Fußball in der DDR

Mein Opa, der rote Fußballer

22:01 Minuten
Mehrere Fußballspieler stehen auf dem Platz des Leipziger Zentralstadions vor vollen Rängern.
Arbeiter, Sozialist und Fußballer: Heinz Fröhlich tritt 1957 im Leipziger Zentralstadion einen Freistoß für die Stadtauswahl gegen das Team von Austria Wien. © Archiv: Lok Leipzig
Von Klara Fröhlich · 03.11.2019
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Politik und Sport gehörten auch in der DDR zusammen. In Leipzig zeigte sich dies auch beim Fußball - und in der Lebensgeschichte des ehemaligen Oberliga-Spielers Heinz Fröhlich, dem Großvater der Autorin.
Die Zuschauertribünen des Ernst-Thälmann-Stadions in Chemnitz sind am 20. Mai 1951 beim Endspiel um die Fußballmeisterschaft der Deutschen Demokratischen Republik 1950/51 zwischen Betriebssportgemeinschaft Chemie Leipzig und Turbine Erfurt voll besetzt. Mein Großvater Heinz Fröhlich steht an diesem Tag als Stürmer für Leipzig auf dem Platz. Er trägt Stutzen und ein weinrotes Trikot. Später wird in den Kinos der jungen DDR in der Wochenschau "Der Augenzeuge" über das Spiel berichtet:
"Die Leipziger konnten jubeln, denn dieser Treffer sicherte ihnen den Titel: Fußballmeister der Deutschen Demokratischen Republik. Der neue Meister verpflichtete sich, auch im Kampf für den Frieden Vorbild zu sein."

Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg

Politik spielte im DDR-Fußball von Anfang an eine große Rolle. An der Karriere meines Großvaters sieht man das gut. Will man sie verstehen, muss man sich mit ständigen Umstrukturierungen und Wechseln in der Fußballlandschaft beschäftigen.
Zählt man alle Fußballclubs, für die mein Großvater gespielt hat, zusammen, kommt man auf insgesamt sieben Vereine in 18 Jahren. Auf seinem Spielerkonto stehen die ersten beiden Länderspiele der jungen DDR in Polen und Bulgarien, zwei DDR-Pokalfinale und mehr als 200 Spiele in der obersten Spielklasse.
Zu sehen ist eine Collage zum Gewinn der DDR-Fußballmeisterschaft der Saison 1950/51 mit den Porträts der Mannschaftsmitgliedern.
Die Meistermannschaft der BSG Chemie Leipzig der Saison 1950/51 mit dem Spieler Heinz Fröhlich.© Archiv BSG Chemie Leipzig
Dass er einmal eine Karriere als Fußballer machen würde, konnte mein Großvater bei Kriegsende noch nicht ahnen. Am 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung, kehrt er als 19-Jähriger zurück ins zerbombte Leipzig.
Die alliierten Siegermächte teilten Deutschland unter sich auf. Für den Fußball begann eine neue Zeitrechnung. Karl Drößler, Urgestein des Leipziger Fußballs und für kurze Zeit Mannschaftskollege meines Großvaters bei Lok Leipzig, die nächste Station nach der BSG Chemie, beschreibt es so:
"Eine internationale Kontrollkommission hat den Sport generell verboten im Osten. Und während im Westen dann auch die Kontrolle stattfand, aber nach der Kontrolle die Vereine weiter existierten, wurden hier im Osten die Vereine als mögliche … als Unruheherd, Versammlungsort von ungebetenen Gästen betrachtet. Man hat die Sportvereine, die früher einmal bestanden, die hat man am liebsten rasiert. Da war von den Leitungsmitgliedern nichts mehr da."

