Fußball

Finten, Tricks und Tore

Der brasilianische Stürmer Tita (2.v.r) beim Olympischen Fußballturnier am 11. August 1984
Der brasilianische Stürmer Tita (2.v.r) beim Olympischen Fußballturnier am 11. August 1984: Er war einer der ersten in der Bundesliga. © picture-alliance / dpa
Von Wolf-Sören Treusch · 01.06.2014
Auf einmal waren sie da: die Ballzauberer vom Zuckerhut. Tita war 1987 einer der ersten und holte mit Bayer Leverkusen gleich den UEFA-Cup. Ihre spielerische Raffinesse, Tricks und Tore machten sie attraktiv.
Reporter: "Werder Bremen mit dem Angriff, direkt in die Mitte auf Ailton, der Schuss, das Tooooor."
Ailton: "Gut schlafen, sehr gut trainieren, alles perfekt."
Rethy: "Das Mutterland des Fußballs ist England, aber die Seele des Fußballs ist, glaube ich, in Brasilien geboren, ..."
Allofs: ... "Ganz klare Sache: eine Riesen Anzahl an Talenten, für die gab es nur einen Weg, und der war raus aus Brasilien."
Opdenhövel: "Na erst mal, dass sie schon eine Schippe filigraner kicken konnten, so dass die Brasilianer ja auch deswegen geholt wurden, um einfach diese Spielkultur in die Bundesliga zu holen."
Reporter: "Achtung: Tor? Ist er drin? Ist er drin? Jetzt ist er drin! Tor für Bayern. Giovane Elber. 1:0. Wunderbar!"
Elber: "Also ich sage immer wieder: ich bin mehr Deutscher als Brasilianer."
Fotoshooting in einem Hamburger Hotel. Draußen ist es kühl und sonnig, drinnen warm und grell. Die Fußball-Experten von ARD und ZDF präsentieren sich den Kameras: mal mit Ball in der Hand, mal ohne. Eine gute Stunde geht das so. Es ist der zentrale Fototermin vor der WM in Brasilien.
Dann informieren die Programmmacher über den Stand der Dinge. Mit teilweise ernster Miene berichten sie über die Sicherheitslage im Land und über die technischen Schwierigkeiten, die sie bis zum Eröffnungsspiel am 12. Juni noch in den Griff bekommen müssen.
Richtig locker auf der Bühne ist nur einer: Giovane Elber, der vielleicht populärste ehemalige brasilianische Fußballer in der Bundesliga. Bei der WM wird er als Fußballexperte für die ARD tätig sein.
"Wie chaotisch wird die WM?" – Elber:
"Puh, gute Frage. Na klar. Ich glaube, Geduld muss man schon nach Brasilien mitbringen. Weil: wir Brasilianer, wir lassen viele Sachen auf Zufall. Wir planen nicht vorher. Wir gehen zum Flugplatz und hofft, dass man irgendwann nach Rio fliegen kann oder nach Sao Paolo, aber irgendwie schaffen wir das." (Gelächter) "Aber ich glaube, die Leute werden schon pünktlich kommen zu den Spielen." (noch mehr Gelächter)
Mit charmantem Deutsch verzücken
Dass Giovane Elber die Menschen nicht nur mit Toren, sondern irgendwann einmal mit charmantem Deutsch verzücken würde, war zu Beginn seiner Karriere nicht absehbar. Mit 18 wechselte er aus Brasilien zum AC Mailand, 1990 war das. Ohne auch nur ein Punktspiel gemacht zu haben, ging er ein Jahr später zu den Grashoppers Zürich. Noch immer hatte er Heimweh. Elber:
"Oh ja. Also die ersten Monate, habe ich jeden Tag meine Mutter angerufen und geweint, fast jeden Abend habe ich geweint, weil ich allein war zuhause und immer wieder gefragt: ‚Mama, ich schaffe das nicht, ich muss weg von hier. Hier in der Schweiz: die spielen keinen Fußball, ich bin schon seit zwei Monaten hier, ich habe keinen Ball getreten, ich bin nur gelaufen, gelaufen, die wollen, dass ich Marathon laufe als Fußball kicken, deswegen: ich schaffe das nicht'. Meine Mutter war immer hart, hat immer dagegen gehalten, hat gesagt: ‚nein, du wolltest Fußballer werden, du bist jetzt in Europa, deswegen musst du jetzt durch. Also nach Hause kommst du nicht."
