Fußball-WM

"Robinson-Crusoe-mäßig"

Die deutsche Fußballnationalmannschaft auf dem Weg zum Mannschafts-Camp in Campo Bahia an der brasilianischen Ostküste.
Die deutsche Fußballnationalmannschaft auf dem Weg zum Mannschafts-Camp in Campo Bahia an der brasilianischen Ostküste. © picture alliance / dpa / Foto: Marcus Brandt
Ulli Lommel im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 11.06.2014
Die FIFA war gegen das deutsche Mannschafts-Camp im brasilianischen Dschungel. Team-Chef Oliver Bierhoff setzte sich aber durch. Jetzt warten auf die Deutschen die Ägyptische Tigermücke und Indianer. Regisseur Ulli Lommel hat einen Film über Campo Bahia gedreht.
Korbinian Frenzel: "Campo Bahia – Vision oder Wahnsinn", das prangt als große Frage ab morgen vom Titel eines Buches, das Ulli Lommel geschrieben hat, Regisseur, Filmemacher und Autor, jemand, der selbst wochenlang dort war am Ort, an dem die deutsche Nationalmannschaft jetzt wohnt für diese WM. Ich freue mich, dass wir hier miteinander reden können. Guten Morgen!
Ulli Lommel: Ja, hallo, guten Morgen!
Frenzel: Herr Lommel, das sieht ja erst mal alles ganz gut aus, was man so auf Fotos sieht. Da sind Palmen, da ist blauer Himmel, da sind Pools und die nicht zu vernachlässigenden wichtigen Bastdächer, die immer wieder auftauchen bei solchen Ressorts. Wo droht denn da der Wahnsinn?
"Sind seit 500 Jahren dort die Eindringlinge"
Lommel: Ja, der Wahnsinn liegt halt in Brasilien irgendwo im Verborgenen, besonders im Dschungel. Campo Bahia liegt zwar am Meer, aber der Dschungel reicht ja bis ans Meer, und eigentlich sind wir ja seit 500 Jahren dort die Eindringlinge, wenn man so will. Und da kann man sich nicht beschweren über die Ägyptische Tigermücke, die ja natürlich der Erzfeind Nummer eins ist im Gegensatz zu Brasilien, Argentinien oder Spanien, weil wenn die einmal zuschlägt, dann erholt man sich nicht so leicht von der.
Frenzel: Über die werden wir noch reden. Lassen Sie uns erst mal bei der Idee bleiben, die ja bei Oliver Bierhoff, bei dem Manager, entstanden ist, der gesagt hat: Ich möchte, dass das Team ganz abgeschieden ist, dass es rauskommt aus dem Trubel. Ist das nicht eigentlich eine bestechende Idee?
Lommel: Ja, natürlich, solange man sich mit den Indianern auf gutem Fuß befindet. Das war ja eine Zeit lang nicht der Fall, und solange man eben die Würmer am Strand und die Tigermücke besiegte.
Frenzel: Was ist los mit den Indianern, fangen wir mal bei denen an?
Lommel: Ja, die Indianer benutzen ja die Weltmeisterschaft, um auf 500 Jahre Leid und Misshandlung irgendwie aufmerksam zu machen, und hatten also angesagt, auch durch verschiedene Waldbrände in den vergangenen Monaten, dass sie Schwierigkeiten machen werden. Es ist allerdings Christian und Christiane Hirmer, den Unternehmern von Campo Bahia, gelungen, mit denen Frieden zu schließen und sie einzubinden in Kunstprojekte und diverse andere Projekte. Und es scheint so zu sein, die ersten Aufnahmen, die mein Filmteam jetzt da gemacht hat, zeigen, dass sie nicht mehr auf dem Kriegspfad sind. Sie hatten ja so eine Kriegsbemalung, die ist so vertikal und nicht horizontal, und das hieß, wir sind auf dem Kriegspfad. Das hat sich aber gestern beim ersten offiziellen Training in Campo Bahia geändert, und es war wieder horizontal.
Frenzel: Das heißt, diese Hürde ist also schon mal genommen, das ist ja eine gute Nachricht. Der Weg dorthin, der ist ja offenbar nicht ohne, der hat es in sich. Sie haben diesen Weg mehrfach zurückgelegt – wie muss man sich das vorstellen, wie kommt man in dieses Campo Bahia, wie kommt man an den Ort?
