Fußball im KZ Mauthausen

Die einen spielten, die anderen wurden ermordet

10:23 Minuten
Ein historisches Foto zeigt die spanische Häftlingsmannschaft im KZ Mauthausen.
Wer physisch in der Lage war, Fußball zu spielen, der zählte zu den privilegierten Häftlingen. Einer davon war Saturnino Navazo (1. stehend von rechts) – ein spanischer Profispieler, dem seine Fähigkeiten am Ball vielleicht das Leben retteten. © KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Sammlung Mariano Constante
Elisabeth Czerniak im Gespräch mit Thomas Wheeler · 17.11.2019
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Fußball im KZ? Kein Widerspruch im KZ Mauthausen. Fußball spielen durften dort entweder privilegierte Häftlinge oder Aufseher, die sogar eine Profimannschaft bildeten. Das SS-Fußballspiel am Sonntag vor den Toren des KZ gehörte zum Alltag.
Thomas Wheeler: Es gibt Themen, da fällt es einem schwer, gelassen zu bleiben. Und das nun Folgende, das ist so eins. Sport im Konzentrationslager. Ja, auch so etwas gab es bei den Nationalsozialisten. Ging es zunächst darum, KZ-Häftlinge durch Arbeit zu vernichten, änderte sich diese Haltung im Laufe des Krieges zumindest teilweise.
Am 20. Dezember 1942 bekamen alle KZs einen geheimen Erlass des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes. Ziel war es, die Sterblichkeit der Lagerinsassen zu senken. Auf Anweisung von SS-Reichsführer Heinrich Himmler sollte organisierter Sport dafür eingesetzt werden, die Arbeitsfähigkeit der Häftlinge zu erhöhen. Und so kam es, dass einige von ihnen unter anderem Fußball spielen durften – sogar im Vernichtungslager Auschwitz und in anderen großen Konzentrationslagern, darunter auch in Mauthausen in Österreich. Über Fußballspieler und Fußballspiele in Mauthausen rede ich jetzt mit meiner Wiener Kollegin Elisabeth Czerniak, die sich sehr intensiv mit diesem bislang noch wenig erforschten Teil der NS-Geschichte beschäftigt hat.
Vor dem Hintergrund der täglichen Schinderei und Quälerei der Häftlinge: Wer durfte da überhaupt mitspielen?
Elisabeth Czerniak: Beim Konzentrationslager Mauthausen muss man zuerst zwischen dem Häftlingsfußball und dem SS-Fußball unterscheiden, denn die beiden haben – zumindest im Hauptlager Mauthausen – nicht ineinandergegriffen. Beim Häftlingsfußball ist es so, dass nur ein winziger Bruchteil der Gefangenen überhaupt spielen konnte und durfte – sie zählten zu den privilegierten Häftlingen. Das hat mit der sogenannten Häftlingsgesellschaft zu tun. Bestimmte Gruppen – darunter vor allem Juden und sowjetische Kriegsgefangene – waren von vornherein ausgeschlossen und sie überlebten nur kürzeste Zeit im Konzentrationslager.

Wer war privilegiert im KZ?

Wheeler: Sie haben gerade das Wort privilegiert in den Mund genommen, das klingt für mich in dieser Situation befremdlich. Was bedeutete das?
Czerniak: In der Struktur des Konzentrationslagers benutzte die SS Häftlinge für bestimmte Aufgaben. An diese sogenannten Funktionshäftlinge gab sie Verantwortung ab, und damit gingen wiederum gewisse Freiheiten oder Handlungsspielräume einher. Das war ein Teil der kleinen Gruppe von privilegierten Häftlingen. Im Kontext des Häftlingsfußballs heißt das: Wer physisch in der Lage war, Fußball zu spielen, der zählte zu den privilegierten Häftlingen. Einer davon war Saturnino Navazo – ein spanischer Profispieler, der dem Fußball viel zu verdanken hatte. Das hat mir Bernhard Groschupfer, der an der Gedenkstätte Mauthausen arbeitet, berichtet.
Überlebende Häftlinge jubeln vermutlich am 7. Mai 1945 in einer nachgestellten Szene anläßlich Ihrer Befreiung amerikanischen Soldaten der Elften Panzerdivision zu.
Nachgestellte Szene vom ersten Eintreffen amerikanischer Soldaten in Mauthausen, vermutlich am 7. Mai 1945.© imago / Photo12 / Ann Ronan Picture Library
O-Ton Bernhard Groschupfer: Dass er selbst auch gesagt hat, es war für ihn irrsinnig wichtig für die Moral, aber auch konkret, dass er durch den Fußball überleben konnte. Er wurde sogar vom Steinbruchkommando in die Küche versetzt. Und in der Küche zu arbeiten bedeutet, überleben zu können.
Wheeler: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann bedeutete das, dass fußballspielende Häftlinge besser behandelt wurden.
Czerniak: Ja, das schon. Es gab da vor allem einen Funktionshäftling, Franz Unek hieß er, der ein berüchtigter Schläger und Mörder war, aber auch ein sehr engagierter Fußballfan. Der hat seine Fußballspieler sozusagen bevorzugt behandelt. Also, er hat versucht, sie mit mehr Essen zu versorgen, hat versucht, sie in bessere Arbeitskommandos zu bringen und so weiter. Trotzdem waren auch die fußballspielenden Häftlinge nicht vor Bestrafung gefeit.
Wheeler: Jetzt haben wir ja über die Bedingungen geredet. Kommen wir mal zu dem, was sich dann letztendlich wirklich abgespielt hat dort im Konzentrationslager Mauthausen, was Fußball für die Häftlinge anbetraf. Wie habe ich mir das vorzustellen diesen Spielbetrieb, wer spielte da gegen wen?

