Fünf Gründe, Paul Celan zu lesen

Ein Dichter als moralisches Korrektiv

01:48 Minuten
Das undatierte s/w-Porträt aus den 1960er Jahren zeigt den Lyriker Paul Celan (1920-1970). Der deutschsprachige Künstler aus Rumänien wurde bekannt durch die 1952 erschienene Gedichtesammlung "Mohn und Gedächtnis".
Wir brauchen Paul Celan für unsere Erinnerungskultur, meint Thorsten Jantschek. © picture alliance / Richard Koll
Von Thorsten Jantschek · 20.04.2020
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"Corona", so lautet der Titel eines Gedichts von Paul Celan von 1952. Die Aktualität des Dichters in der unserer Gegenwart erschöpft sich damit aber noch lange nicht, findet Redakteur Thorsten Jantschek.

Erstens:

Weil bei Paul Celan „Corona“ noch schlicht der Titel eines Gedichts sein durfte. Und da geht’s nicht um einen gefährlichen Virus, sondern um die himmlischen Freuden irdischen Glücks: um Himmelszeichen und sinnliche Liebe.

Zweitens:

Weil er ein moralisches Korrektiv ist. Denken wir daran, wie ein gerade gewählter Ministerpräsident in Thüringen dem AfD Rechtsaußen Björn Höcke die Hand reichte. Paul Celan fragte sich ständig „Wem in Deutschland man die Hand geben kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.“ Daraus können wir einiges lernen. In kontaktarmen Corona-Zeiten durchaus auch im metaphorischen Sinne.

Drittens:

Weil wir ihn für unsere Erinnerungskultur brauchen. Die Nazizeit ist eben kein „Vogelschiß“ in der deutschen Geschichte, sondern: Der Tod bleibt ein Meister aus Deutschland.

Viertens:

Weil genau aus diesem Grund – und dafür steht das Werk und das Leben von Paul Celan – jene erinnerungspolitische Wende um 180 Grad, wie sie die AfD fordert, niemals vorkommen darf.

Fünftens:

Weil in diesen Zeiten, in denen wir von existentiellen Sorgen überflutet werden, in Skypeschalten kommunikativ geknebelt sind oder vom Home-Office-Schooling mürbe geworden sind, kaum mehr die Gelegenheit bleibt, die welterschließende Kraft der Sprache zu erfahren, außer vielleicht in einem Gedicht, am besten in einem von Paul Celan.

Hören Sie hier das Feature "Es wird ein Gehn sein" über Paul Celan als Spaziergänger
Das Gehen ist ein wichtiges Motiv im Werk von Paul Celan. Der Dichter sah eine enge Verbindung zwischen Lesen und Bewegung. Spaziergänge in Berlin und Jerusalem hinterließen Spuren in seinen Gedichten. Chiara Caradonna und Ofer Waldman folgen ihnen im Gespräch mit Künstlern, Schriftstellern und Philosophen.

Hören Sie hier die Rezension zu Wolfgang Emmerichs Celan-Studie "Nahe Fremde"
Celan und die Deutschen, dieses Verhältnis war von beiden Seiten problematisch. Der Literaturwissenschaftler Wolfgang Emmerich zeichnet die ambivalente Beziehung des Dichters zum deutschen Kulturleben fundiert und feinfühlig nach.

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