Ein neuer Sportplatz im Dorf

Durch den Krieg war Leipzig zu 30 bis 40 Prozent zerstört. Spielfelder waren in den Zeiten des Hungers für den Gemüseanbau genutzt worden. Bevor es wieder einen Spielbetrieb geben konnte, musste viel getan werden, erinnert sich Drößler:
"Das wichtigste war, daran erinnere ich mich auch sehr gut: Man baute Sportplätze. Nach dem Motto Jedes Dorf muss einen Sportplatz haben. Auch in Hohengandern, in dem Ort, aus dem ich komme. Da tauchten eines Tages drei Arbeiter auf – ich hab sie wirklich oft bewundert bei der Arbeit. Mit einer Lore und Schienen und Schippe und Hacke, und die haben den Platz, der war schräg, aus dem wurde eine grade Fläche gemacht. Die drei haben zwei Jahre dran gearbeitet, um diese Sache ohne maschinelle Hilfe ohne alles mit Hacke und Schippe. Ist wirklich, wie ich es Ihnen sage! Als Kinder ist man manchmal dort vorbeigekommen und hat dann dumme Bemerkungen gemacht. Aber die haben sich Mühe gegeben, haben den Sportplatz gebaut. Es wurde also etwas dafür getan, den Sport anzukurbeln."
Die alten Vereinsnamen wurden abgeschafft, aber Spieler und Spielorte blieben oft dieselben, sofern sie den Krieg überstanden hatten. Mein Großvater, der noch bis 1943 in der Spielvereinigung Leipzig war, spielte nach dem Krieg zunächst einmal in der Sportgemeinschaft Lindenau Hafen.

Der Sport wird neu strukturiert

Die SGen, wie man sie nannte, waren Teil der neuen Ordnung, die die sowjetische Militäradministration in ihrer Besatzungszone einführte. Diese Umstrukturierung erfasste alle Lebensbereiche, erklärt die Sporthistorikerin Jutta Braun:
"Für die Deutschen war das natürlich eine große Neuerung im Sport. Man muss sich vorstellen, dass in der SBZ/DDR der gesamte Staat neu strukturiert wurde. Es dauerte erstmal einige Jahre bis man überhaupt wieder einen Staat hatte." Die Wirtschaft sei vollkommen neu aufgebaut und das Kulturleben umstrukturiert worden. Man habe eine völlig neue staatliche Struktur aufgebaut. "Insofern war es, denke ich, für die Menschen nicht überraschend, dass auch der Sport neuen Prinzipien folgte", erklärt Jutta Braun. "Muss muss auch sagen, dass grade im Sport viele Emotionen immer auch an den Vereinen hingen. Sport ist eine sehr emotionale Angelegenheit, Sport hat sehr viel mit Tradition, mit Erinnerungskultur zu tun. Da spielt natürlich nicht nur die Erinnerung an Personen eine große Rolle, an Fußballstars, sondern der Vereinsname, und die Vereinsfarben. Das ist das, worin die Fans leben und sich bewegen."
Zu sehen ist eine Fotocollage mit den Spielern der BSG Chemie Leipzig.
Erinnerung an gewonnene Meisterschaft: Foto-Collage mit den Spielern der BSG Chemie Leipzig der Saison 1950/51© Archiv BSG Chemie Leipzig
In diesem Sinne machte sich die BSG Chemie Leipzig, der mein Opa kurze Zeit später beitrat, einen traditionellen Ort zu eigen. Sie spielte auf dem Sportplatz des ehemaligen Turn- und Rasensportvereins, der TURA, neben dem VfB Leipzig der führende Leipziger Fußballverein vor dem Krieg.
Das Stadion lag und liegt auch heute noch in Leutzsch im Westen Leipzigs, damals ein Arbeiter- und Industrieviertel. Zu den ersten Spielen kamen zehntausende Zuschauer. Auf Fotos schauen Menschen auf Bäumen rund ums Stadion bei den Spielen zu.

Kennenlernen im Betrieb

Ich hätte meinen Großvater dazu gerne mehr gefragt, aber er starb als ich neun Jahre alt war. Einige Erinnerungen stammen von meiner Großmutter, Ilse Fröhlich. Sie lernte ihn nach dem Krieg über den Trägerbetrieb, den VEB Lacke und Farben, kennen:
"Lacke und Farben war ein großer Betrieb im Verhältnis. Die hatten Möglichkeiten, die Sportler auch finanziell zu unterstützen", erzählt sie. "Und die haben ihnen auch, das was ausfiel an Arbeitszeit durch Training, übernommen."
Meine Großmutter lernte in diesem Betrieb den Beruf Chemiefacharbeiterin, mein Großvater war in der Verwaltung angestellt und eigentlich wollte sie nichts von ihm wissen.
Sie wurden natürlich trotzdem ein Paar. Aber beim VEB Lacke und Farben trafen sie sich nicht mehr wieder. Kurze Zeit später wechselte mein Großvater zur SV Vorwärts, der Sportvereinigung der Volkspolizei.
Mit dem Beschluss der DDR, eine Nationale Volksarmee aufzubauen, wurde dieser Verein offiziell zum Armeesportclub ausgebaut. Meine Großmutter erinnert sich noch gut daran. Schließlich war es ein wichtiger Einschnitt in der Karriere von Heinz Fröhlich:
"Und dann sind auch sieben Genossen von Chemie rüber zu Vorwärts, weil die Vorwärts den Armeefußball aufbauen sollten. Das war aber nicht gut. Die kriegten den Parteiauftrag zu Vorwärts zu gehen, um Vorwärts auf die Beine zu bringen."

