Fußball - Bundesliga-Start

Der Fan kann sich die Ticketpreise kaum noch leisten

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Heute beginnt die 53. Saison in der Bundesliga. © Tobias Hase / dpa
Jens Berger im Gespräch mit Dieter Kassel  · 14.08.2015
Eine Gentrifizierung des Fußballs, kritisiert der Blogger und Buchautor Jens Berger. Er hat dem Riesengeschäft jetzt ein Buch gewidmet, aber die eigene Begeisterung für die Bundesliga dennoch nicht eingebüßt.
"Ich bin auch immer mit dem Gedanken reingegangen, da schießen entweder Konzerne oder Oligarchen mehrere Millionen rein und verbrennen die sozusagen zu ihrer eigenen Freude", sagte der Buchautor Jens Berger im Deutschlandradio Kultur über das große Geschäft mit dem Fußball. Das sei allerdings nicht so, sondern der Profifußball erweise sich als hochprofitabel.
Die Bundesliga verdiene um die 350 Millionen Euro vor Steuern Gewinn bei 2,5 Milliarden Euro Umsatz. "Das sind über 60 Euro pro Haushalt in Deutschland", sagte Berger über den hohen Anteil, den jeder Bundesbürger für den Profifußball jährlich aufwende.
Teures Hobby für die Fans
Dabei könne sich der normale Fan, vor allem der Arbeiter oder Arbeitslose die hohen Ticketpreise kaum noch leisten und seinem Hobby immer weniger nachgehen. Die Vereine hätten stattdessen immer stärker die zahlungskräftigen Zielgruppen im Blick, beklagt der Redakteur des Onlineportals "NachDenkSeiten".
Spitzenfußballer sind die Großverdiener
Das ganz große Geld, verdienten die Top-Stars, sagte Berger. "Mittlerweile sind die Gehälter der Top-Stars massiv gestiegen." Allerdings zeige beispielsweise Christiano Ronaldo, dass diese Spitzenfußballer das Geld über Merchandising auch wieder reinholen könnten. Er verkaufe für Real Madrid im Jahr eine Million Trikots mit seinem Namen, die zwischen 80 und 100 Euro kosteten. Rund ein Drittel bleibe in den Kassen von Real Madrid hängen. "Da verlieren dann auch die gigantischen Zahlen auch schon wieder an Schrecken", sagte Berger über die Spitzengehälter im Fußball. "Man muss sich allerdings klar sein, dass es von diesen Weltstars auch nur ganz wenige gibt und auch nur ganz wenige geben kann."
Die Armutsfalle
Nach Angaben der Spielergewerkschaft lande jeder vierte ehemalige Profi-Fußballer bei Hartz IV. Auch die Zahl der Privatinsolvenzen sei bei keiner anderen Berufsgruppe so groß wie bei früheren Fußballspielern, sagte Berger.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Mit der Partie FC Bayern gegen den Hamburger SV beginnt heute die neue Saison der Fußballbundesliga. Es sind Profivereine, die da gegeneinander spielen, so sagt man immer mal wieder, aber – und so sagt man meistens nicht – es sind vor allem auch große und meist höchst profitable Wirtschaftsunternehmen, die da ihre Stars auf den Rasen schicken. Fußball ist ein Sport, Profifußball ist ein gigantisches Geschäft. Darum geht es Jens Berger, unter anderem Redakteur der "NachDenkSeiten", Blogger, Publizist, in seinem neuen Buch "Der Kick des Geldes oder wie unser Fußball verkauft wird". Schönen guten Morgen, Herr Berger!
Jens Berger: Schönen guten Morgen!
Kassel: Ich unterstelle mal, Sie sind an die Recherchen für dieses Buch nicht herangegangen nach dem Motto "Ist ja bestimmt alles in Ordnung, ich will nur mal gucken, ob etwa nicht", sondern Sie haben gewusst, dass das ein großes Geschäft ist. Waren Sie trotzdem teilweise überrascht oder an der einen oder anderen Stelle schockiert von Ihren Ergebnissen?
