Gartenbuch

Wissenschaft unterfüttert mit Gefühl

Naturgarten in Mecklenburg-Vorpommern
Der Garten als Forschungs- und Erinnerungsraum © imago / blickwinkel
Von Barbara Wahlster · 29.05.2015
Die österreichische Schriftstellerin Barbara Frischmuth hat eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Garten. Ihr Buch "Der unwiderstehliche Garten" ist weit mehr als Tagebuch, es geht um Forschung und Erinnerung.
Barbara Frischmuth gehört zu den produktivsten Schriftstellerinnen Österreichs und wer das Werk der 1941 Geborenen verfolgt hat, weiß von ihrer besonderen "Beziehungsgeschichte" – der mit ihrem Garten in Altaussee im steirischen Salzkammergut. Dort, an den Ort ihrer Kindheit, ihrer frühen Einführung in Naturbeobachtung und Tierliebe, ist sie vor rund 25 Jahren zurückgekehrt.
Wie schon in ihren früheren Büchern rund um den Garten, schreibt die passionierte Gärtnerin nicht einfach ein Tagebuch, hält sich nicht nur auf bei den Beschwernissen, Freuden und Rückschlägen, Passionen, Sorgen und Verrücktheiten, die zur Pflege eines Gartens gehören. Das aufgrund von Lage und Klima nicht ganz einfache Terrain, um das sie sich kümmert, ist ihr Forschungs- und Erinnerungsraum. Dort entdeckt sie Neues, kehrt zu alten Fragen zurück und lässt sich immer wieder den Blickwinkel verschieben, öffnet doch die Begegnung mit scheinbar Bekanntem und Vertrauten den Horizont über das eigene Ich und auch über das nur Ästhetische hinaus.
Beobachtungen, Annäherungen, Intuitionen
In der Nähe zu, ja, im Miteinander mit scheinbar stummen Lebewesen, steckt für Barbara Frischmuth die Verlockung – die der Selbstvergessenheit durchaus, aber mehr noch die des Perspektivwechsels beim Versuch, andere Seinsweisen zu verstehen. Die Welt mit fremden Augen sehen zu wollen, sich zu imaginieren, wie sie als Gärtnerin von ihren Pfleglingen wahrgenommen wird, das hat nichts mit Esoterik zu tun. Die von der Pflanzenneurobiologie und anderen avancierten Forschungen mittlerweile bestätigten Erkenntnisse über intelligentes Verhalten von Pflanzen, ihr elaboriertes Informations-, Schutz- und Alarmsystem, ihre Überlebensstrategien gleicht Barbara Frischmuth immer wieder ab mit eigenen Beobachtungen, Annäherungen, Intuitionen – etwa über die Finten der pflanzlichen Sexualität. Gleichsam en passant liefert sie Erkenntnisse mitsamt Lektürehinweisen, Fragen und lustvollen Spekulationen. Auch literarische Grenzgänge, etwa von Lewis Carolls' Alice im Wunderland, oder schamanische Imaginations- und Erfahrungswelten nähren ihre zuweilen wissenschaftlich unterfütterten, zuweilen sympathisch frei flottierenden Überlegungen.
Leerstellen tun sich auf
Ein nahezu herkulisches Unternehmen steht zu Beginn des Buches: der Vorsatz, angesichts schmerzender Knie und nachlassender Kräfte den Garten verkleinern, den Aufwand zurückschrauben zu wollen. Auch das verlangt, wie jedes Zukunftsprojekt, sorgfältige Planungen, Fehlschläge eingeschlossen. Ob Hauruck-Aktionen oder halbherzige Verkleinerungen von Beeten: Leerstellen tun sich auf, Nachjustierungen misslingen, bereits erfolgte Pflanzungen sind plötzlich vergessen. Und dann beginnen die allen Gartenkümmerern so bekannten Hamsterkäufe, das Wühlen in Kisten mit alten Dokumentationen, das Hin- und Her zwischen abgeklärtem Pragmatismus und einem erneuten Aufschwung in Zukunftsvisionen. Ohne die lässt sich nicht gärtnern, selbst wenn die Endlichkeit des eigenen Bemühens – und damit des Lebens – zu den zentralen Gedanken des Buches gehört.
Mäandernd zwischen den nötigen Handgriffen im Hier und Jetzt und weit ausgreifenden Überlegungen hat Barbara Frischmuth ein ebenso kluges wie anregendes und berührendes Buch geschrieben – anmutig illustriert von Melanie Gebker.

Barbara Frischmuth: Der unwiderstehliche Garten. Eine Beziehungsgeschichte
Illustriert von Melanie Gebker
Aufbau Verlag, Berlin 2015
240 Seiten, 24,20 EUR

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