Für immer wegsperren?

Von Silke Lahmann-Lammert · 18.03.2013
Immer öfter ordnen Richter Sicherungsverwahrung an. Das bedeutet: Straftäter kommen auch nach abgesessener Haft nicht frei. Ist der "Knast auf ewig?" tatsächlich eine effektive Maßnahme, um unbescholtene Bürger vor Kriminalität zu schützen? Diese Frage beleuchtet Ulli Wendelmann in einer Dokumentation, die heute in der ARD zu sehen ist.
Rainer S. hat seine Strafe abgesessen, die Freiheit ist zum Greifen nahe. Aber kurz vor dem ersehnten Tag ordnet ein Richter Sicherungsverwahrung an. Der Grund ist ein psychologisches Gutachten, das prognostiziert: Wahrscheinlich werde Rainer S. nach seiner Entlassung ähnliche Straftaten begehen wie die, die ihn vor Jahren hinter Gitter brachten:

"Ich war damals drogenabhängig und hatte als Hauptmotiv Drogenbeschaffung, und hab damals das Problem für mich mit Banküberfällen gelöst."

Außerhalb des Justizapparates ist kaum bekannt, dass Sicherungsverwahrung sich nicht auf Schwerverbrecher und Sexualstraftäter beschränkt. Sie kann, neben anderen Delikten, für notorischen Diebstahl verhängt werden. Auch Rainer S. hat keine Gewalttaten begangen. Bei seinen Banküberfällen benutzte er eine Spielzeugpistole.

"Wir glauben dann am Ende des Strafvollzugs, nur aufgrund der Entwicklung in einer künstlichen Umgebung, sagen zu wollen, ist diese Person jetzt gefährlich oder ist sie nicht gefährlich?"

Der Kriminologe Jörg Kinzig bezweifelt, dass ein Gutachter unter solchen Umständen eine zuverlässige Prognose abgeben kann.

"Und die Gesellschaft muss sich der Frage stellen: Ist das eigentlich gerechtfertigt? Kann ich zehn Leuten die Freiheit über die Strafe hinaus entziehen, von denen nur zwei rückfällig würden?"

1990 waren in Deutschland 180 Menschen in Sicherungsverwahrung. Heute sind es fast dreimal so viele. Betrachtet man diese Entwicklung, könnte man glauben, die Sicherheitslage habe sich dramatisch verschlechtert. Aber das Gegenteil ist der Fall:

"Kein Mensch schreibt, dass die Rate der Tötungsdelikte sich seit 1993 halbiert hat in Deutschland,"

beklagt der Münchner Psychiater Norbert Nedopil.

"Das fragen mich die meisten Journalisten, die hierher kommen: Herr Professor, erklären Sie mir, warum die Zahl der Gewalttaten und der Sexualstraftaten so dramatisch zugenommen hat!"

Offenbar wächst die Diskrepanz zwischen gefühlter und wirklicher Kriminalität. Werden immer mehr Menschen weggesperrt und ihrer bürgerlichen Rechte beraubt, weil die Deutschen von irrationalen Ängsten geplagt werden? Ausgewogen und kenntnisreich beleuchtet Filmautor Ulli Wendelmann das Für und Wider der Sicherungsverwahrung. Seine Leitfrage verliert er dabei nie aus dem Blick: Wie verträgt sich der vorbeugende Freiheitsentzug mit unserem rechtsstaatlichen Gebot "keine Strafe ohne Schuld"?
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