"Denke Schritt für Schritt, in Etappen", schlug die Mama vor. Sie sollte Recht behalten. Elber:
"Und so war es: sechs Monate hin, wieder sechs Monate, dann auf einmal konnte ich die Sprache schon, und dann habe ich gesagt: 'Mama, auch wenn du jetzt willst: ich komme nicht mehr nach Hause, bevor ich fertig bin hier mit meinem Fußballerleben'."
1994 wurde Giovane Elber Torschützenkönig in der Schweizer Nationalliga. Er wechselte zum VfB Stuttgart in die Bundesliga. Mit Fredi Bobic und Krassimir Balakov bildete er das so genannte Magische Dreieck, gemeinsam mit dem VfB holten sie 1997 den DFB-Pokal. Dann erst begann seine erfolgreichste Zeit in Deutschland: beim FC Bayern München. Giovane Elber hatte sich durchgesetzt. Mit Disziplin, ja, aber auch mit einer kräftigen Portion Lockerheit:
"Ja, das ist schon typisch brasilianisch. Ich war immer für ein Blödsinn, war ich da, immer mit einem Lachen im Gesicht, und mit einem Wort hast du Spieler, der schlecht gelaunt war, gute Laune gebracht. Das war mir wichtig so. Auch beim FC Bayern, wo es anstrengend ist. Ich sage: ‚Leute, das Leben ist nicht nur Fußball, man muss leben, man muss das Leben genießen. Klar: wir wissen, Samstag müssen wir gewinnen, sonst kriegen wir auf die Fresse. Aber trotzdem müssen wir leben'. Und das hat immer geklappt, immer funktioniert. Auf dem Platz hochkonzentriert, aber außerhalb des Platzes, da war so ein Spaßvogel."
"Die drei Länder, die jedes Kind hat im Traum"
Franklin: "In Brasilien damals jeder junger Spieler hat Traum gehabt, nach Europa zu kommen."
Auch Franklin ist einer der brasilianischen Fußballimporte der Bundesliga:
"Italien war sehr stark, Deutschland und Spanien, das waren die drei Länder, die jedes Kind hat im Traum, nach Europa zu kommen. Und bei mir war Deutschland, und ich war wirklich glücklich, dass es Deutschland war."
Franklin Bittencourt war schon 23, als er entdeckt wurde. Durch puren Zufall, wie er sagt. Er machte für Fluminense ein gutes Spiel, ein deutscher Talentscout saß im Stadion, eine Woche später unterschrieb Franklin einen Vertrag beim VfB Leipzig, Zweite Bundesliga.
"Zu Anfang war sehr schwer, ich hatte den Winter in meinem Leben noch nie gesehen, ich komme aus Rio de Janeiro, bei uns Winter ist 18 Grad, plus, und ich komme nach Deutschland, da war Januar 93, ich glaube, war minus 20. Das war der erste Schock, das ich gekriegt habe, ich habe gedacht: ich bleibe nicht lange in Deutschland, ich habe gedacht, ‚okay, ein Jahr, und dann irgendwann weg', weil: für mich war es einfach zu kalt hier. Aber auf der anderen Seite: ich habe einen Traum erfüllt, bin nach Europa gekommen, wir sind aufgestiegen zur Bundesliga, am Ende war alles perfekt."
Sechs Jahre spielte er für den VfB Leipzig, anschließend fünf für Energie Cottbus. Mit beiden Vereinen insgesamt vier Jahre in der Ersten Bundesliga. Franklin hatte nie die Strahlkraft eines Giovane Elber, und so torgefährlich wie sein Kollege vom FC Bayern war er auch nicht. Aber er hatte etwas, dass er sich wie viele seiner kickenden Landsleute erst mühsam antrainieren musste:
"Disziplin. In Deutschland musst du Disziplin haben. Ich war nicht so ein überragender Spieler, ich war kein Cristiano Ronaldo oder Ronaldinho, ich wusste, wo meine Qualität ist, und ich musste dafür viel kämpfen, es zu schaffen. Ich bin 20 Jahre hier, ne. Und ich glaube schon, mit Erfolg. Kleine Vereinen gespielt, aber immer mit Erfolg."
Die Liste der Ballzauberer do Brasil in der Bundesliga ist lang. Insgesamt 136 Samba-Kicker betraten im Laufe der vergangenen 50 Jahre deutschen Bundesligaboden. In der soeben zu Ende gegangenen Spielzeit standen 13 brasilianische Profis in der Ersten Liga unter Vertrag. Seinen Höhepunkt erlebte der Brasilianer-Boom in der Saison 2008/2009. Damals spielten 36 Brasilianer in der Bundesliga, das waren 12,4 Prozent aller Ausländer.
