Garry Disher: "Barrier Highway"

Distanzschüsse im Hinterland

03:55 Minuten
Das Cover des Buches "Barrier Highway" auf orange-weißem Grund.
In "Barrier Highway" entdeckt Constable Paul Hirschhausen ein Mädchen in einem verriegelten Wohnwagen. © Deutschlandradio / Unionsverlag
Von Kolja Mensing · 20.08.2021
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Vernachlässigte Kinder, Wäschediebstähle und entsicherte Jagdgewehre: Der Australier Garry Disher zeichnet in "Barrier Highway", dem dritten Band seiner Constable-Hirschhausen-Reihe, das Bild einer Gesellschaft mit immer schwächeren Bindungskräften.
Es beginnt mit einem Anruf. Die Grundschullehrerin macht sich Sorgen um ein Kind, das von ihren Eltern zu Haus auf einem Hof unterrichtet wird. Paul Hirschhausen – er ist der einzige Polizist in Tiverton und Umgebung – heftet seine Handynummer an die Haustür und macht sich in seinem Dienstwagen auf den Weg ins südaustralische Farmland.
Der Hof der Familie wirkt verlassen, doch schließlich entdeckt Hirschhausen einen verriegelten Wohnwagen. Und darin eingesperrt ein verängstigtes elfjähriges Mädchen.
"Barrier Highway" ist der dritte Band in Garry Dishers Reihe um Constable Paul Hirschhausen, und er beginnt mitten im ganz normalen Elend: eine Frau, die ihre Stieftochter nur mit einer Windel und einem schmutzigen Wollpullover bekleidet in einem alten Wohnwagen wegschließt.
Es ist vermutlich kein Fall für die Polizei, sondern für die staatliche Fürsorge, "Unterstützung und Beratung", ohne Aussicht auf Besserung.

Schießwütige Querulanten

Paul "Hirsch" Hirschhausen – der vor 18 Monaten aus Adelaide ins Hinterland versetzt worden ist, weil er gegen mutmaßlich korrupte Kollegen ausgesagt hat – ist immer noch nicht ganz angekommen im desillusionierenden Alltag eines Kleinstadtpolizisten. Diesmal: ein vernachlässigtes Kind, Wäschediebstähle bei älteren Frauen, schießwütige Querulanten auf einer Farm.
Am Anfang ist nicht ganz klar, was eigentlich genau der "Fall" in "Barrier Highway" ist, doch dann gibt es den ersten Toten. Und dann noch zwei weitere.
Garry Disher ist der Großmeister des australischen Thrillers. Paul Hirschhausen ist auf den ersten Blick schwerer zu fassen als andere seiner Protagonisten zuvor, aber genau das macht die aktuelle Reihe von Garry Disher so interessant: Der strafversetzte Cop war schon in "Bitter Wash Road" (auf Deutsch 2016 erschienen) kein Sympathieträger – ein bisschen zu eifrig, viel zu sehr von der eigenen moralischen Integrität eingenommen.

Besuch bei den Einsamen

In "Barrier Highway" wirkt er jetzt mehr und mehr zwanghaft: die tägliche Morgenpatrouille mit der "Taschenlampe aus dem Zwei-Dollar-Laden", egal bei welchem Wetter natürlich, dazu seine regelmäßigen Besuche bei den Schutzlosen und Einsamen im Bezirk, die einem penibel aufgestellten Wochenplan folgen und dem verzweifelten Versuch gleichkommen, seine vage Angst vor "Unheil und Chaos" durch Routine und hart antrainierte Freundlichkeit zu bezwingen.
Paul Hirschhausen ist ein Mann, der sich selbst und andere kontrolliert auf Abstand hält. Und es scheint, als ob diese distanzierte Perspektive es Garry Disher ermöglicht, noch einmal präziser, dichter und kristalliner zu schreiben.
In der Constable-Hirschhausen-Reihe prallen ausgefahrene Schotterpisten und toxische Einsamkeit aufeinander, entsicherte Jagdgewehre, Familiendramen und lebenslange Enttäuschungen.
Garry Disher zeichnet so vor dem Hintergrund des wüsten australischen Hinterlands und der kleinen, kaputten Welt von Tiverton das Bild einer Gesellschaft mit immer schwächer werden Bindungskräften. Verstörend.

Garry Disher: "Barrier Highway"
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Unionsverlag, Zürich 2021
352 Seiten, 22 Euro

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