Frühes Meisterwerk des "Magischen Realismus"

19.04.2007
Der Roman ist bereits 50 Jahre alt. Was "Gran Sol" zum Wegbereiter der modernen spanischen Literatur macht, ist seine Sprache: die Meeresbeschreibungen, die Gespräche der Fischer, die Flüche und Streitereien der kauzigen Seeleute. Voll von schnurrigem Humor ist er eine Perle des "Magischen Realismus" á la Gabriel García Márquez.
Vor 50 Jahren, 1957, erschien der Roman "Gran Sol" des spanischen Schriftstellers Ignacio Aldecoa, jetzt, 50 Jahre später, ist er zum ersten Mal, ebenfalls unter dem Titel "Gran Sol", ins Deutsche übersetzt worden. Ignacio Aldecoa, 1925 geboren, starb zwar jung, 1969, gilt aber mit seinen vier Romanen und seinen Erzählungen trotzdem als einer der Wegbereiter der modernen spanischen Literatur.

"Sol" heißt im Spanischen Sonne aber auch "Grund", also Fischgrund, Sandbank. Jenes bei Fischern berühmte Fischrevier "Gran Sol" befindet sich vor der irischen Atlantikküste, die englischen Fischer nennen es "Grand Soil". Dorthin fahren zwei spanische Fischkutter, es beginnt eine ganz normale Fahrt wie viele andere auch, der Leser erlebt sie auf einem der beiden Kutter, zusammen mit den 13 spanischen und kantabrischen, also baskischen Fischern, die an Bord sind. Das Schiff fährt in einen Orkan hinein, nicht alle kommen lebendig zurück.

1958 erhielt Aldecoa für "Gran Sol" den spanischen Kritikerpreis. Was diesen Roman so herausragend macht, ist einmal seine Sprache. Sie erinnert an die ganz großen Meeresbeschreibungen von Joseph Conrad, Jack London oder Hemingway: "Der Nordwind warnt. Das Geräusch der Wellen … das Geräusch der Massen. Das Dröhnen der Wellen … das Dröhnen prähistorischer Kataklysmen, der biblischen Katastrophe. … der Nordwind schlug zu."

Und auf der anderen Seite ist "Gran Sol" auch ein spielerischer, ein unterhaltsamer Roman, ein "dialogischer Roman", das heißt, der Leser taucht in die Gespräche der Fischer ein, in die Flüche und Streitereien dieser kauzigen Seeleute: Gespräche über Frauen, über Kinder, Sex, Leben, Tod und Politik, voll von schnurrigem Humor. Und all das zusammen macht den Roman "Gran Sol" zu dem, was er ist, zu wirklich großer Literatur.

Man kann Aldecoa einen "Neo-Realisten" nennen, obwohl es den Begriff so nur als Filmgenre gibt, aber man denke an einen Film wie "Die Fahrraddiebe" von Vittorio de Sica. Und Aldecoa erinnert auch an die großen alten Realisten wie Dickens, Dostojewski, Flaubert oder James Joyce in den "Dubliners", -und Realismus, das meint bei Aldecoa eine Form der indirekten Kritik, der Rebellion gegen den spanischen Faschismus unter dem Diktator Franco, der erst 1975 starb.

Aldecoa repräsentiert die Stimme jener enttäuschten, skeptischen Schriftstellergeneration, die man in Spanien die (19)"50er-Generation" nennt. Diese Schriftsteller sahen sich als sozial Verantwortliche, Sprache bekam wieder eine moralische Funktion: die politischer Kritik am System. Und die Helden dieser Literatur, gerade bei Aldecoa, das sind immer die einfachen Menschen, mal Fischer, mal Zigeuner.

"Gran Sol" ist Kunst pur, es ist ein spannendes Buch, es ist komisch, gleichzeitig tragisch, und es ist unterhaltsam. Ein spanischer Kritiker hat über "Gran Sol" geschrieben, es gebe Bücher, die man empfehle, und es gebe Bücher, die einfach Pflicht seien. Es wäre zu wünschen, dass Ignacio Aldecoa postum zu einem Bestsellerautor werden würde. Dieser Roman hat jedenfalls alle Voraussetzungen dazu. "Gran Sol" ist eine Perle, es ist ein frühes Meisterwerk des "Magischen Realismus" á la Gabriel García Márquez.

Rezensiert von Lutz Bunk

Ignacio Aldecoa: "Gran Sol"
marebuchverlag 2007, 299 Seiten, 22.90 €
Übersetzt von Willi Zurbrüggen