Gabriel: Verfassungsklage hat keine Chance

Moderatorin: Leonie March · 22.07.2005
Nach Ansicht des SPD-Vorstandsmitglieds Sigmar Gabriel wird die angekündigte Verfassungsklage gegen die vorzeitige Auflösung des Bundestages scheitern. Zugleich sprach sich der SPD-Politiker für die Einführung eines Selbstauflösungsrechts des Parlaments aus.
March: Waren Sie erleichtert, als Köhler gestern grünes Licht für die Neuwahlen gegeben hat?

Gabriel: Ja sicher. Wobei ich, ehrlich gesagt, keine andere Antwort erwartet hatte.

March: Wie bewerten Sie im Rückblick die Entscheidung von Bundeskanzler Schröder, unmittelbar nach der Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen Neuwahlen anzukündigen? Hätte er das lieber gelassen, aus heutiger Sicht?

Gabriel: Nein, ich meine, dann würde ich ja jetzt dieser Einschätzung des Präsidenten auch widersprechen. Ich glaube, dass wir in Deutschland eine Richtungsentscheidung brauchen. Wir müssen mal klären: Wollen wir jetzt in Richtung Marktideologen gehen, die sozusagen alles als sozialen Ballast empfinden im Zeitalter der Globalisierung, wie das Teile der CDU und vor allem die FDP wollen. Oder wollen wir in Richtung der Illusionisten gehen wie Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Oder eine Modernisierung Deutschlands vorantreiben, die allerdings versucht, soziale Spielregeln beizubehalten, wie das wir Sozialdemokraten wollen. Diese drei Richtungen gibt es in Deutschland und wir brauchen dafür eine Entscheidung der Wählerinnen und Wähler.

March: Trotzdem, die Hoffnung vieler in Ihrer Partei war ja, dass die Bevölkerung einen mutigen Schritt in der Ankündigung sieht und sich klar zu dem eingeschlagenen Reformkurs der rot-grünen Koalition bekennt. Das scheint Umfragen zufolge nun wirklich nicht so zu sein. Warum denn?

Gabriel: Also ich glaube, dass man erst mal akzeptieren muss, dass das, was wir begonnen haben, natürlich kein einfacher Prozess gewesen ist. Wir haben ja vielen Leuten auch was zumuten müssen, da darf man nicht erwarten, dass die alle aufjubeln und sagen: Jawohl, wunderbar! Das wäre einfacher gewesen, wenn Frau Merkel in ihrer Regierungszeit mit Helmut Kohl mal ein paar Dinge begonnen hätte. Die haben alles ausgesessen. Sie ist ja Beteiligte gewesen an all dem, was da zwischen '90 und '98 passiert ist. Und jetzt beginnt der Wahlkampf gerade erst. Sie merken, in der Sekunde, in der CDU und FDP sagen müssen, was sie nun eigentlich machen wollen, sinken deren Umfragewerte. Von daher glaube ich, sind wir erst am Anfang der Auseinandersetzungen.

March: Nun müssen wir ja noch die Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht abwarten. Rechnen Sie denn damit, dass die Karlsruher Richter Köhlers Entscheidung bestätigen?

Gabriel: Da bin ich sicher, weil wir keinen Missbrauch vorliegen haben. Wenn wir sozusagen als Sozialdemokraten in Zeiten von klasse Umfragewerten, die uns einen riesigen Wahlsieg voraussagen, den Versuch gemacht hätten, den Bundestag aufzulösen, dann glaube ich, hätte man sagen können: Ihr wollt das nur missbrauchen, um in eine bessere Lage zu kommen. Und das haben wir nun wahrlich nicht getan, sondern wir haben das getan, was viele Menschen ja erwarten: Dass, wenn man sieht, dass es Schwierigkeiten gibt, nicht am Amt zu kleben, sondern auch den Wählerinnen und Wählern eine Entscheidung zurückzugeben. Ich denke, es gibt keinen Missbrauch und deswegen wird das Verfassungsgericht die Aussage des Bundespräsidenten sicherlich nicht konterkarieren.

