Fukushima

"Das schützt nur die Atomkraftbetreiber"

Heinz Smital im Gespräch mit André Hatting · 11.03.2014
Heinz Smital, Atomexperte bei Greenpeace, verurteilt den Umgang der japanischen Regierung und des Energieunternehmens Tepco mit den Folgen der Atomkatastrophe von Fukushima vor drei Jahren. Auch in Deutschland erfülle kein Reaktor die heutigen Anforderungen.
André Hatting: Fukushima vor drei Jahren: Nach einem Erdbeben und einem Tsunami kommt es im Atomkraftwerk zur Kernschmelze. Es wird die schlimmste Katastrophe seit Tschernobyl. Und die Gefahr ist auch drei Jahre später noch da – auf dem verseuchten Gelände kämpfen Arbeiter dagegen an, dass nicht noch mehr verstrahltes Wasser austritt. Und immer noch leben 140.000 Menschen in Behelfsunterkünften, umgesiedelt aus dem verstrahlten Gebiet rund um das AKW. So viel ist bekannt.
Ansonsten dringt wenig nach draußen. Betreiberfirma Tepco und die japanische Regierung vermitteln den Eindruck "Alles unter Kontrolle". Dabei war deren Krisenmanagement geprägt von Versagen und Vertuschung. Der Kernphysiker Heinz Smital hat sich selbst ein Bild gemacht für die Umweltorganisation Greenpeace ist er vor Kurzem in das Katastrophengebiet gereist. Guten Morgen, Herr Smital!
Heinz Smital: Guten Morgen!
Hatting: Was ist denn Ihr Eindruck von der Situation in Fukushima?
Smital: Die Situation ist so, dass selbst für Menschen, wo man zunächst den Eindruck hat, es könnte wieder alles in Ordnung sein, die Situation sehr, sehr schwierig ist, und sie sehr unter den Umständen leiden. Also beispielsweise eine Familie, die erst evakuiert werden musste, hat die Nachricht bekommen, sie kann zurückkehren. Messungen haben aber ergeben, ihr Grundstück ist so belastet, dass man die Erde zum Teil als Atommüll bezeichnen muss.
Die junge Familie will nicht in dieses Haus zurückkehren, kriegt aber keine Unterstützungen mehr. Das heißt, sie muss die Kreditrate für das alte Haus weiter bedienen, das nichts mehr wert ist, und sich eine neue Existenz aufbauen, völlig ohne Unterstützung. Das schützt nur im Prinzip die Atomkraftbetreiber und lässt diese vielen, vielen Schicksale, die vielleicht sogar normal wirken auf den ersten Moment, hier völlig in der Schwierigkeit zurück.
Hatting: Was tut der Atomkraftbetreiber Tepco und was tut die japanische Regierung im Augenblick, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen, was vor allem die Verseuchung betrifft?
Heinz Smital sitzt vor einem Mikrofon, im Hintergrund ein Monitor mit Greenpeace-Aufschrift. Im Vordergrund sind Zuhörer zu erkennen.
Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital© dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini
Smital: Es wird sozusagen viel Tätigkeit aufgewendet, um zu dekontaminieren, aber das ist immer nur in kleinen Bereichen - um das Haus herum lässt sich die Strahlung durchaus vermindern, aber die ganze Region, auch der Fluss zum Beispiel, Flussufer und Wälder bleiben kontaminiert. Das heißt, die Rückkehr für junge Familien in ein solches Gebiet ist sehr fraglich. Und hier wird vor allem – dieses Aufheben von Evakuierungsgebieten ist etwas, was vor allen Dingen die Kosten minimiert, weil damit keine Zahlungen mehr notwendig sind. Das belastet die Bevölkerung im Grunde sehr stark.
"Atomkraft ist keine Frage der Versorgungssicherheit"
Hatting: Die japanische Regierung hat ja nun gerade beschlossen, Atomkraftwerke wieder hochzufahren. Sind die alle eigentlich ausreichend geprüft und die Sicherheitsstandards verbessert worden, Ihrer Meinung nach?
Smital: Hier ist einmal sehr interessant zu vermerken, dass alle Atomkraftwerke von Japan seit September, das heißt den kompletten Winter aus waren. Das heißt, die Atomkraft ist nicht mal in Japan, das über 30 Prozent davon abhängig war, keine Frage der Versorgungssicherheit. Es gehen keine Lichter aus. Es ist mehr ein ökonomisches Problem, dass natürlich die Energieversorger, die Atomkraftwerke haben, jetzt natürlich nicht diesen wirtschaftlichen Erfolg haben.