Fußball-Weltmeisterschaft 1958 in Schweden
Zum ersten Mal auf sich aufmerksam machten die Ballzauberer vom Zuckerhut bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1958 in Schweden. Damals ging der Stern des Mannes auf, der hier im Hintergrund singt: Pelé. Aber nicht nur er, die ganze Mannschaft verzückte die Fußballwelt. Reporter Zimmermann:
"Wieder sind die Brasilianer, diesmal durch Zito, in Ballbesitz gekommen. Der hat verlängert zu Vava, Vava zu Zagalo, dem Linksaußen, der wieder zu Vava, man kann in diesen Namen förmlich baden, sie sind so musikalisch, sie sind so wie die Brasilianer auch Fußball spielen. Nichts hartes, nichts ungenaues, sondern musikalisch schön."
Pelé schoss zwei Tore, Brasilien gewann das Endspiel gegen Schweden mit 5:2. Das Image vom Sambafußball war geboren, die brasilianischen Filigrantechniker beherrschten für viele Jahre die internationale Fußballbühne.
Zu Beginn der 60er-Jahre galt die Mannschaft des FC Santos, in der Pelé spielte, als die beste Vereinsmannschaft der Welt. In etlichen Freundschaftsspielen zeigte sie ihr Können auch in Deutschland. Pelé und Kollegen erwiesen sich als Zuschauermagnet. Kein Wunder, dass Kölns umtriebiger Vereinspräsident Kremer 1964 den ersten Brasilianer auch für die Bundesliga verpflichtete. ZDF-Reporter Bela Rethy kennt sogar seinen Namen.
"Zezinho oder Zezé hieß der, der kam da an am Bahnhof, mit einem Koffer, und dann hat man vergessen, ihn da abzuholen, und dann stand er da im dünnen Jäckchen im Februar und fror und fror und fror, das war der erste Brasilianer in der Bundesliga."
Zezé blieb weniger als ein Jahr. Er machte insgesamt fünf Spiele für den 1. FC Köln, gab eine Torvorlage. Dann diagnostizierte ein spanischer Arzt bei ihm eine ‚Schnee-Allergie' – kein Witz. Zezé war weg, und die Bundesligabosse ließen vorerst die Finger von den Brasilianern. Von drei weiteren Fehleinkäufen abgesehen.
Bis 1987. Dann trat Reiner Calmund auf den Plan. Damals Vorstandsmitglied von Bayer Leverkusen. Calmund:
"Natürlich der Erste: Tita, das wird man nie vergessen, den wollten wir gar nicht verpflichten, ..."
"Es wurde ein Abschiedsspiel für einen großen Torwart"
Reiner Calmund war in Brasilien im Urlaub, wollte über Weihnachten und Neujahr ausspannen, ein Freund nahm ihn mit ins berühmte Maracaná-Stadion:
"... wir sind da zum Spiel, es wurde ein Abschiedsspiel für einen großen Torwart, und dann spielte Tita mit der 10, ich habe dann ein bisschen genauer da hingeguckt, wir haben den dann für sage und schreibe eine halbe Million Dollar verpflichtet, der dann auch für uns gerade im Uefa-Cup, die damalige Euro League sehr erfolgreich war und auch Tore geschossen hat, später auch Nationalspieler wurde. Und dann gesagt hat: ‚Calmund kleines dickes bandito, der zahlt zu wenig', weil er ja dann im Kreise der Nationalmannschaft, der vielen Legionäre in Spanien, Italien, England gesehen hat, was da bezahlt wurde, das war natürlich auch mehr, und er ist dann später ja auch nach Italia."
Tita ist der Beginn einer langen Erfolgsgeschichte. 1988 wurde Calmund Manager der Profiabteilung von Bayer, nun ging er sehr viel gezielter auf Spielerjagd in Brasilien. Jorginho, 1994 mit Brasilien Weltmeister, war der zweite, auch ein Volltreffer. Kann er sich erinnern, wie viele Samba-Kicker er insgesamt für Leverkusen verpflichtet hat?