Es gab sogar Holzpokale für die Gewinner

Czerniak: Der Häftlingsfußball hatte so eine Art Turniercharakter, denn es wird auch von Auswahlspielen oder zweiten Garnituren – also Reserven – berichtet. Aus den Quellen sind Spiele von Spaniern, Deutschen, Tschechen, Polen, Ungarn und einer Gruppe, die als Jugoslawen bezeichnet wurde, bekannt. Dieser Frank Unek, den ich vorhin erwähnt habe, der hat beispielsweise auch Holzpokale in Auftrag gegeben. Die wurden von Häftlingen eines Schnitzereikommandos in Gusen angefertigt, das war ein Außenlager von Mauthausen. Diese Holzpokale sind eben ein Indiz dafür, dass es so etwas wie eine Siegerehrung gegeben haben muss. Da steckte schon viel Aufwand hinter diesem Fußball.
Wheeler: Und das, wo sonst der Alltag im KZ Mauthausen, aber auch in anderen Konzentrationslagern, der Alltag weiterging, es wurde gequält, es wurde gefoltert, es wurde gemordet, da spielte man Fußball. Wann und wo fanden diese Partien statt?
Czerniak: Ganz genau lässt sich das nicht bestimmen, aber nach derzeitigem Forschungsstand geht man davon aus, dass ab 1942/43 sehr regelmäßig an Sonntagnachmittagen Fußballspiele auf dem Appellplatz im Konzentrationslager stattgefunden haben, die meisten davon zumindest dort an diesem Ort.
Wheeler: Nun gab es ja sogar Spielberichte, die sind von der Lagerschreibstube verfasst worden. Und da hat offensichtlich einer gearbeitet, der großen Gefallen daran hatte, so zumindest hört sich das folgende Beispiel an:

