Budapest. © imago/PuzzlePix
Von Adelheid Wedel · 09.10.2016
Népszabadság, die größte linksliberale Zeitung in Ungarn, hat dicht gemacht. Wirtschaftliche Probleme - so die offizielle Begründung. Die Schließung sei ein "tiefer Einschnitt", urteilt die "Süddeutsche Zeitung".
"Népszabadság war mit einer täglichen Auflage von knapp 40 000 Exemplaren immer noch die größte Tageszeitung und die wichtigste, die von der Regierung Orbán noch nicht gleichgeschaltet war,"
schreiben Ralf Leonhard und Tibor Rácz in der Tageszeitung TAZ. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort "war", denn seit diesem Wochenende gibt es die Zeitung in Ungarn nicht mehr. Den etwa hundert Redakteuren wurde per Boten mitgeteilt,
"dass sie ab sofort vom Dienst freigestellt sind".
Die Zeitung vom Montag erscheint nicht mehr. "Die Diensthandys der Mitarbeiter wurden blockiert."
Das Ende des "Flaggschiffs der linksliberalen Presse" wurde mit ökonomischen Verlusten begründet. Die Redaktion glaubt nicht daran, im Gegenteil, die Rede ist, laut TAZ,
"von einer sorgfältig orchestrierten Hinrichtung der lästigen Zeitung".
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichtet:
"Eine der letzten großen Enthüllungsgeschichten der Traditionszeitung handelte von Orbáns Kabinettschef Antal Rogán",
dem Korruption und Machtmissbrauch vorgeworfen werden. Cathrin Kahlweit nennt in der SZ diesen Medientod einen "tiefen Einschnitt. Das Blatt und die Webseite waren unter den letzten, die in der ungarischen Medienlandschaft kritisch berichteten".
Zwar liegen die Zahlen der Protestierenden weit auseinander – die taz schreibt, es waren 5000, die SZ spricht von tausend Mitarbeitern und Sympathisanten, die am Samstagabend vor dem ungarischen Parlament in Budapest "für" Népszabadság auf die Straße gingen – feststeht, es meldet sich hundertfacher Protest gegen das Vorgehen, eine weitere "oppositionelle Stimme Ungarns zum Verstummen" zu bringen. Allerdings "zu spät", bedauert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

Plädoyer für eine streitfreudiges Volk

"In einer gesunden Demokratie ist das Volk laut und unberechenbar", meint Paul Ingendaay in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG in seinem Plädoyer für die "Sprechchöre, Schmähungen, Tröten und Trillerpfeifen der Wutbürger, für all das, was vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist".
Das grenzt er entschieden ab "von gewalttätigen Übergriffen, für die eine gut vorbereitete Polizei zuständig sein sollte", er grenzt es ab "von Rassismus, brennenden Flüchtlingsheimen und Todesdrohungen durch die extreme Rechte".
Der Autor bezieht sich in seinem Beitrag auf Carolin Ehmckes neues Buch "Gegen den Hass", aus dem er vor allem ein "Lob des Vielstimmigen" herausliest, "weil so die Freiheit des Individuellen und auch Abweichenden zu schützen ist".
Er entwickelt als demokratisches Ideal, "dass wir in der Lage sein sollten, die eigenen Positionen in Zweifel zu ziehen; dass wir undogmatisch denken und Vielstimmigkeit aushalten. Dass Ab-weichung nichts Schlechtes ist, sondern zum Leben gehört und selbst-verständlich eine Stimme verdient."

"Der Patient sind wir selbst"

Es gehöre zum "Betriebsgeräusch der Demokratie", erklärt Ingendaay, "dass das Volk laut ist". Man sollte nicht immer gleich aufjaulen, wenn wüste Worte fallen und nicht voraussetzen, dass alle unseren Diskurs teilen. Zusammenfassend erläutert er:
"Derzeit sieht so aus, als beugte sich das bessere Deutschland im Arztkittel über die lärmenden Protestgruppen im Osten und fragte sich jeden Tag aufs Neue, wie dem Patienten zu helfen sei."
Das sei "eine entmündigende Haltung. Der Patient sind wir selbst", gibt der Autor zu bedenken.

"Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Nachwende-Eindruck gesellschaftlicher Homogenität nur einen Teil der deutschen Wirklichkeit wiedergibt. Andere Interessen verschaffen sich neuerdings Gehör. Nehmen wir die Herausforderung an", empfiehlt er. "Werden wir unsererseits lauter und ziehen wir markantere Grenzen."

Trump und Entschuldigungen

Mit Blick auf Amerika verrät uns der dortige Mitarbeiter der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, "in den USA liebt man Entschuldigungen. Im derzeitigen Wahlkampf hat Hillary Clinton zwar mehrfach von Donald Trump Entschuldigungen verlangt, das Wort indes in eigenen Angelegenheiten gemieden".
Trump hingegen in einem Fernsehinterview: "Ich bin völlig überzeugt, dass es eine großartige Sache ist, sich zu entschuldigen."
Selbstsicher fügt er hinzu: "Aber dafür muss man im Unrecht sein." Die Suche nach einer Gelegenheit sich zu entschuldigen hat für ihn inzwischen ein reichlich glitschiges Ende erreicht.
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