Gahler: Neuwahlen in Palästina kein Weg aus der Krise

Moderation: Birgit Kolkmann · 19.12.2006
Die von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas angekündigten Neuwahlen in den Palästinensergebieten können nach Einschätzung des Europapolitikers Michael Gahler (CDU) die anhaltende Konfrontation zwischen Fatah und Hamas nicht beenden. Neuwahlen gegen den Willen der Hamas würden den Konflikt nur verlängern.
Kolkmann: Er setzt alles auf eine Karte, die der Neuwahlen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bekommt aus dem Ausland viel Unterstützung für seine Entscheidung, aber in den Palästinensergebieten gerieten die Lager seiner Fatah und der Hamas gefährlich nah an den Rand eines Bürgerkriegs. Seit Sonntag gilt nun eine Waffenruhe, vereinzelte Schüsse und Gefechte gestern und nahezu demonstrative Unterstützung von Großbritanniens Premier Tony Blair bei seiner Nahostreise. Nun soll noch einmal ein Versuch gemacht werden, eine Regierung einer nationalen Einheit zu bilden. Zum Interview im Deutschlandradio Kultur begrüße ich nun den CDU-Europaabgeordneten Michael Gahler. Guten Morgen in der Ortszeit!

Gahler: Morgen!

Kolkmann: Herr Gahler, Sie sind auch stellvertretender Vorsitzender des Entwicklungsausschusses und dort auch mit den Hilfen für die Palästinenser befasst. Wagt Abbas da eine gefährliche Gratwanderung?

Gahler: Also es fängt ja schon mal damit an, dass die Rechtslage unklar ist, ob der Präsident überhaupt selber Neuwahlen ansetzen darf, das wird ja auch bestritten. Also wenn ich der Überzeugung wäre, dass Neuwahlen ein Weg aus der Krise wären, dann würde ich das unterstützen. Aber ich habe leider nicht diesen Eindruck. Der Hauptgrund ist, dass ja Hamas nach derzeitigem Stand die Neuwahlen ablehnt, und die Wahl gegen Hamas durchzusetzen, das, glaube ich, bedeutet nicht Ende der Konfrontation, sondern eher anhalten der Konfrontation.

Kolkmann: Wie schätzen Sie die Situation der Bevölkerung ein? Also alle leiden ja darunter, dass wirtschaftlich Palästina isoliert ist durch das Ausland. Das bekommt jeder zu spüren. Auf der anderen Seite droht Hamas mit einem Wahlboykott für den Fall der Neuwahlen. Würden die Menschen das unterstützen?

Gahler: Also, ich glaube, für die Menschen steht im Vordergrund auch das tägliche Überleben. Und wir haben zwar die neue Regierung als Europäische Union bisher boykottiert aus dem Grund, weil sie unter anderem eben das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. Wir haben aber die Hilfen für die Bevölkerung fortgesetzt. Das ist ein bisschen kompliziert gewesen. Es ist dazu ein so genannter zeitweiliger internationaler Mechanismus eingerichtet worden, der jetzt auch bis März 2007 erstmal gilt. Und wir haben es geschafft, auch in diesem Jahr 330 Millionen Euro als EU- und Mitgliedstaaten für die Bevölkerung zur Verfügung zu stellen, zum Beispiel die Trinkwasserversorgung für die 1,3 Millionen Menschen in Gaza sicherzustellen oder auch 600.000 Menschen erhalten praktisch direkte Beihilfen für den Lebensunterhalt oder Stromversorgung in den Krankenhäusern mit zwei Millionen Litern Treibstoff finanziert. Das sind konkrete Maßnahmen der EU, die deutlich machen, den Menschen wollen wir helfen, aber Hamas als Regierung eben nicht stützen.

Kolkmann: Die Situation, wie sie sich nun zugespitzt hat in der Konfrontation zwischen Hamas und Fatah, ist dieses auch eine Konsequenz der Isolationspolitik?