Berger: Ja, ich war vor allen Dingen darüber überrascht, dass sich dieses Geschäft tatsächlich rentiert. Ich bin auch immer mit dem Gedanken reingegangen, da schießen entweder Konzerne oder Oligarchen mehrere Millionen rein und verbrennen die sozusagen zu ihrer eigenen Freude. Das ist aber nicht so. Der Profifußball ist hoch profitabel.
Kassel: Kann man da Zahlen nennen, so ein bisschen Größenordnungen?
Berger: Die Bundesliga macht um die 350 Millionen Euro vor Steuer Gewinn bei 2,5 Milliarden Euro Umsatz. Um das mal in ein Bild zu packen – ich meine, wir sind ja durch die ganzen Zahlen aus den Finanznachrichten so ein bisschen verwirrt – das sind über 60 Euro pro Haushalt in Deutschland. Das heißt, dass jeder Haushalt durchschnittlich über 60 Euro pro Jahr aufbringen muss, um die erste Fußballbundesliga zu finanzieren.
Der klassische Fan kann sich das Hobby kaum noch leisten
Kassel: Wenn aber doch die meisten, gut, vielleicht nicht jeder Haushalt, aber Spaß am Fußball haben, ist das grundsätzlich schlimm, dass das so ein großes Geschäft ist?
Berger: Jain. Es ist natürlich nicht schlimm. Die Sache ist natürlich die, es muss refinanziert werden, und das Business Fußball refinanziert sich mehr über die Fans, was sich beispielsweise in erhöhten Ticketpreisen widerspiegelt. Und das hat natürlich auch eine soziale Auswirkung, ich nenne es im Buch "Gentrifizierung des Fußballs", dass sich der klassische Fan, der Arbeiter oder vielleicht sogar der Arbeitslose und auch Jugendliche, immer weniger die Tickets leisten können und immer weniger an ihrem eigenen Hobby partizipieren können, und die Vereine auch gar nicht mehr auf diese "normalen" Fans schielen, sondern zahlungskräftigere und zahlungsfähigere Zielgruppen im Visier haben.
Kassel: Nun wird immer wieder diskutiert, wenn es zum Beispiel einen großen Transfer gibt, über das enorme Geld, das Fußballspieler verdienen, wobei sie das Transfergeld ja nicht bekommen, sondern ihre alte Mannschaft. Aber wer ist es denn hauptsächlich, der wirklich das ganz große Geld beim Fußball verdient?
Berger: Ja, das sind in der Tat – das sind die Top-Stars, also seit dem Bosman-Urteil. Vorher ist das Geld – da waren auch sehr große Summen immer im Spiel, aber es ist unter den Vereinen ist das Geld immer gekreist. Ein bisschen hat immer der Staat über die Steuern abgenommen. Mittlerweile sind gerade die Gehälter der Top-Stars massiv gestiegen. Man muss allerdings auch dazu sagen, dass gerade eben diese Super-Top-Stars in der Regel sich auch refinanzieren, beispielsweise über die Merchandising-Einnahmen.
Nehmen wir einen Christiano Ronaldo: Mit seinem Namen verkauft Real Madrid eine Million Trikots pro Jahr, das muss man sich mal vorstellen, bei einem Verkaufspreis von zwischen 80 und 100 Euro sind das zwischen 80 und 100 Millionen Euro, wovon rund ein Drittel über Lizenzen etc. in den Kassen von Real Madrid hängenbleibt. Und da verlieren selbst diese gigantischen Zahlen dann auch schon wieder an Schrecken. Man muss sich allerdings klar sein, dass es von diesen Weltstars auch nur ganz, ganz wenige gibt, und auch nur ganz, ganz wenige geben kann.
Die andere Seite des Fußballs
Kassel: Ist das, nicht nur, was die einzelnen Spieler angeht, die andere Seite des Fußballs? Ich meine, wir reden oft über die Erste Fußballbundesliga, wir reden gelegentlich über die Zweite Fußballbundesliga, aber es gibt ja auch noch andere Ligen, kleinere Spieler. Gibt es da diesen berühmten Trickle-down-Effekt oder ganz im Gegenteil?