"Ich schätze: fünfzehn Stück. Zé Roberto, ein toller Fußballspieler, nicht nur bei uns, bei Bayern München, in Hamburg, dann Emerson: Weltklasse, Kapitän der Nationalmannschaft, Lucio: Weltklasse, Kapitän der National ..., Juan: auch Kapitän der Nationalmannschaft, genau wie Jorginho, vier Spieler wurden bei uns zu Kapitänen, das ist so was, das kommt direkt hinterm Staatspräsidenten."
Das Geheimnis des Leverkusener Erfolgs hatte einen Namen: Heinz Prellwitz. Ein Mann, der seit drei Jahrzehnten in Brasilien lebte, als Fotograf viel herumgekommen war und dort nun als Repräsentant für Adidas arbeitete. Und nebenbei als Türöffner für Leverkusen. Ihm verdankte Bayer "unendlich viel", wie Reiner Calmund schrieb. Mit ihm perfektionierte die Werkself ihr Brasilien-Scouting. Und wenn die Spieler dann in Leverkusen ankamen, sorgte Heinz Prellwitz fürs Rundumsorglospaket. Calmund:
"Der hatte Riesen Beziehungen in den Sport, bis Havelange, kannte jeden Präsidenten, nicht nur jede Sambatänzerin, also der war schon im brasilianischen Leben – Fußball, Samba, Politik – voll verankert, und das war natürlich für uns Gold wert, der kam mit rüber, sprach beide Sprachen perfekt und hat natürlich den Jungens da geholfen, der deutsche Bürokratismus: Krankenkasse anmelden, Telefon anmelden, im Geschäft nicht statt Gulasch in der Dose Chappi zu bestellen, da hat er dafür gesorgt, und er war dann so richtiger väterlicher Freund oder Opa, in den Familien, bei den Frauen akzeptiert, Beispiel: als Emersons Frau im Kreißsaal war, konnte Emerson nicht dabei sein, aber Heinz Prellwitz, unser Dolmetscher und eigentlich auch Opa, Papa der Familie, war dabei, und sie riefen ihn Papa, und das war für uns, glaube ich, der Fels in der Brandung."
Gerade wirtschaftlich gelohnt
Heinz Prellwitz starb 2004, das Engagement der Leverkusener in Brasilien ging spürbar zurück. Doch bis dahin hatte sich das Geschäft schon gelohnt. Gerade wirtschaftlich. Fast immer günstig eingekauft, erzielte Bayer Leverkusen mit seinen Brasilianern hohe Transfergewinne. Bestes Beispiel Mittelfeldspieler Emerson: 1997 verpflichtet von Gremio Porto Alegre für etwa 6 Millionen Mark, drei Jahre später verkauft an den AS Rom für 40 Millionen Mark.
"Ja, und die anderen vergisst man natürlich ganz gerne. Franca hat es bei uns nicht so geschafft, war ein teurer Spieler, als der kam, hatte der in 106 Spielen beim FC Sao Paolo, bester Klub, 50 Tore geschossen, aber der hat kurz, bevor er nach Deutschland kam, geheiratet, dann wollte die Frau nicht so wie er, mit dem Kind zurück, das hat der eigentlich nicht verkraften können. Er hatte ein paar gute Spiele, auch mal gegen Real Madrid richtig aufgezündet, auch mal gegen Bayern München richtig aufgezündet, aber: insgesamt unbefriedigend seine Leistung in Leverkusen, trotz großer Qualität. Man sieht daran, wie wichtig es ist, dass sich ein Spieler 100-prozentig wohl fühlt."
Franca war einer der wenigen Fehleinkäufe in Leverkusen. Aufgrund der vielen Topverpflichtungen konnte der Verein Flops wie diesen gut verkraften. Borussia Dortmund, Hertha BSC und Werder Bremen beispielsweise hatten mit ihren brasilianischen Ballkünstlern nicht immer Glück.