"Den Spirit Brasiliens einatmen"
Lommel: Es sind etwa, wenn man nicht zur Touristenzeit da ist – und Gott sei Dank ist jetzt ja Winter in Brasilien –, sind es 35 Minuten, im Sommer sind es ungefähr vier Stunden. Und wenn die Indianer, denen ja das meiste Gebiet gehört, wenn denen das nicht passt, dann kommt man da überhaupt nicht durch. Aber nehmen wir an wie bisher, man kommt zur Fähre an den Fluss in der Nähe von Campo Bahia, dann muss man auch noch die Fähre überqueren, und das hat manchmal große Schwierigkeiten dort gegeben – es sollte ja eine spezielle Fähre für den DFB geben, aber das hat nie geklappt –, aber wenn sie die Fähre überquert haben, und das ist bis jetzt ja auch der Fall gewesen, dann sind es noch fünf Minuten bis an den Strand, und dort liegt Campo Bahia. Also eigentlich ist die Idee von Oliver Bierhoff und auch Jogi Löw ja die gewesen, wir wollen den Spirit Brasiliens einatmen, um sie mit ihren eigenen Mitteln zu besiegen.
Frenzel: Den Spirit einatmen und die Schaulustigen, die Fans, die Touristen möglichst außen vor halten. Wie muss man sich das vorstellen jetzt an dem Ort, ist er richtig abgeschottet für alle, die da nicht reingehören?
Lommel: Genau. Also aus den verschiedensten Gründen. Ein anderer Erzfeind neben der Ägyptischen Tigermücke war ja die FIFA, die alles getan hat, um zu verhindern, dass der DFB dort sein Camp hat. Sie waren der Meinung, dass es überhaupt keine Security gab, sie fanden es also von Anfang an völlig verrückt, und es gab verschiedene Meetings, wo sie dem Oliver Bierhoff gesagt haben, also wir sind dagegen, wir wollen das nicht. Und Oliver hat sich aber durchgesetzt und hat gesagt, hey, dann bleiben wir zu Hause, wir wollen da sein und damit hat sich's. Wir wollen nicht in Sao Paulo in so einem Moloch von 30 Millionen sein, wo es vier Stunden dauert, allein zum Flughafen zu fahren, wo jeder Spieler in seiner Suite abgekapselt ist, sondern wir wollten so eine Gemeinschaft, so Robinson-Crusoe-mäßig irgendwie haben.
Frenzel: Jetzt haben Sie sie schon drei-, viermal erwähnt, die Ägyptische Tigermücke. Ich weiß, dass Sie von ihr gestochen wurden, dass Sie dadurch das Denguefieber bekommen haben. Geht's Ihnen mittlerweile wieder besser?
"Wird ein bisschen vertuscht in der Bahia-Gegend"
Lommel: Ja, es geht mir wieder besser, aber man weiß halt nicht, was da die negative Nachhaltigkeit ist, über Jahre. Es wird ein bisschen so vertuscht in der Bahia-Gegend, und es gibt so … Wir haben Gespräche geführt mit den Ärzten dort, die behaupteten, die gäb's überhaupt nicht mehr, und dann hat mir aber mein persönlicher Arzt gesagt, er hätte es schon dreimal gehabt. Zweimal sei es nur so wie eine Erkältung gewesen mit Fieber, und beim dritten Mal war es schon ziemlich happig. Also man muss hoffen, dass die nicht attackiert.
Frenzel: Aber das heißt für unsere, ja, geplagte Mannschaft, die ja sowieso schon mit allen möglichen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, ist das auch ein reales Risiko da?
Lommel: Also ich glaube, man hat jetzt so ein Spray auch gefunden, der umweltfreundlich ist, und der wird morgens und abends dort verbreitet. Und ich schätze, wenn sie nicht zu oft ihre Tür aufmachen oder ihr Fenster auflassen, dass das okay ist.
Frenzel: Sie fahren morgen wieder zurück, Sie sind im Moment gerade in Deutschland, fahren morgen zurück. Mit welchem Gefühl fahren Sie nach Brasilien, freuen Sie sich auf dieses Fußballfest, oder haben Sie zu viel in dem Land, in dem Sie jetzt ja auch mehrere Wochen und Monate waren für Recherchen, erlebt, dass diese Freude trübt?
Lommel: Also erst einmal ist es so, dass die FIFA mir seit einer Woche irgendwie kein Visum gibt und mein Team schon seit einer Woche unten ist. Ich weiß auch nicht, ob ich überhaupt runterfliegen kann. Ich habe versucht, das Visum von der FIFA zu bekommen, das hat bisher nicht geklappt aus mir unerfindlichen Gründen.
Frenzel: Ulli Lommel, Buchautor, Filmemacher, über das Camp Bahia, das Quartier der deutschen Nationalmannschaft während der WM. Das Buch erscheint morgen, Herr Lommel, den Film dazu, den gibt's wann?
Lommel: Im September.
Frenzel: Im September. Wo kann man den sehen?
Lommel: Ich hoffe, überall in Deutschland. Es wird der Film über die Erlebnisse in Campo Bahia und des deutschen Teams in Brasilien.
Frenzel: Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Lommel: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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