Für ein freies Spiel der Marktmacht

Von Martin Hartwig · 30.10.2007
Lange hatten die USA vergeblich auf eine Öffnung der Weltmärkte gedrängt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es soweit, das "General Agreement on Tariffs and Trade", kurz GATT, brachte einen Großteil der internationalen Handelsschranken zu Fall. Doch nicht alle Länder profitierten gleichermaßen.
"Am Rhein, da wächst ein süffiger Wein -
Der darf aber nicht nach England hinein -
Buy British!
In Wien gibt es herrliche Torten und Kuchen -
die haben in Schweden nichts zu suchen -
Kop svenska varor!
In Italien verfaulen die Apfelsinen -
lasst die deutsche Landwirtschaft verdienen!
Deutsche, kauft deutsche Zitronen!"

So spottete Kurt Tucholsky 1932 über die Beschränktheiten der nationalen Handelspolitik. Seitdem wird er oft als eine Art Kronzeuge von Anhängern des freien Weltmarktes zitiert, wobei fraglich ist, ob er die Liberalisierung der Weltmärkte in den letzten 50 Jahren, so wie sie stattfand, gut geheißen hätte.

"Wir haben gelernt, zusammen mit anderen Nationen zu kämpfen und gemeinsam unsere Freiheit zu verteidigen. Jetzt müssen wir lernen, mit anderen Nationen gemeinsam zu leben. Wir müssen mehr Handel mit anderen Nationen treiben zu unserem gemeinsamen Vorteil - für eine höhere Produktion, mehr Beschäftigung und einen höheren Lebensstandard in der ganzen Welt. Mögen wir Amerikaner uns unseres großen Erbes würdig erweisen. Dann kann Amerika die Welt zu Frieden und Wohlstand führen."

Präsident Harry Truman am 16. April 1945.

Dass die USA die neue Ordnungsmacht im Welthandel sein würden, war klar - schließlich stellten sie 50 Prozent der Weltindustrieproduktion. Schon seit Jahrzehnten drangen sie auf die allgemeine Öffnung der Märkte, konnten sich gegenüber den alten Mächten jedoch nicht durchsetzen. Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren die USA auch politisch so stark geworden, dass die Kritiker nachgeben mussten. Und schließlich versprach die Theorie ja auch allen am Freihandel beteiligten Vorteile. Adam Smith, der Begründer der modernen Freihandelslehre, schrieb dazu schon im 18. Jahrhundert:

"Derjenige Handel, der ohne Zwang oder Beschränkung zwischen zwei beliebigen Orten natürlich und regelmäßig getrieben wird, ist immer für beide vorteilhaft, wenn auch nicht immer für beide gleich vorteilhaft."

Auf der Konferenz von Bretton Woods, einem Badeort an der amerikanischen Ostküste, war 1944 das Grundgerüst des zukünftigen Weltmarktes fixiert worden. Der Dollar wurde zur Leit- und Reservewährung erklärt und zwischen den Währungen ein System fester Wechselkurse etabliert. Drei multinationale Organisationen sollten über die Weltwirtschaft wachen: der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Welthandelsorganisation. Zwei von ihnen nahmen 1946 tatsächlich die Arbeit auf, die dritte, die Welthandelsorganisation, kam zunächst nicht zustande. Ausgerechnet die USA wollten ihr plötzlich nicht mehr beitreten. Der Kongress verweigerte die Zustimmung, weil er einer multinationalen Organisation keinen Einfluss auf den amerikanischen Handel einräumen wollte und nationale Interessen bedroht sah. Als Ersatz dafür wurde das GATT ins Leben gerufen, das "General Agreement on Tariffs and Trade."

"Bei Zöllen und Belastungen aller Art [...] werden alle Vorteile, Vergünstigungen, Vorrechte oder Befreiungen, die eine Vertragspartei für eine Ware gewährt, welche aus einem anderen Land stammt [...] unverzüglich und bedingungslos für alle gleichartigen Waren gewährt, die aus den Gebieten der anderen Vertragsparteien stammen."

So hieß es in Artikel 1 des Vertrages, den die Vertreter von 23 Nationen am 30. Oktober 1947 in Genf unterzeichneten. Die sogenannte Meistbegünstigungsklausel, die allen Marktakteuren gleiche Bedingungen garantiert, war die zentrale Festlegung des Vertrages. Darüber hinaus verpflichteten sich die Vertragsparteien inländische und ausländische Anbieter gleich zu behandeln und die Ein- und Ausfuhr von Waren nicht mengenmäßig zu beschränken. Der Rest des umfangreichen Vertragswerkes bestand im Wesentlichen aus Ausnahmeregelungen. Dass auch die Unterzeichner dem neuen multilateralen Vertragswerk misstrauten, zeigen die 122 bilateralen Handelsabkommen, die parallel zum großen Freihandelsbekenntnis, abgeschlossen wurden. Ludwig Erhard charakterisierte solche Verträge in seinem Buch "Wohlstand für alle":

"So wichtig und wertvoll es ist, dass auch im zweiseitigen Verhältnis Freundschaft zwischen den Völkern besteht, so wäre es doch ein grundsätzliches Missverständnis, auf dem ökonomischen Felde bilaterale Absprachen für brauchbar zu halten. Im ökonomischen Raum schließt dieses Methode - von ihren Verfechtern gewiss ungewollt - zwangsläufig zugleich auch immer eine Diskriminierung gegenüber dritten Ländern ein."

Die Bundesrepublik trat dem GATT 1951 bei. Obwohl nur als Provisorium gedacht, erwies es sich als erstaunlich wirksames Instrument, mit dem die Zölle in einzelnen Verhandlungsrunden um bis zu 40 Prozent gesenkt werden konnten. Weitaus schwieriger war allerdings die Beseitigung der sogenannten nicht tarifären Handelshemmnisse, der technischen Normen oder Gesetze, die es ausländischen Produkten auf einem Markt schwer machen. Denn des einen Reinheitsgebot ist des anderen Handelshemmnis. Zusammen mit Fragen des Schutzes von geistigem Eigentum stehen diese Probleme heute ganz oben auf der Agenda der WTO, der Welthandelsorganisation, die 1995 schließlich doch noch gegründet wurde. Der Handel der Welt hat seit dem Abschluss des GATT permanent zugenommen. 1950 wurden Waren im Wert von 60 Milliarden Dollar exportiert, 2005 waren es über 10 Billiarden Dollar. Praktisch alle Nationen sind, ganz im Sinne von Adam Smith, durch den freieren Handel reicher geworden - allerdings in deutlich unterschiedlichem Umfang.