Zweikampf zwischen Dante (Bayern München, links) und Jakub Blaszczykowski (Borussia Dortmund)
Zweikampf zwischen Dante (Bayern München, links) und Jakub Blaszczykowski (Borussia Dortmund). Dante gehört zu den aktuellen brasilianischen Fußballspielern in der Bundesliga. © dpa / picture alliance / Federico Gambarini
Leandro, Luizao, Wesley, Andre Lima, Carlos Alberto, Gustavo Nery, das sind Namen von Spielern, die heute kaum noch einer kennt. Klaus Allofs, bis November 2012 Manager von Werder Bremen, heute beim VfL Wolfsburg, hat sehr viele Erfahrungen mit brasilianischen Fußballern gemacht. Mit Talenten, die den sozialen Aufstieg anstrebten, um ihre Familie in der Heimat zu unterstützen, die aber aus einem Land kamen, das nicht erst seit heute im weltweiten Bildungsranking weit hinten liegt. Allofs:
"Ich glaube, das ist kein Geheimnis, dass man den einen oder anderen Spieler hatte, der nicht sehr lange zur Schule gegangen war. Der sich schwer getan hat mit Lesen und Schreiben, und sich dann natürlich auch schwer getan hat, eine neue Sprache zu lernen. Ich glaube, da lag sehr häufig auch ein Grund dafür, warum der eine oder andere Spieler das dann nicht geschafft hat."
Reporter: "Jetzt wieder Ailton vor dem Torwart, und ist der Ball im Tor? Ja. 2:0 Werder Bremen. Und wieder Ailton."
Stadionsprecher: "Toor durch den Spieler mit der Nummer 32. Aaaa.."
"Ailton galt eigentlich als hoffnungsloser Fall"
Einer, der es dennoch schaffte, sich bei Werder durchzusetzen, war Torjäger Ailton. Allerdings nicht von heute auf morgen. Er brauchte seine Zeit. Allofs:
"Ailton hat es am Anfang überhaupt nicht geschafft. Es war soweit, dass er sogar auf der Tribüne gesessen hat und eigentlich als hoffnungsloser Fall galt, und damals Trainerwechsel in Bremen, Thomas Schaaf hatte dann das Amt übernommen, auch da war es noch nicht so, dass er direkt durchgestartet ist, sondern der wahre Durchbruch kam eigentlich erst, als parallel Julio Cesar verpflichtet wurde, er an seiner Seite dann eben auch mit Claudio Pizarro auch zwar keinen Brasilianer, aber einen Südamerikaner hatte, dass er sich einfach wohler gefühlt hat, und jemand mit Julio Cesar hatte, der ihn auch bisschen an die Hand genommen hat, das zeigt auch, dass die Umstände auch häufig stimmen müssen, damit sie eben ihre Leistungsfähigkeit dann auch zeigen können."
Insgesamt sechs Jahre – von 1998 bis 2004 – spielte Ailton für Werder. Den endgültigen Durchbruch schaffte er in seinem letzten Jahr an der Weser, dem Meisterjahr. Allofs:
"Das hat er dann auch gezeigt mit seiner außergewöhnlichen Schnelligkeit, mit seinem außergewöhnlich guten linken Fuß, ..."
Fan: "Ich habe noch keinen Fußballer gesehen, der mit dem linken Außenrist ins rechte lange Toreck geschossen hat, das ist für mich eine ganz große Ausnahme."
Reporter: "Tor in Bremen: Tor, 2:0. Und wer hats gemacht? Ailton."
Allofs: Er ist ja dann auch sehr schnell zum Publikumsliebling geworden. Und auch zu jemandem, der auch von den eigenen Mitspielern geliebt worden ist oder totale Anerkennung hatte, und ich glaube, das ist für jeden Menschen eine wichtige Sache.
In der Saison 2003/2004 gewann Werder Bremen Meisterschaft und Pokal, Ailton wurde mit 28 Treffern Bundesliga-Torschützenkönig und zum Fußballer des Jahres gewählt. Kultstatus genossen vor allem seine Statements kurz nach dem Spiel:
"Champán, Wasser, Bier brasilian. Musse heute alles alle. Mannschaft sehr, sehr gut spielen, sehr gute Saison, das gratulieren Werder Bremen dieses Jahr, diese Saison musse deutscher Meister."
Ein zweiter Grund für seine Popularität war seine Figur. Nicht umsonst nannten sie ihn landauf landab den "Kugelblitz". Ailton:
"In Deutschland immer sagt: 'Ailton ist zu dick. Ailton ist ein bisschen dick'. In vero is auf die Fernseher. Kamera is ein bisschen robust. Ohne Kamera, ohne Fernseher is Ailton normal. Is die Körper schön, Ailton hab nicht so dick."
