Gartenreich Dessau-Wörlitz

Weltkulturerbe vom Winde verweht?

Frühlingserwachen mit Blick auf das Palmenhaus im Wörlitzer Park in Dessau
Frühlingserwachen mit Blick auf das Palmenhaus im Wörlitzer Park in Dessau © picture alliance / dpa
Von Richard Fuchs · 10.03.2015
Kein anderes Bundesland hat so viele Kultur- und Denkmalschätze wie Sachsen-Anhalt. Ein Problem: Schützenswerte Landschaften werden durch neue Stromtrassen und Energieinfrastruktur zerteilt. Die Denkmalschützer schlagen Alarm.
"Ich begrüße sie alle recht herzlich im Gartenreich Dessau Wörlitz. Sie stehen hier vor einem der berühmtesten Gebäude der deutschen Baugeschichte."
Annette Scholtka, Baudenkmal-Pflegerin der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, strahlt, als sie die Besuchergruppe vor dem monumentalen Gebäudekomplex begrüßt.
Sie steht vor dem Luisium, dem Landhaus einer anhaltinischen Fürstin aus dem 18. Jahrhundert. Ein kubischer, ockerfarbener Klotz, reich mit Ornamenten verziert, der als zentrale Landschaftsmarke über einem Gartenreich der Superlative thront.
"Wir machen jetzt den Aufstieg hoch zum Belvedere, damit sie den Blick in die Landschaft genießen können. Und diesen englischen Landschaftsgarten und die im ganz großen Stil gestaltete Landschaft dieses Gartenreiches sehen können."
Und diese Landschaft, die Reform-Fürst Franz von Anhalt Dessau ab 1758 für seine Untertanen erschaffen ließ, hat es noch heute in sich: Egal wohin der Blick fällt - nichts als Wasser, Wiesen und Wälder, dazwischen Kirchen, Paläste, Torbögen und Brücken.
Deiche, Gräben und Flanierwege strukturieren das Bild, erklärt Scholtkas Kollege, Gartenforscher Horst Woche auf der Aussichtsplattform:
"Das war der erste rein englische Landschaftsgarten auf dem europäischen Kontinent. [...] Dieses historische Gartenreich hatte ja während der Entstehungszeit eine Gesamtfläche von nahezu 700 Quadratkilometern, wovon heute circa 142 Quadratkilometer seit 2000 als Weltkulturerbe anerkannt sind."
Ein Markenzeichen des Gartenreichs: Klare Sichtbeziehungen - also Alleen, die auf Obelisken zulaufen. Oder Waldschneisen, die auf Kirchtürme jenseits der eigentlichen Parkanlage verweisen, erklärt der Gartenforscher:
"Wir erleben hier eine Sichtachse Richtung Coswig zur Kirche, Das ist eine von weit über 300 Sichtachsen die in historischen Unterlagen erwähnt und beschrieben wurden. Und von diesen knapp 300 Sichtachsen haben wir knapp 100 wieder freistellen können."
Windräder in 200 Meter Höhe
Doch just diese einmaligen Sichtbeziehungen sind jetzt akut gefährdet, erklärt der Kulturlandschafts-Liebhaber Horst Woche. Und mit den Sichtbeziehungen auch der Status des Gartenreichs als Weltkulturerbe. Der Grund: In der fünf Kilometer vom Gartenreich entfernten Kommune Luko sollen neue Windräder gebaut werden.
Neue Windparks, die größer und höher sind als alles, was bislang rund um das Gartenreich gebaut wurde.
Stehen bislang nur Windräder mit einer Gesamthöhe von maximal 100 Meter am Rand des Gartenreichs sollen jetzt Windrad-Kolosse mit über 200 Meter Gesamthöhe gebaut werden.
"Wenn jetzt diese Windräder in Luko wie geplant mit 200 Meter Höhe gebaut werden, dann würde man diesen Windpark weiter linksliegend noch viel stärker sehen. Und das würde einfach die Ruhe hier im Gartenreich stören....."
Auch deshalb hat die Kulturstiftung DessauWörlitz Widerspruch gegen den Bau der neuen Riesen-Windräder eingelegt. Denn für die Denkmalschützer ist klar: Was da fünf Kilometer vom Kernbereich des Gartenreichs geplant ist, das lässt sich nicht harmonisch ins historisch-gewachsense Landschaftsbild einfügen, sagt die Baudenkmal-Pflegerin Scholtka:
„Die Frage ist doch bei den Windkraftanlagen, den richtigen Standort zu finden. Es gibt viele Standorte, die so weit weg sind, dass man sie eben von diesem ganz wichtigen Deich der Wörlitzer Anlagen aus nicht sieht".
Flächendenkmäler gehören eben auch in der Fläche geschützt, findet Annette Scholtka. Ein Argument, das Marion Schilling von der Planungsgemeinschaft Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg viel Ärger beschert. Sie ist für jenen Regionalentwicklungsplan mitverantwortlich, der die Windkraft-Vorranggebiete in der Region ausweist. Und damit auch die neuen Windparks bei Luko.
Heute ist Marion Schilling selbst Teil der Besuchergruppe, um sich ein Bild vom Problem der Sichtbeziehungen zu machen. Auch Marion Schilling hat nichts gegen den besonderen Schutz des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches.
Der Streit geht weiter
Aber fünf Kilometer vom eigentlichen Gartenreich entfernt sei der Schutz des Kulturerbes dann auch irgendwann beendet, findet sie. Nicht zuletzt, weil es sonst eng wird mit der Energiewende in Sachsen-Anhalt. Sie schaut vom Aussichtspunkt auf den Horizont im Norden des Parks. Ihr Blick fällt auf drei kleinere Windräder.
"Gucken sie mal dahin, ich hab da vorhin überlegt, welcher Windpark das ist, wie weit ist der weg, was denken sie? Zehn, fünfzehn Kilometer. Und dann wüssten sie, wie weit wir in dieser flachen Ebene kein Windrad mehr aufstellen könnten."
Ob die 200-Meter-hohen Windrad-Kolosse von Luko in der Nachbarschaft des Gartenreichs tatsächlich gebaut werden, das ist derzeit noch nicht endgültig entschieden. Und ebenso wenig ist klar, ob der UNESCO-Weltkulturerbe-Titel von Dessau Wörlitz tatsächlich gefährdet ist.
Klar ist nur: Der Streit zwischen Energie- und Kulturlandschaft hat erst begonnen.
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