Führungsstreit am Staatstheater Karlsruhe

Lasst uns über die Künste reden!

04:00 Minuten
Am Badischen Staatstheater ist der Schriftzug "Die Würde des Menschen ist unantastbar" angebracht. Die Buchstaben UN wurden mit roter Farbe durchgestrichen.
Die sogenannte "Strukturdebatte" in Karlsruhe tendiere schnell zum Tratsch, meint Tobi Müller. © dpa/ Uli Deck
Von Tobi Müller · 25.07.2020
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Von einem „Klima der Angst“ und „Kontrollwahn“ ist die Rede: Im Staatstheater Karlsruhe steht Generalintendant Peter Spuhler in der Kritik. Er gelobte Besserung und versprach ein Coaching. Doch diese personellen Diskussionen gehen am Thema vorbei.
Die Kraft der Diskussion über das Staatstheater Karlsruhe speist sich aus einer paradoxen Spannung. Vor zwei Jahren erregte das Schauspiel in Karlsruhe überregionale Aufmerksamkeit, als die Spartenleiterin ausschließlich Frauen Regie führen ließ. Und nun sieht es auf den ersten Blick doch nach der Marke "alter weißer Mann" aus, der seine Macht überschätzt.
Feministischer Fortschritt und patriarchaler Rückschritt am selben Haus: was für eine Geschichte! Doch das sind Reflexe. Anonyme Nachfragen zeigen ein komplexeres Bild. Auch unter der Schauspielleiterin Anna Bergmann soll nicht alles kameradinnenschaftlich ablaufen, ist zu hören.

Werden hier Konflikte vermieden?

So lange nicht alle Fakten mit Klarnamen auf den Tisch kommen, kann man sich die Personaldiskussionen zumindest in der Öffentlichkeit schenken. Die sogenannte Strukturdebatte tendiert schnell zum Tratsch, zum Shitstörmchen, der durch das Schlüsselloch zieht (sprichwörtlich: wie oft es in den letzten Jahren um Liebesverhältnisse auf Leitungsebene ging!).
Wenn es dann mal tatsächlich um Strukturen geht, wird ihre Wirkungsmacht gerne überschätzt. Manche Findungskommissionen sind dazu übergegangen, nur noch Bewerbungen mit Mehrfachleitungen zu berücksichtigen.
Peter Spuhler, Generalintendant des Badischen Staatstheaters, aufgenommen nach einer Verwaltungsratssitzung des Theaters. 
In der Kritik: Generalintendant Peter Spuhler.© dpa/ Uli Deck
In Zürich sind drei Häuser nacheinander so besetzt worden. Hinzu kommt, dass manche Leitungen mit mehreren Personen wiederum auf erweiterte Gremien hören, die über das Programm mitentscheiden.
Ob das zwingend zu anderen Arbeitsatmosphären führt, wenn stets der kleinste gemeinsame Nenner gewinnt? Und wie fühlen sich frei engagierte Theaterschaffende, wenn in jeder Produktion eine Leitungsfigur drinsitzt? Etwas kontrolliert womöglich? Verschwinden so Konflikte, oder werden sie nur ängstlich vermieden? Und vor allem: führt das auch zu einer künstlerischen Diversität, oder zu neuen strengen Übereinkünften, was gewünscht ist und was nicht?

Zuerst die Kunst, dann der Apparat

Dass steile, männliche Hierarchien den Führungsstil entgrenzen können, ist unstrittig. Und die Hegemonie weißer Männer muss etwas mit der Monokultur in manchen Theatern zu tun haben, die nicht nur andere Stoffe und Traditionen ausblendet, sondern auch jüngere Theaterformen ignoriert, die außerhalb des Stadttheaters entwickelt werden. Da ist in den letzten Jahren aber einiges in Gang gekommen, auch in Karlsruhe unter Peter Spuhler.
Denn der Glaube, dass modifizierte Strukturen alles von alleine richten, ist halt nur ein Glaube, eine beruhigende Illusion. Strukturen sind nicht allmächtig, das ist eine Form des Vulgärmaterialismus, der typisch ist für die deutsche Theatergeschichte: Erst kommt der Apparat, dann die Kunst.
Man müsste den Prozess umkehren: Zuerst nach der Kunst fragen, dann den Apparat erfinden. Doch das würde den Apparat im Kern verändern, und nicht nur einen Stuhl mehr ins Intendant_innenzimmer stellen. Ob jedes Theater ein Ensemble braucht, jedes Haus die hyperventilierende Produktion von zu vielen Premieren beibehalten soll, ob man die Häuser auch für Künste öffnen soll, die nicht für alle gleich nach Theater aussehen?
Dazu braucht es viele Agenten an einem Tisch, auch eine Kulturpolitik, die Gegenwind aushält. Personelle Eingriffe, die wir mit struktureller Veränderung verwechseln, werden uns von diesen Konflikten nicht erlösen. Wir müssen uns trauen, auch über die Kunst zu reden, die wir wollen. Besser: über die Künste, in der zwingenden Mehrzahl. Die Strukturen müssen dann folgen.
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