Allofs: "Den Eindruck hatten ja immer alle, dass er eigentlich zu dick ist. Was an seiner Statur einfach lag. Der war nie zu dick. Nein, dafür war er einfach zu professionell, und er wusste auch, dass seine Schnelligkeit seine Waffe ist, und wenn man dann ein paar Kilo drauf hat, ist man eben nicht mehr so schnell. Und entgegen der Meinung, die teilweise vorherrschte, dass er undiszipliniert ist, war er ein absoluter Profi. Mit einer Einschränkung: wenn es auf den ersten Trainingstag zuging nach dem Urlaub, da konnte man davon ausgehen, dass er nicht pünktlich ist. Er ist dann ein oder zwei Tage zu spät gekommen, aber ich glaube, dass er in Brasilien gar nichts mehr gemacht hat, sondern dass es einfach zu seinem Image dazu gehörte, dass er ‚ich komme zu spät' und ist dann auch gekommen, hat anstandslos seine Strafe gezahlt, in den ersten zwei, drei Tagen hat er die doppelte Ration an Trainingseinheiten gemacht, dann war alles wieder gut."
Gefährliche Winterpause
Die Winterpause – das ist ein eigenes Kapitel in der Geschichte der Ballzauberer do Brasil. ARD-Moderator Matthias Opdenhövel weiß: die Vereine konnten sich nie ganz sicher sein, dass ihre Brasilianer tatsächlich zurückkehren würden:
"Es war natürlich immer sehr amüsant zu sehen, wer denn dann doch wieder unpünktlich aus dem Urlaub zurückkam, und aus welchen sehr subtilen Gründen, dann war die Ziegenfarm, die ja leider ein Loch im Zaun hatte, und das musste sicherlich geflickt werden, und deshalb konnte der Flieger nicht pünktlich bestiegen werden, und das war halt immer sehr kurios. Und wie die Vereine dann auch mit diesen Problemchen umgegangen sind, der eine Verein hat dann drauf gedonnert und dann gab es Geldstrafen, die anderen Vereine haben nur gehofft, dass es nicht an die Presse kommt und dass man nicht das Gesicht verliert und hat gesagt, na Hauptsache er kommt irgendwann mal."
Der ARD-Brasilien-Experte Giovane Elber posiert während eines Fototermins vor einer ARD- und ZDF-Pressekonferenz in Hamburg für die Fotografen.
Der ARD-Brasilien-Experte Giovane Elber posiert während eines Fototermins vor einer ARD- und ZDF-Pressekonferenz in Hamburg für die Fotografen.© picture alliance / dpa / Marcus Brandt
Selbst ein Musterprofi wie Giovane Elber nahm die eine oder andere Geldstrafe des FC Bayern München in Kauf. Der deutsche Winter sei nichts für ihn, sagte er einmal, da könne er sich integrieren wie er wolle, auch mit vier Lederhosen im Schrank:
"Weil Winter hier, Sommer in Brasilien, die kurze Zeit, zehn Tage, zwei Wochen, dass du in Brasilien gehabt hast, du bist mit deinen Freunden zusammen, jeden Abend Grillparty mit deiner Familie, tolles Wetter, und dann kommt der Tag, wo du zurückfliegen musst, also ich bin schon paar Mal zu spät gekommen. Bis ich so eine richtige Strafe bekommen habe vom FC Bayern und ich gesagt habe: das tut schon weh. Einen Tag später habe ich zum Otmar Hitzfeld gesagt: ‚du Trainer, die zwei Tage, wo ich in Brasilien war, es war so schön, okay, die Strafe zahle ich. Weil: das hatte sich gelohnt. Und jetzt gebe ich alles bis zum Ende der Saison, dass wir das Ding gewinnen'."
Reporter: "Pellegrino, Kahn hält! Kahn hält den Ball! Bayern hat den Pott! Bayern hat den Pott! Ja! Kahn reißt die Arme hoch."
Elber: "Am Ende haben wir gewonnen, waren alle zufrieden, waren alle begeistert, aber das ist, für die Brasilianer ist das, kann man sagen: normal."
2001 war es, da gewannen Elber, Kahn und Co. die Champions League, im Elfmeterschießen gegen den FC Valencia, anschließend den Weltpokal.
Giovane Elber wurde mit den Bayern vier Mal Meister, drei Mal Pokalsieger. 2003 gewann er die Torjägerkanone. Mit seinen insgesamt 133 Treffern, die er im Laufe seiner Karriere in der Bundesliga erzielte, war er lange Zeit der erfolgreichste Ausländer im deutschen Profifußball. Den Titel trägt mittlerweile einer seiner Nachfolger bei den Bayern, Claudio Pizarro.