Abgezogen zum Armeeverein

Dieser Wechsel der halben Chemie-Mannschaft zur SV Vorwärts beschäftigte mich lange. Ihm gehen viele widersprüchliche Ereignisse voraus. Im Sächsischen Staatsarchiv in Leipzig versuche ich durch Aktenstudien den Hergang dieses Wechsels zu rekonstruieren.
Im Archiv finde ich Akten über den Wechsel des Nationalspielers Werner Eilitz. Offenbar wurde er mehrmals von Armeefunktionären in Leipzig angesprochen und sogar nachts in seiner Wohnung aufgesucht. Er wechselte unter fragwürdigen Bedingungen von Chemie zur Volkspolizei.
Sowohl die Chemiespieler als auch die Fangemeinschaft nehmen diese Veränderung nicht gut auf. Kurz nach diesem ersten Wechsel treffen die beiden Fußballvereine aufeinander, es kommt zu einem Vorfall. Die Leipziger SED-Kreisleitung berichtet an das Zentralkomitee in Berlin:
"Der Rekordbesuch von 45.000 Zuschauern im Bruno-Plache-Stadion zeigte, welch außergewöhnliches Interesse dieses Spiel fand und bei einem Teil der Zuschauer konnte von Anfang an eine Stellung gegen die Mannschaft der Volkspolizei festgestellt werden. In der 87. Spielminute erhielt Chemie einen zwar harten, aber durchaus berechtigten Elfmeter zugesprochen, der für Chemie das Siegestor brachte. Daraufhin ließ sich der Volkspolizei-Spieler Beier zu einer groben Unsportlichkeit an dem Chemie-Spieler Fröhlich hinreißen. Der Chemie-Spieler Scherbaum, der vermitteln wollte, wurde durch den Volkspolizei-Spieler Ebert mit der Faust in den Magen geschlagen. Die Auswirkung dieses Zwischenfalls gab den Provokateuren die Möglichkeit, das Geschehen für eine Hetze gegen die VP auszunutzen, wobei es zu einer Anrempelei und Anpöbelei von VP-Offizieren kam. Den Verkehrspolizisten wurden mit den Worten: ‚Ihr müsst erstmal bei Euch Ordnung machen, ehe ihr uns zur Ordnung bringen wollt‘, Schwierigkeiten gemacht."

Der Staat reagiert auf dem Unmut

Die Sporthistorikerin Braun findet, dass dieses Dokument gut zeige, dass die Fans bei der Partie ihrem Ärger Luft gemacht haben: "Einerseits gegen diese Schwächung der eigenen Mannschaft mit unlauteren Mitteln, wie man es vielleicht empfunden hat, durch diese Spielerziehung. Und zum anderen aber vielleicht auch, und so haben es die Funktionäre interpretiert, als eine staatsfeindliche Aktion. Das ist natürlich die Gefahr, wenn man Staat und Sport vermischt. Das kann gut ausgehen. Es kann aber auch nach hinten losgehen. Genau das drohte hier, glaube ich, zu kippen."
Der Armeesportverein Vorwärts wurde später nach Berlin verlegt, um die aufgeheizte Stimmung zu entschärfen. Der Buchautor und Chemie-Fan Jens Fuge hat sich für eine Vereinschronik mit dem Wechsel beschäftigt und rekonstruiert den Vorgang so:
"Ich weiß nicht, was man sich dabei überhaupt gedacht hat. Dass das folgenlos bleibt oder irgendwie. Die Empörung war riesengroß und wenn Vorwärts irgendwo gespielt hat, wurden die wirklich mit Hass empfangen. So wurde es mir erzählt von Zeitzeugen und die Spieler hatten plötzlich nicht mehr Zehntausende hinter sich, sondern Zehntausende gegen sich (...).
Die Spieler der BSG Chemie wurden von der Armeeführung mit unterschiedlichen Strategien abgeworben:
"Das reichte von Verlockungen oder von Versprechungen, die man gemacht hat, bis hin zu Aussichten für eine spätere leichtere Karriere oder für Karrierechancen bis hin zu eindeutigen Drohungen, wenn du nicht kommst, dann … Der ein oder andere hat den Schritt vielleicht leichter vollzogen, der ein oder andere hat sich vielleicht schwerer getan. Andere haben sich komplett verweigert. Ich weiß es von Günter Busch, unserm Torhüter, der war damals noch sehr jung. Der sollte eigentlich auch angesprochen werden. Wurde aber vorgewarnt, die warten da auf dich, die wollen mit dir reden. Der hat sich dann einfach, das hat er mir selber erzählt, verpisst und ist stiften gegangen, sind seine Worte jetzt, und ist dann auch nicht zum Training erschienen; war dann auch für ein paar Tage unauffindbar, bis das ganze vorbei war."