Die dicke Hummel brummt in den Bienenkorb

Zitat Spielbericht: Der Ball trudelt im Bogen wie eine dicke Hummel, geradezu aufreizend, an Janeks Nase vorbei zur linken Seite der Spanier und da kommt Chatos Kopf. Er nickt ein wenig und die Hummel brummt geräuschvoll in Janeks Bienenkorb.
Wheeler: Es war einer von diversen Spielberichten über Fußballspiele im Konzentrationslager Mauthausen. Nun haben Sie in Ihrer Eingangsantwort gesagt, dass es in Mauthausen auch eine SS-Fußballmannschaft gab. Welches Motiv steckte denn dahinter?
Czerniak: Ja, die gab es. Und diese SS-Mannschaft hat sich aus dem Wachpersonal des Konzentrationslagers zusammengesetzt. Das Motiv lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht, also wenn man jetzt konkret mit Quellen arbeitet, nicht eindeutig klären – es könnte sich ganz einfach um Freizeitgestaltung handeln oder um sportliche Ambitionen auf individueller Ebene. Jedenfalls wurde diese Mannschaft im Dezember 1943 erstmals in der Zeitung erwähnt, und das war eine professionelle Fußballmannschaft, denn die sogenannte "Spielgemeinschaft Mauthausen" oder "Mauthausen I" – das waren die gängigen Bezeichnungen – hat in der oberösterreichischen Landesliga gespielt – und wurde in der Saison 1944/45 Herbstmeister.
Ein historisches Mannschaftsfoto in schwarz-weiß zeigt die Fußballmannschaft der SS im KZ Mauthausen.
Die SS-Mannschaft hat sich aus dem Wachpersonal des Konzentrationslagers zusammengesetzt. © Zentrales Militärarchiv Prag
Wheeler: Und hat diese dann auch auf dem Lagergelände gespielt?
Czerniak: Nein, nicht innerhalb des Konzentrationslagers. Die Heimspiele wurden vor den Toren des Konzentrationslagers ausgetragen. Es gab nämlich einen Fußballplatz an der Südseite des KZ Mauthausen, wo sich in unmittelbarer Nähe – also wirklich direkt daneben – auch das Krankenlager befunden hat. Rund um diesen Fußballplatz herum hat es Tribünen gegeben, und teilweise sind da um die hundert Leute oder mehr gekommen, um die Spiele zu sehen. Das muss man sich mal vergegenwärtigen: An diesem Ort, im Konzentrationslager, wo Häftlinge systematisch gequält und ermordet wurden, vor dieser Kulisse sozusagen, hat die SS ihre Fußballspiele vor großem Publikum ausgetragen. Im Übrigen hat es im KZ Mauthausen ein Krematorium gegeben, dazu hat mir Bernhard Groschupfer Folgendes erzählt.
O-Ton Bernhard Groschupfer: Zum Krematorium selbst, da gibt’s einen Hinweis, dass am Sonntag, am Sonntagnachmittag, wenn die Spiele stattfanden, dass im Krematorium keine Leichen verbrannt wurden in der Zeit, um zumindest zu verhindern, dass dieser Rauch, dieser Gestank, direkt spürbar war beim Fußballspiel.
Wheeler: So, als ob nichts gewesen wäre, gab es eine SS-Fußballmannschaft im Konzentrationslager Mauthausen – und die war auch Teil einer Liga. Das muss doch auch eine Außenwirkung gehabt haben, wenn die Auswärtsspiele hatten. Will heißen: Wie war die Reaktion in der Bevölkerung darauf?

SS-Mannschaft wurde auswärts ausgebuht

Czerniak: Genau, diese Spiele fanden ganz offiziell statt, die wurden angekündigt und die Spielergebnisse fand man auch in der Zeitung wieder. Die Reaktionen der Bevölkerung waren unterschiedlich. Also, bei Heimspielen war die Begeisterung groß. Da ist aus Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bekannt, dass es sich um schöne Spiele gehandelt hat, dass guter Fußball gespielt wurde und dass diese SS-Mannschaft eben unschlagbar war. Bei Auswärtsspielen allerdings sah das anders aus, da waren die eigentlich ziemlich verhasst, vor allem in der Arbeiterstadt Steyr. Da wurden die ausgepfiffen, die Zuschauerinnen und Zuschauer haben die quasi ausgebuht – das berichtete ein ehemaliger Fußballspieler und Trainer aus Steyr. Und wie ich finde, verdeutlicht dieses Beispiel einfach nochmal diese Normalität, die uns aus heutiger Sicht oft so unvorstellbar erscheint. Damals gehörte das SS-Fußballspiel am Sonntag vor dem KZ einfach zum Alltag dazu. So befremdlich das auch klingen mag.
Wheeler: Gibt es eine Auseinandersetzung des Österreichischen Fußballverbandes mit diesem Thema?
Czerniak: Aus der Forschungsliteratur geht hervor, dass er immer darauf verweist, dass er sich ja 1938 aufgelöst hat und offiziell nicht mehr vorhanden war. Aber trotzdem führen sie in ihren Jahresberichten zum Beispiel die Spieltabellen auf, und da ist diese SS-Fußballmannschaft auch zu finden – mit den Spielergebnissen.
Wheeler: Also kann man zusammenfassen, tut sich offensichtlich der Österreichische Fußballverband damit schwer. Das kann man, glaube ich, an dieser Stelle festhalten. Österreich ist eine Fußballnation, da wäre es, denke ich mir, an der Zeit sich auch intensiver mit diesem Kapitel seiner Geschichte zu beschäftigen. Das Wissen über das Konzentrationslager und die Täter – in diesem Fall haben wir auch erfahren können, dass niemand sagen konnte, er hätte nichts gewusst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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