Für kurze Zeit war Giovane Elber auch der Brasilianer mit den meisten Bundesligaeinsätzen, den Titel nahm ihm Dédé von Borussia Dortmund ab. Dédé war für seine ‚Samba-WG' bekannt. Landsleute, die bei einem Verein aus der Umgebung unterschrieben hatten, sogar die Schalker Brasilianer, gingen bei ihm ein und aus. Dédé wollte ihnen ein Stück Heimat geben. Für Giovane Elber kam so etwas nicht in Frage:
"Das stimmt schon, die brasilianischen Spieler, die wollen ihren Clan haben, zehn Leute, fünfzehn Leute zuhause, nein, ich war immer der ruhige Typ, also ich sage immer wieder: ich bin mehr Deutscher als Brasilianer. Aber ich war so fixiert und konzentriert auf den Fußball. Ich hatte diese Zeit nicht. Mit einem Freund in eine Kneipe zu gehen, in eine Disko zu gehen, in eine Bar zu gehen. Das hatte ich nicht. Also ich habe schon mit 17, 18 gelebt wie ein alter Mann."
"Wie eine große Familie"
Franklin Bittencourt, von 1998 bis 2003 bei Energie Cottbus unter Vertrag, hielt es wie Dédé. Mit einem Unterschied: in seinem Haus gingen nicht nur die brasilianischen Mitspieler ein und aus, sondern fast alle ausländischen Profis, die nach Cottbus kamen. Franklin kümmerte sich um die neuen Spieler, half ihnen bei Behördengängen, seine Ehefrau ging mit den Spielerfrauen in Berlin shoppen oder veranstaltete Kaffeetafeln. Hinzu kam, dass viele Profis im gleichen Dorf wohnten, vor den Toren von Cottbus. Franklin:
"Wie eine große Familie. Wir haben nach dem Spiel bei mir zuhause gegrillt oder bei Piplica, und dann irgendwann kriegst du einen großen Respekt und will seinem Mitspieler richtig helfen. Und damals wir waren nicht die beste Mannschaft, aber auf dem Platz wir waren füreinander da. Das für Fußball ist sehr wichtig."
Das Ehepaar Bittencourt lebt mittlerweile in Hannover. Zusammen mit Leonardo, ihrem 20-jährigen Sohn, und dessen Freundin. Leo spielt auch Fußball und steht im Moment bei Hannover 96 unter Vertrag. Franklin:
"Er hat seine Familie: seinen Vater, seine Mutter, er hat seine Freiheit, und es gibt keinen Grund, dass er allein wohnt. Wenn er sagt ‚Papa, ich will allein wohnen', er wird allein wohnen. Aber er braucht es nicht. Wir als Brasilianer: wir holen die Kraft aus unserer Familie."
Es gab Zeiten, da hatte beinahe jeder Bundesligist ‚seinen' Brasilianer. Da konnte man dann fast täglich etwas über ihre spielerische Raffinesse, ihre Finten, Tricks und Tore lesen. Zum Beispiel über Schlitzohr Grafite, der den VfL Wolfsburg 2009 fast allein zur Meisterschaft schoss. Unvergessen bleibt sein Tor des Jahres, als er die gesamte Bayern-Abwehr austanzte und den Ball mit der Hacke ins Tor schlenzte.
Oft konnte man aber auch schmunzeln über die Samba-Kicker und manch extravaganten Auftritt außerhalb des Spielfeldes. Zum Beispiel über Alex Alves von Hertha BSC, als er mit einem weißen Pelzmantel zur Weihnachtsfeier erschien, oder über seinen Mannschaftskameraden Marcelinho, wenn er mit gesamter Entourage wieder zu lange in seiner brasilianischen Stammkneipe gefeiert hatte.
Bemerkenswert auch die Anekdote von Nando, der von 1989 bis 1992 für den Hamburger SV stürmte. Weil er Angst vor der brasilianischen Steuerbehörde hatte und den deutschen Banken misstraute, mauerte er das Handgeld, das er für seinen Wechsel zum HSV bekommen hatte, in seine Hauswand ein. Als er die Scheine später wieder herausholte, waren sie alle verschimmelt. 100.000 Dollar futsch.
Wie viel auch immer dran ist an solchen Legenden. Dass der Brasilianer-Boom in der Bundesliga zu Ende gegangen ist, hat andere Gründe. Zum Beispiel die professionelle Nachwuchsarbeit der Bundesliga-Klubs. Viele bilden ihre Talente selbst aus. Dann spielt selbstverständlich das Geld eine zentrale Rolle. Osteuropäische Oligarchen, arabische Scheichs, asiatische Konzernbosse: sie alle leisten sich längst auch ‚ihre' Ballzauberer vom Zuckerhut und zahlen mehr als die Deutschen.