Keine nachhaltige Strategie

Mein Großvater jedoch war für den Wechsel. Er unterstützte das Ziel der Parteiführung starke Armeevereine aufzubauen. Ob er wie seine ehemaligen Spielerkollegen auch Zweifel hatte, weiß ich nicht.
Die Chemie-Spieler sahen sich bei der Entscheidung zum Wechsel einem Geflecht aus Interessen gegenüber. Das zeigen Diskussionsprotokolle: Sie wollten ihre bisherige Mannschaft nicht schwächen und möglicherweise zum Abstieg verurteilen, aber trotzdem gleichzeitig den Anforderungen der Partei entsprechen. Sie waren schließlich trotz möglicher Bedenken linientreue Genossen und Sozialisten.
Der Armeesportverein spielte eine Saison in der 2. Liga. Doch die Strategie der Funktionäre ging trotzdem nicht so recht auf.
"Am Ende muss man sagen, dass das auch keine nachhaltige Geschichte war, weil einige Spieler Vorwärts auch recht schnell wieder verlassen haben."
Auch mein Großvater hatte, so erinnert sich meine Großmutter, keine sehr gute Zeit beim Armeeverein. Streitigkeiten mit den Funktionären ließen ihn schon keine zwei Jahre später zum neugegründeten Sportclub Lokomotive Leipzig wechseln. Es war das Jahr, in dem die westdeutsche Mannschaft Weltmeister wurde, 1954, und er meine Großmutter heiratete:
"Am Sonnabend war Polterabend, da haben wir gar nicht groß gefeiert. Und Sonntag war großes Spiel: Ungarn gegen die BRD. Erst führte Ungarn. Da brüllte die Hälfte der Gäste. Dann übernahm die BRD Führung, da brüllte die andere Hälfte. Ich glaube, die BRD hat gewonnen."

Erstes Derby unter Flutlicht

Für Sporthistorikerin Braun ist ganz klar, dass "grade mal neun Jahre nach Kriegsende – die Mauer stand noch nicht –natürlich auch die Herzen der ostdeutschen Fußballfans noch nicht endgültig geteilt" waren. "Bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 haben auch die DDR-Bürger an den Radiogeräten gehangen und mitgefiebert und sich gefreut. Eine Kuriosität war noch, dass es in den 50er-Jahren immer noch ganz viele deutsch-deutsche Freundschaftsspiele gegeben hat."
Diese Freundschaftsspiele boten den DDR-Offiziellen Gelegenheit, für ihr System zu werben. In den 50er-Jahren waren diese Zusammentreffen noch geprägt von einer offenen Stimmung mit dem Ziel eines deutsch-deutschen Austauschs.
Als 1956 in Leipzig das Zentralstadion fertig wird, werden auch hier große deutsch-deutsche Sportduelle ausgetragen. Eines der ersten Spiele im neuen Stadion war jedoch ein Ortsderby zweier Leipziger Mannschaften.
Mein Opa war mit auf dem Rasen. Wie auch Hans-Dieter Busch, langjähriger Oberligaspieler in der DDR. Er erinnert sich an das Eröffnungsspiel, das bis heute mit 100.000 Zuschauern einen Rekord darstellt:
"Das war ein Flutlichtspiel. Wir kommen ins Stadion rein und ringsum ist es Dunkel und der Platz ist ausgeleuchtet. Das ist ein sagenhaft schönes Gefühl! Und das macht einen schon ein bisschen stolz und erfreut einen, solche Spiele durchführen zu dürfen."