Berger: Ja, den gibt es. Laut Angaben der Spielergewerkschaft in Deutschland landet jeder vierte ehemalige Profi letztendlich bei Hartz IV. In keiner anderen Berufsgruppe ist die Zahl der Privatinsolvenzen so groß wie bei ehemaligen Fußballprofis.
Kassel: Wobei ich sagen muss, das war nicht ganz der Trickle-down-Effekt, den ich meinte – dass das Geld von oben nach unten – das offenbar nicht?
Berger: Das ist aber – auch das ist nicht der Fall, nein. Natürlich verdienen Fußballprofis auch in der Breite ein relativ ordentliches Geld. Aber die Gehälter gerade eben in der Zweiten Bundesliga oder den Regionalligen sind in den letzten Jahren keineswegs so stark gestiegen wie die Gehälter der wenigen Topstars. Und was ich gerade eben genannt habe, das sind natürlich auch die Folgen daraus.
Kassel: Der Untertitel Ihres Buches lautet "Wie unser Fußball verkauft wird". Da frage ich mich immer, ist das nicht immer schon eine Illusion gewesen, dieses "der Fan ist eins mit der Mannschaft" und "das ist alles ein großes Sozialereignis"? Es ist eine große Show, und, Stadion hin oder her, die allermeisten Fans saßen immer schon vor dem Fernseher. War das je wirklich unser Fußball, selbst wenn wir mit "unser" jetzt wirklich nur Leute meinen, die sich wirklich für Fußball interessieren?
Berger: Das ist eine sehr gute Frage. Diese Entwicklung ist sicherlich nicht neu. Die Spitzenentwicklungen sind neu. Aber wenn wir mal zurückschauen, nehmen wir mal einen Uwe Seeler, der sich noch nicht mal für eine Million Mark damals, was früher sehr, sehr viel Geld war, nach Italien hat bewegen lassen, sondern der bei seinem HSV geblieben ist, der Fan seines Clubs war. Auch die Traditionsclubs, nehmen wir mal 1860 München oder Dortmund und Schalke, sind ja organisch mit ihren Fans gewachsen in ein gewisses Milieu hinein. Und gerade eben das gibt es eigentlich kaum noch. Fußball ist mehr ein austauchbares Event.
Aktives Engagement ist gefragt
Kassel: Hat Ihnen eigentlich die Recherche, das Schreiben des Buches den Spaß am Fußball total verdorben, oder werden Sie zum Beispiel heute Abend das Spiel sehen?
Berger: Ich werde mir das schon anschauen. Ich meine, das ist natürlich so eine – klar, man ist immer ein bisschen schizophren, und die meisten Leute wissen doch, Stichwort FIFA, dass im Fußball nicht alles glatt läuft. Aber ich denke, es wäre auch die falsche Reaktion, sich davon abzukoppeln, sondern im Gegenteil, man muss sich aktiv auch engagieren, um unseren Fußball wieder in eine bessere Richtung zu bringen.
Kassel: Herzlichen Dank! Die Fußballbundesliga beginnt heute Abend trotz allem wieder. Wer will, der kann schon während des Spiels München gegen Hamburg das Buch von Jens Berger lesen. Ich empfehle aber nicht nur wegen des Spiels, sondern auch wegen des Buches, das hat es verdient, das lieber nachher in Ruhe zu tun. Der "Kick des Geldes", heißt das Buch, ist im Westend-Verlag erschienen, und das Thema "Erstickt unser Fußball im Kommerz", das wird uns auch heute Abend ab 18:07 Uhr in unserer Sendung "Wortwechsel" beschäftigen. Wir bleiben also am Ball, um einen wahnsinnig schlechten Wortwitz zu machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jens Berger, Der Kick des Geldes oder wie unser Fußball verkauft wird, Westend Verlag, 17,99 Euro.
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