Für die Verteidigung eines kostbares Gutes

Vorgestellt von Isabella Kolar · 22.04.2007
Die Freiheit wird in Deutschland nicht sonderlich hoch geschätzt. Nach einer kurzen Phase der Euphorie trat angesichts der Kosten der Wiedervereinigung schnell Ernüchterung ein. Ulrike Ackermann hat nun eine Anthologie zum Thema vorgelegt. Autoren unterschiedlicher Nationalität beleuchten darin, welche Freiheiten den Grundkonsens in einer offenen Gesellschaft ausmachen.
"Der Haß gegen den Liberalismus ist das Einzige, in dem sich die Deutschen einig sind" – mit dieser provokanten These des Ökonomen Ludwig von Mises eröffnet Buchherausgeberin und Mitautorin Ulrike Ackermann ihre Anthologie zum Thema Freiheit. Um die Deutschen ein wenig mit dem Liberalismus und dem ihm zugrunde liegenden Freiheitsgedanken zu versöhnen, legen hier in 16 Aufsätzen Autoren ganz unterschiedlicher Nationalität ideengeschichtlich, historisch, philosophisch, literarisch, soziologisch und sozioökonomisch dar, welche Freiheiten den Grundkonsens in einer offenen Gesellschaft ausmachen. Darunter sind Ralf Dahrendorf und Andre Glucksmann, aus Ungarn Peter Esterhazy und Peter Nadas, oder aus der Ukraine Oksana Sabuschko. Ulrike Ackermann:

"Was mich seit längerem betrübt ist, dass die Liebe zur Freiheit hier in Deutschland äußerst schwach entwickelt ist, was unterschiedliche Gründe hat. Also einmal habe ich den Eindruck, dass man sich nach 45 hier im Westen sehr wohl eingerichtet hat und die garantierten Freiheitsrechte in der Verfassung, die politischen und individuellen Freiheiten zwar genossen hat, aber Zug um Zug eine Profanisierung, eine Gewöhnung daran, ein Selbstverständlichnehmen bis hin zu einer Entwertung dieser Freiheiten es gekommen ist. Eigene Risikobereitschaft, Entdeckungswille, Eigenwilligkeit sind nicht so angesehen wie Sicherheit oder eben die Postulate der Gleichheit und die Freiheit, die leidet darunter."

Freiheit ist die Abwesenheit von Zwang, doch absolute Freiheit ist Anarchie. Aber wie viel Zwang und Einschränkung verträgt sie auch um der Gerechtigkeit willen? Das civil government, die Bürgerregierung im Sinne von John Locke muss nicht nur die Anarchie verhindern, sie muss auf der anderen Seite den privaten Bereich respektieren, auch wenn viele ganz andere Prioritäten haben. Ralf Dahrendorf schreibt:

"Zwei Verwechslungen müssen vermieden werden. Eine beruht darauf, dass Freiheit nicht der einzige Wert ist. Sie ist vielmehr als ein eher begrenzter Wert zu betrachten, und natürlich ziehen einige Menschen Werte wie soziale Sicherheit, Wohlstand oder vielleicht sogar Glück dem Wert der Freiheit vor. Die andere Verwechslung entsteht, wenn man Freiheit und die Bedingungen, unter denen Freiheit herrschen kann, nicht unterscheidet. Es ist sehr gut möglich, dass durch extreme Armut Freiheit zu einer Illusion wird… Freiheit in ihrem elementaren, strengen Sinn ist und bleibt aber selbst in Zeiten von Angst und in Umständen der Not ein Wert."

Ein Wert, der nach dem Fall der Mauer 1989 in Deutschland schnell wieder in Vergessenheit geriet. Herausgeberin Ulrike Ackermann:

"Es gibt eine große Untersuchung von Allensbach, eine große soziologische Studie, dass zwar 89/90 erst Mal scheinbar eine Euphorie ausbrach, aber innerhalb kürzester Zeit, bereits Mitte der 90er Jahre ist dieser Freiheitsbegriff plötzlich aus den ganzen Diskussionen heraus gefallen, sondern man machte sich nur noch Gedanken darüber, was diese neue Freiheit kostet. Also wie sozusagen das Geld verteilt wird über die Transferleistungen und die Freiheit trat immer mehr in den Hintergrund."

Der in Bamberg Soziologie lehrende Gerhard Schulze hat dafür auch eine Erklärung. Er schreibt:

"Arm und unterdrückt, verstanden die Menschen am Anfang der Moderne den Wert der Freiheit sofort und konkret als Verminderung von Leid. Auf hohem Lebensstandard und in einer offenen Gesellschaft lebend, kennt man das Leiden nicht mehr, das einem erspart geblieben ist. Unfrei weiß man um den Wert der Freiheit, freigesetzt verliert man ihn aus den Augen. Die Achillesferse der fortgeschrittenen Moderne ist das blass gewordene Bewusstsein für den Wert ihrer Lebensumstände. Paradoxerweise liegt darin gleichzeitig eine Bestätigung und eine Gefährdung moderner Identität."

Eine mögliche Gefährdung für die Demokratien im Westen sieht Ulrike Ackermann heute nicht nur im Islamismus, sondern auch im Islam: dieser werde genauso verharmlost wie der Kommunismus vor 1989:

"Allmählich erst begreift man, dass nicht nur Deutschland ein Einwanderungsland ist, sondern, dass mit dieser Migration, Strukturen und Lebensweisen hier importiert werden, patriarchale, traditionale Familienverständnisse, dass man eine Toleranz gezeigt hat gegenüber Kulturen, die eben nicht frei sind, in denen die Frauen zum Beispiel nicht frei sind und diese Entstehung dieser Parallelgesellschaften hat man einfach nicht zur Kenntnis genommen. Und dann wundert man sich plötzlich, dass diese Ehrenmorde immer noch auf der Tagesordnung sind, dass Zwangsverheiratungen immer noch auf der Tagesordnung sind, und nicht nur auf der Tagesordnung, sondern auch zunehmen."

Eine lesenswerte Anthologie zum Thema Freiheit hat Ulrike Ackermann hier herausgegeben, die vor allem durch die Fallbeispiele im zweiten Teil an Praxisnähe gewinnt. Vielleicht helfen ja die "Plädoyers für eine offene Gesellschaft" den skeptischen Deutschen bei der Antwort auf die Frage, welche Freiheit sie denn nun eigentlich wollen.
Ulrike Ackermann (Hrsg.): Welche Freiheit
Plädoyers für eine offene Gesellschaft

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2007