Kontakt zu Westspielern war nicht gern gesehen

Die Freundschaftsspiele, die zunächst noch einen offenen Charakter hatten, wurden ab Ende der 1950er-Jahre mehr und mehr von politischen Spannungen überschattet, erzählt Busch:
"In den Anfangsjahren, als wir gegen Schalke 04 gespielt haben, da haben wir nach dem Spiel mit den Spielern von Schalke 04 zusammen ein Bankett gehabt. Da wurde dann an einer Tafel einer aus Schalke, einer aus Leipzig und immer so gesetzt. Da wurde auch mit den Spielern diskutiert. Wir haben sogar einmal, das war glaube ich sogar nach dem Schalke-Spiel, mal aus dem Urlaub oder als wir im Ausland waren, eine Karte an die Mannschaft geschickt. Das wurde gar nicht so gerne gesehen. Es waren keine engeren Kontakte. Das wurde nicht gutgeheißen. Also durfte dann nicht mehr gemacht werden. Die Zeit wurde immer strenger und war nicht mehr ganz so großzügig. Ja, man wollte nicht die Kontakte pflegen, um zu vermeiden, dass eventuell Spieler den Wechsel vollziehen und ins andere Land gehen.
Ab Anfang der 60er-Jahre spitzt sich die politische Lage zu und die Freundschaftsspiele bekommen einen anderen Charakter. Die Angst vor Spielerverlusten überschattet Auswärtsspiele. Die Stasi ist allgegenwärtig. Reduziere man den DDR-Fußball allerdings nur auf dieses Kapitel, wird man ihm nicht gerecht, findet die Historikerin Braun:
"Man muss sagen, da kommt natürlich die Beschäftigung mit dem DDR-Fußball auch in eine Facette hinein, die man Aufarbeitung der DDR nennt und die vor allem auf die Aufarbeitung des SED-Unrechts zielt. Das hat es natürlich im DDR-Sport gegeben. Auch im DDR-Fußball. Es gab eine Durchleuchtung von der Staatssicherheit, Spieler wurden unter Druck gesetzt, es gab politische Beeinflussung. Es wäre allerdings bedauerlich, wenn man die Besonderheit des DDR-Fußballs nur auf Stasi und Parteilenkung reduziert. Ich glaube, das Interessante am DDR-Fußball ist, dass sich trotz aller Ummodelierungen - Betriebssportgemeinschaft, SCs, und so weiter - der Vereinsgedanke allein schon im Sprachgebrauch, aber ich glaube auch, im Denken der Menschen erhalten hat. Um es nochmal kurz zu sagen: Diese Begeisterung für ein Team und das Gefühl, loyal zu diesem Team zu sein und nicht zum Staat, sondern zu einem Idol und zu einer Mannschaft und zu einer regionalen Einheit, dass das in der DDR eigentlich genauso funktioniert hat wie in der Bundesrepublik."

Fußball in Leipzig ist wieder erstklassig

Mein Großvater spielte noch bis 1958 beim SC Lok Leipzig. Nachdem er ein Viertel seines Lebens Fußballer war, schlug er eine politische Laufbahn ein und ging an die Parteihochschule nach Moskau. Er setzte danach mehr als 30 Jahre lang die Politik der SED in Leipzig um. Der Umbruch 1989, der für Viele in der DDR eine Zeit der Freiheit einläutete, war für meine Großeltern eher mit Enttäuschungen verbunden.
Und in der Fußballwelt? Wiederholte sich gewissermaßen Geschichte. Alte Strukturen wurden aufgelöst, neue Vereine gegründet. Führungspersonal ausgetauscht. Die Vereine, für die mein Großvater spielte, brauchten lange, um sich neu aufzustellen.
1993 schaffte es der VfB Leipzig für eine Saison in die Bundesliga. Wesentlich erfolgreicher ist der RB Leipzig, der seit 2016 erstklassig ist. Seine Heimspiele trägt der Verein an dem Ort aus, wo früher auch der SC Lokomotive Leipzig spielte - nur, dass heute alles anders aussieht.
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