Und das Einschalten von Reaktoren ist vielmehr eine Frage der Wirtschaftlichkeit und eine Gewinnaussicht für die stark angeschlagenen Energiekonzerne, als dass es für die Versorgung notwendig wäre. Und es sind natürlich viele Fragen offen, und es ist der Widerstand gegen das Anfahren sehr hoch. Das zeigt ja auch, dass die Reaktoren jetzt noch nicht wieder am Netz sind.
Hatting: Allerdings, und das ist ja nun die entscheidende Frage, bleibt offen, ob bei einem weiteren Tsunami – ich meine, Japan ist ein Erdbebengebiet –, diese Atomkraftwerke dem standhalten würden. Was sind Ihre Informationen? Sind die entsprechend nachgerüstet worden?
Smital: Hier gibt es sicherlich Nachrüstungen. Aber das Problem darf man nicht allein auf einen Tsunami reduzieren. Es ist bekannt gewesen, dass Fukushima Daiichi einem solchen Tsunami, der durchaus nicht so unwahrscheinlich ist, nicht standhalten könnte. Und einen Monat, bevor das große Unglück passiert ist, hat der Reaktor eins eine Laufzeitverlängerung bekommen für zehn Jahre. Das heißt, einen Monat später ist das Kraftwerk dann explodiert. Diese Laufzeitverlängerung war natürlich auch verbunden mit Überprüfungen und mit Verbesserungsmaßnahmen. Das heißt, dass alle diese sogenannten Überprüfungen sich nicht danach richten, ob das Kraftwerk danach wirklich sicher ist, sondern nur, dass es sozusagen wirtschaftlich bedient wird.
Hatting: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Internationale Atomenergiebehörde IAEA dabei?
Smital: Die spielt zum Teil eine recht unrühmliche Rolle, weil sie auch die Förderung der Atomkraft in ihren Statuten hat. Und hier wird sozusagen einerseits sicherlich große Fachkenntnis, andererseits eben der Auftrag, Atomenergie zu fördern. Das heißt, die Internationale Atomenergie hat den Auftrag, auch Japan zu unterstützen, diese Kraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen.
Und es ist zum Beispiel auffällig, dass die Einstufung, dass es sich um einen Störfall der größten Stufe auf der internationalen Atomenergieskala, der sogenannten INES-Skala, handelt, wurde wochenlang nicht getroffen, obwohl es eindeutig war, dass das schon der Fall ist. Es gibt viele Momente, wo man sieht, dass die Internationale Atomenergieorganisation das versucht herunterzuspielen, das Ausmaß der tatsächlichen Katastrophe.
"Insgesamt ein Problem mit diesen alten Atomkraftwerken"
Hatting: Wir zeigen hier in Deutschland gern mit dem Finger auf Japan, schütteln den Kopf über das Krisenmanagement, aber die Strahlenschutzkommission in Deutschland hat erst Anfang des Monats festgestellt, dass auch die deutschen Atomkraftwerke stark verbesserungswürdig sind, was die Sicherheitslage betrifft. Wie sehen Sie das?
Smital: Das ist ganz klar, dass kein einziger Atomreaktor, der jetzt noch in Deutschland läuft, die neuesten Anforderungen erfüllt, die man heute aufgrund neuer Erkenntnisse an Atomkraftwerke stellt. Das lässt sich auch nicht nachrüsten. Insofern ist insgesamt ein Problem mit diesen alten Atomkraftwerken, die im Design nicht nachrüstbar sind nach neuen Erkenntnissen über Unfallszenarien und Möglichkeiten, wie ein Reaktor zur Katastrophe führen kann. Und was auch klar ist, ist, dass wenn zu viel Radioaktivität frei wird, die in jedem Reaktor ja vorhanden ist, dass es hier kein Katastrophenschutzszenario gibt, das das beherrschen kann. Das heißt, es ist eine Problematik der Technologie.
In Japan war es ja so, dass in 2011 die Gefahr bestand, den Großraum Tokio mit 30 Millionen Menschen zu evakuieren. Wenn der Wind etwas anders gewesen wäre und nicht so viel Radioaktivität in den Pazifik, sondern vielleicht etwas mehr nach Süden, nach Tokio gebracht hätte – es wäre unmöglich gewesen, diese Situation zu beherrschen. Und das gilt natürlich generell für alle Atomreaktoren und insgesamt für diese Atomtechnologie.
Hatting: Fukushima drei Jahre nach der Reaktorkatastrophe. Über die Lehren daraus der Atomexperte von Greenpeace, Heinz Smital. Ich danke für das Gespräch, Herr Smital!
Smital: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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