Gahler: Also, ich glaube, es ist eine Konsequenz der Tatsache, dass sich die Palästinenser letztlich nicht auf einen realistischen Zeitplan oder auf eine realistische Tagesordnung einigen können. Ich glaube, realistisch ist das, was Fatah in Bezug auf den Friedensprozess beschlossen hat, also Israel anzuerkennen und die so genannte Road Map, also den Weg zum Frieden zu beschreiten. Und wenn eben Hamas vor allen Dingen auch aus Damaskus geleitet wird – das sitzt ja der starke Mann, Herr Mashal -, dann ist das nicht sehr hilfreich, obwohl er jetzt offenbar erstmals auch dazu aufgerufen hat, eher für eine Regierung der nationalen Einheit sich einzusetzen.

Kolkmann: Wie sehen das die anderen arabischen Nachbarn, vor allen Dingen Jordanien und Saudi-Arabien? Sie waren kürzlich in Jordanien. Ist man auch dort nicht glücklich mit der Hamas-Regierung?

Gahler: Also es gibt offiziell da natürlich keine Hamas-Schelte in dieser Form. Aber Jordanien hat selber ein Friedensabkommen mit Israel geschlossen, auch Ägypten im Übrigen, und auch die Saudis haben ein Interesse daran, dass der Friedensprozess fortgesetzt wird. Und ich denke schon, dass hinter den Kulissen auch Hamas deutlich gemacht wird von den gemäßigteren Kräften, dass sie den Weg der Fatah, also der bisherigen, der früheren Regierungspartei, fortsetzen sollen. Allerdings gibt es auf der anderen Seite dann auch Kräfte in Syrien und im Iran, die Hamas in eine andere Richtung drängen. Und die Tatsache, dass Herr Hanija am Grenzübergang in Rafah nach Gaza eben mit, ich glaube, 35 Millionen Dollar gestellt wurde, die er im Zweifel aus dem Iran erhalten hat, das deutet ja auch darauf hin, dass man sich bei Hamas eher auch in einer anderen Richtung orientiert.

Kolkmann: Wie schätzen Sie die Chancen ein, jetzt das Nahostquartett wiederzubeleben?

Gahler: Also, das ist eigentlich der Wunsch, der auch zuletzt in der letzten Woche vom Europäischen Rat ganz deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist. Also Nahostquartett heißt ja EU, Russland, USA und die Vereinten Nationen. Ich glaube, das ist eigentlich der Rahmen, der erforderlich ist, um die beiden Hauptparteien auf den Weg der Road Map zurückzubringen. Aber dafür ist Voraussetzung aus meiner Sicht, dass auch innerhalb des Quartetts zunächst mal untereinander man sich abstimmt in der Form, dass man dann gemeinsam gegenüber den beiden Kontrahenten auftritt, und nicht die eine oder andere Seite dann wieder gegeneinander ausgespielt werden kann.

Kolkmann: Spüren Sie dafür auch Rückenwind aus den USA?

Gahler: Also, ich hoffe es, ich bin eigentlich überzeugt, dass gerade auch weil der gesamte Nahe Osten inklusive Irak ja in einer wirklich sehr explosiven Situation sich im Augenblick befindet und auch die Amerikaner dabei sind, ihren Irakeinsatz zu überdenken, dass sie auch in anderen Bereichen doch zu der Schlussfolgerung kommen, dass man offenbar mit der bisherigen Politik nicht sehr weit gekommen ist und dass man alle Kräfte bündeln muss, auch der internationalen Gemeinschaft, um zu versuchen, im ersten Schritt erstmal den Bürgerkrieg bei den Palästinensern zu verhindern, im zweiten Schritt dann eben auch die Regierung der nationalen Einheit dort zu befördern, und das beinhaltet dann auch die Anerkennung Israels. Und wenn das geschehen ist, und dann auch die israelischen Soldaten freigelassen sind, dann kann umgekehrt dann auch von unserer Seite her oder auch von der israelischen Seite natürlich dann etwas in die Wege geleitet werden, sei es Freilassung von Abgeordneten und Ministern oder auch Freigabe der Zolleinnahmen, die Israel seit der Übernahme der Hamas zurückhält. Also da sind viele kleine Schritte möglich, die in den großen münden sollen, und das wäre doch dann wieder die Wiederbelebung des Friedensprozesses.

Kolkmann: Vielen Dank, Michael Gahler - er ist Europaabgeordneter in der Fraktion der EVP – zur Nahostpolitik Europas.