Gastland der Buchmesse 2018

Der schwierige Weg georgischer Autoren in die Freiheit

Eine Besucherin greift auf der Frankfurter Buchmesse nach einem Buch eines georgischen Verlages.
Literatur aus Georgien ist hierzulande bislang wenig bekannt. © picture alliance/dpa/Fabian Sommer
Von Martin Gerner · 08.10.2018
Georgien ist in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse. Doch Autoren hier bekannt zu machen, ist nicht einfach. Zumal die Verbindung zwischen beiden Ländern bereits zu Sowjetzeiten unter Stalin heftig beschädigt wurde.
Ana Kordsaia-Samanaschwili ist Übersetzerin. Ihr Deutsch bringt Autoren wie Elfriede Jellinek oder Rüdiger Safranski georgischen Lesern näher. Die Grundlage habe bei ihr nicht Schule oder Universität gelegt, sondern ihre "deutsche Tante":
"Meine liebe Tante Nina bemühte sich nicht nur, mir Deutsch zu unterrichten. Sie wollte auch, dass ich eine anständige Dame bin. Eine gut erzogene Frau, wie sie sagen würde. Und so begann ich Deutsch zu sprechen. Deutsch habe ich nie studiert. Weder an der Schule noch an der Uni."
Wie Anas Tante Nina gelang es einigen deutschen Frauen mit nicht-deutschen Ehemännern, Stalins Deportation zu entgehen. Ihre Haushalte wurden ab Mitte der 50er-Jahre zu Keimzellen deutscher Sprache und Kultur:
"Als ich erstmals nach Deutschland kam, war das natürlich ein kleines bisschen schockierend: Ich sprach ein gutes schwäbisches Deutsch aus dem 18. Jahrhundert. Mit all den Kronleuchtern und den Beinkleidern."

Bestraft für nicht-ideologische Vorlesungen

Mit dem Tauwetter erhält Deutsch wieder seinen Platz an der Germanistik-Fakultät in Tiflis. Naira Gelaschwili, auch sie Übersetzerin und Autorin, lehrt hier in den 70er-Jahren. Ihr Wunsch: ein Studium in der DDR. Aber sie ist nicht linientreu:
"Man hat mir verboten, in die DDR zu fahren. Ich wollte dort mein Studium fortsetzen. Man hat mir das nicht erlaubt. Der KGB, meine ich. Ich war sehr anti-sowjetisch. Als ich die Uni beendet hatte, wollte ich mein Studium wenigstens dort fortsetzen, in Jena. Wir hatten damals schon einen Studentenaustausch, der bis heute geht. Alle durften fahren. Nur ich habe nie in Deutschland studiert. Und das ist für mich wirklich ein großer Schmerz geblieben."
Ohne Reiseerlaubnis macht Naira Gelaschwili in Tiflis, was ihr an Optionen bleibt:
"Mein Fach war die Geschichte der deutschen Literatur. Und ich habe nicht gemacht, was man von uns wollte. Ich habe also keine ideologischen Vorlesungen gehalten. Ich habe so gesprochen, wie es ist. Also Hölderlin gemacht, die Klassik, die Romantik, die Literatur des 20. Jahrhunderts. Das war absolut nicht entsprechend der marxistisch-leninistischen Literaturwissenschaft."
Man bestraft sie. Schiebt sie ab in eine Amtsstube:
"Das war 1980. Danach bin ich in das Kollegium der Übersetzer gekommen. Ich war Redakteurin und war speziell zuständig für die Übersetzung der deutschen Literatur ins Georgische. Ich musste vergleichen. Das war eine große Erfahrung. Ich musste die Übersetzung mit dem Originaltext vergleichen. Wie ist es übersetzt? Ist der Text genau verstanden, richtig verstanden? Entspricht die Übersetzung stilistisch dem Originaltext?"

Wichtige Rolle von Übersetzungen

200 Bücher georgischer Autoren in Frankfurt und in deutschen Buchläden ab jetzt – das klingt nach Normalität. In Wahrheit haben sich deutsche Verlage lange gesträubt, so Rachel Gratzfeld. Sie hat in der Schweiz für den Klett-Cotta Verlag gearbeitet, bevor sie als Literatur-Agentin nach Tiflis ging.
"Das war eine ganz ganz, ganz mühsame Arbeit, weil man den Verlagen erklären musste: Was ist überhaupt Georgien? Wo liegt Georgien? Was macht Georgien aus, was macht die georgische Literatur aus? Das war Klinkenputzen. Das hab ich sieben Jahre lang gemacht."
Gratzfeld hat so eine Reihe georgischer Autorinnen entdeckt und vermittelt. Zuletzt versammelt in dem Band "Bittere Bonbons". Tiflis ist längst ihre Wahlheimat:
"Es ist einfach ganz schwierig, einen Autor, der einen unaussprechlichen Namen hat, den keiner kennt, der eine Sprache spricht, die keiner kennt und keiner lesen kann, zu vermitteln. Das ist wahnsinnig schwierig. Das kann man nur in Einzelfällen machen."
Bringt die Buchmesse also eine Wende? Viel hänge von guten Übersetzungen ab, so Gratzfeld. Hinter den Kulissen forciert sie deshalb, zusammen mit dem Goethe-Institut, deutsch-georgische Übersetzerwerkstätten. Eine Kunst, die auch absehbar keine Compüuer-Programme schaffen.
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