Für immer gezeichnet

Von Jürgen Liebing · 21.07.2012
Die Erfüllung eines Traums sollte es für den Bassbariton Evgeny Nikitin werden: Als erster Russe sollte er bei den Bayreuther Festspielen die Titelpartie singen. Doch dann wurde bekannt, dass er Nazi-Tatoos trägt. Die Festspielleitung Bayreuth reagierte und Bassbariton Samuel Youn singt nun die Rolle des Holländers. Anmerkungen von Jürgen Liebing.
Singen kann er, der russische Bass-Bariton Evgeny Nikitin, aber ansonsten sind Zweifel angebracht an seinen übrigen Fähigkeiten. Ach, Schlagzeug spielen kann er auch, das hat er jedenfalls früher in einer Heavy-Metal-Band getan, und da habe es einfach dazu gehört, Tattoos zu tragen, "denn", so der Sänger, "Rockmusik ohne Tattoos ist ehrlich gesagt einfach nicht seriös." Das mag ja sein, aber muss es denn ein Hakenkreuz sein?

Kann es sein, dass er nicht gewusst hat, was er sich da schmerzhaft auf die rechte Brust tätowieren ließ und was er später versucht hat, mit einem anderen Tattoo zu kaschieren? In der Jugend mache jeder "gute, verrückte Sachen". Verrückt mag es ja sein, aber gut?

Tattoos sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, nicht nur Fußballer und Expräsidentengattinnen tragen welche, aber es kommt noch immer darauf an, welche.

Musste erst ein längeres Gespräch mit der Festspielleitung den Sänger darauf bringen, was ein Hakenkreuz bedeutet? Zumal an einem Ort, der noch immer auch mit seiner braunen Vergangenheit beschäftigt ist?

Unterhalb des Festspielhauses ist in diesem Jahr eine Ausstellung zu sehen unter dem Titel "Verstummte Stimmen". Sie beschäftigt sich mit den jüdischen Sängern und Musikern in Bayreuth, wie sie schon lange vor 1933 ausgegrenzt und diffamiert wurden. So rühmte sich beispielsweise Cosima Wagner 1888, dass sie eine judenfreie "Meistersinger"-Aufführung zustande gebracht hat.

Die Schautafeln flankieren die Wagner-Büste, geschaffen von Arno Breker, dem Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers. Auf den Tafeln stehen die Sterbedaten und -orte, und letztere sind in einigen Fällen Konzentrationslager.

"Mir war die Tragweite der Irritationen und Verletzungen nicht bewusst, die diese Zeichen und Symbole besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte auslösen", teilte der Sänger in einer Erklärung heute mit. Überzeugend klingt das nicht, und eine Distanzierung von einer "Jugendsünde" klingt anders.

Es war so schön gedacht: Zum erstenmal hätte ein russischer Sänger die Hauptrolle in einer Wagner-Oper auf dem Grünen Hügel singen sollen, und das wäre auch ein Stück Völkerverständigung gewesen, zumal die beiderseitigen Beziehungen augenblicklich auch nicht die allerbesten sind.

Ob der russische Botschafter kommen wollte, ist nicht bekannt, aber jetzt wird er bestimmt wegbleiben.

Man war froh, dass nach den zahlreichen Querelen des letzten Jahres es nun wieder heißt: "Hier gilt's der Kunst". Eine "Jugendsünde" hat das verhindert. Schade.

Und die Moral von der Geschicht': Man sollte auch in der Jugend sich überlegen, was man sich auf Brust, Bein und andere Körperteile tätowieren lässt.

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