Zudem habe sich der brasilianische Markt auch selbst überhitzt, stimmen ZDF-Reporter Bela Rethy und Wolfsburgs Manager Klaus Allofs überein.
Rethy: "Wenn man bedenkt, dass ein Ronaldinho, als er zurück ist von Europa zu Flamengo Rio de Janeiro 600.000 Euro im Monat verdient hat, merkt man schon, dass der Markt sich verändert hat, und es ist viel schwieriger, Brasilianer wegzulocken aus ihrer geliebten Heimat, weil sie inzwischen vernünftig bez ... vernünftig ist gut, extrem gut bezahlt werden, inzwischen ist das so, dass man die erste Garnitur gar nicht mehr so leicht bekommt wie damals."
Allofs: "Das liegt an der WM, die stattfindet in Brasilien, dass die Preise für die Spieler dann auch im Moment nicht verhältnismäßig sind. Sondern dass sie vielleicht im Moment etwas zu hoch liegen, und deswegen vielleicht so ein Zuwenden zu anderen Ländern, zu anderen Quellen."
Immer wieder jemand Interessantes dabei
Dennoch, so Allofs, wäre es fahrlässig, den brasilianischen Markt nicht weiter zu beobachten. Nirgendwo sonst in der Welt würden so viele Talente ausgebildet wie hier. Da sei immer wieder jemand Interessantes dabei.
Das sieht auch Bayer Leverkusen wieder so und hat für die neue Saison die Nummer 137 der Bundesliga-Brasilianer verpflichtet. Wendell heißt der Junge, 20 Jahre alt, Linksverteidiger. Reiner Calmund ist gespannt:
"Diese zweite Kategorie, die wir damals noch als erste Kategorie bekamen, sind nicht mehr so auf dem Markt. Da sind natürlich die Vereine, die großen Klubs versuchen, die Spieler früh zu binden, da gibt es Spielerberater, die sagen ‚wenn es ein kleinerer Klub, ein ärmerer Klub ist, ich zahle euch ne Summe, dafür gebt ihr mir Transferrechte in Form von Real, Dollar oder Euro, spielt keine Rolle', und wenn der Spieler dann verkauft wird von dem Berater, klingelt bei dem dann auch noch mal die Kasse, also ein Schnäppchen zu machen, wäre auch für mich heute nicht mehr so einfach, deswegen hoffe ich, dass es den Leverkusenern jetzt gelungen ist."
6,5 Millionen Euro hat der Werksklub für die Neuverpflichtung von Gremio Porto Alegre bezahlt. Wendell berichtete, ein Mannschaftskollege habe ihm zu diesem Wechsel geraten: der ehemalige Leverkusener Zé Roberto. In höchsten Tönen habe er von der Werkself geschwärmt. Zé Roberto spielte allerdings für Bayer, als es noch Papa Prellwitz gab.
Ein Geheimrezept für den perfekten Brasilianer-Transfer gibt es nicht. Das zeigt auch der tragische Fall des Bayern-Verteidigers Breno, der als junger Spieler mit höchsten Vorschusslorbeeren nach München kam, sich nie durchsetzen konnte und schließlich im Gefängnis landete. Elber:
"Fußball: es ist nicht nur auf dem Platz. Man muss verstehen: das wichtige ist auch außerhalb des Platzes. Auf dem Platz: jeder Brasilianer kann Fußball spielen. Aber außerhalb des Platzes: so schnell wie möglich die Sprache zu lernen. Also das ist ganz wichtig, weil ohne die Sprache, ohne zu verständigen, schafft man nicht. Egal wie gut man ist, die Sprache braucht man. Unbedingt. Vor allem später, dann kommt Junge, seine Freundin, Frau, und wenn du die Sprache nicht kannst, dann ist man, sagen wir so: verloren."
Allofs: "Nur: das darf nicht dazu führen, dass man statt fünf Mal zu trainieren nur noch einmal trainiert und dafür vier Mal Rhetorikkurse macht, so gilt das natürlich auch für die brasilianischen Spieler. Es nützt mir nichts, wenn sie in perfektem Deutsch erklären können, warum sie das Tor nicht getroffen haben."
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