March: Muss man denn, um diese ja doch etwas haarige Diskussion in Zukunft zu verhindern, auch über eine Grundgesetzänderung für ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages nachdenken?

Gabriel: Da gibt es Argumente, die dafür sprechen. Auf der anderen Seite sollte man, glaube ich, dem Parlament auch die Möglichkeit, zu Neuwahlen zu kommen, nicht zu sehr erleichtern. Ich glaube, das muss man mal in Ruhe beraten, nicht in der Hektik dieser Tage. Aber das wäre eine Möglichkeit, um verfassungspolitische Klarheit zu schaffen, das glaube ich auch.

March: Der Wahlkampf beginnt nun offiziell. Glauben Sie, dass Sie das Ruder noch einmal rumreißen können? Oder richten Sie sich schon auf die Oppositionsbank ein?

Gabriel: Ne, ich kann nur sagen, Opposition macht keinen Spaß. Die einzige, die öffentlich erklären, sie wollen in die Opposition gehen, das ist die alte Linkspartei hier aus Ostkadern und Westsektierern. Die beiden, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, haben ja schon gesagt, sie wollen nicht regieren. Ich glaube, das ist eine Politik, die man als Parlamentarier nicht ernsthaft in Erwägung ziehen kann.

March: Auf welchen politischen Gegner sollte sich die SPD im Wahlkampf denn nun konzentrieren? Auf die Linkspartei oder die Union?

Gabriel: Nein, es ist beides. Ich denke, dass wir schon klar machen müssen, dass beides letztlich Ideologien sind, denen wir nicht folgen wollen - weder den Marktideologen noch denen, die den Leuten immer alles versprechen, ohne zu sagen, wie man das bezahlen kann. Und ich glaube, das ist auch vernünftig, das weitgehend in der Mitte zu sein.

March: Wie können Sie sich denn gegen die Linken wehren? Durch Argumente vor allem?

Gabriel: Ja, jedenfalls halte ich nichts davon, dass nur sozusagen in der persönlichen Auseinandersetzung zu machen - da gibt es zwar bei Oskar Lafontaine eine Menge dazu zu sagen -, aber man muss sich schon mit den Argumenten auseinander setzen und erst mal sagen, dass es eben keine neue Linke ist, sondern die alte Linke, die immer ganz genau weiß, wogegen sie sein will, aber eben nicht sagen kann, wie sie das, was sie den Menschen verspricht, am Ende auch bezahlen will.

March: Kommt das denn beim Wähler an? Will der nicht vielleicht doch lieber Versprechungen hören?

Gabriel: Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass wir - je näher der Wahltag rückt, desto realistischer werden Menschen werden. Und wir hören ja, dass mehr als die Hälfte der Menschen noch unsicher ist, wie sie sich am Ende entscheiden sollen. Und ich glaube, darum geht es jetzt.

March: Blicken wir mal auf den 18. September: Was wäre denn Ihr Wunschergebnis? Eine große Koalition, realistischerweise?

Gabriel: Ganz sicher nicht. Also das ist für die SPD bestimmt die unangenehmste Situation, in die sie kommen kann. Wenn wir sagen, wir wollen eine Richtungsentscheidung haben, auch gegen diese Marktideologie von Frau Merkel und Herrn Westerwelle, dann können wir nicht erklären, wir wollten mit denen dann aber am liebsten in eine große Koalition. Große Koalitionen sind nichts, was man sich wünschen soll, sondern wir wollen eine Mehrheit, dass gegen die SPD nicht regiert werden kann. Und wir wollen, dass Gerd Schröder Bundeskanzler bleibt. Damit sozusagen auch in internationalen Fragen wir nicht in die Lage kommen, dass wir die unsicheren Kantonisten auf der Seite von CDU oder FDP über die Frage zum Beispiel entscheiden lassen, ob wir an solchen militärischen Abenteuern wie im Irak teilnehmen oder nicht.

March: Dann also doch lieber die von Ihnen ungeliebte Oppositionsbank?

Gabriel: Ne, ich habe gerade über Regieren gesprochen, nicht über Opposition spielen.