Kulturphilosoph über Überzeugungen

Die wenigsten Menschen können "Heilige sein"

Statue der Heiligen Odilie, Frankreich, Bas-Rhin, Elsass, Mont Sainte-Odile | statue of St Odile of Alsace, France, Bas-Rhin, Alsace, Mont Sainte-Odile | Verwendung weltweit
Statue der Heiligen Odilie - Warum schaffen wir es eigentlich nicht, nach unseren inneren Überzeugungen zu leben? © dpa/ Jürgen Feuerer
Andreas Urs Sommer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 13.12.2018
Ausbeuterfirmen und Billigflieger zu boykottieren, mag unseren Überzeugungen entsprechen. Trotzdem halten wir uns oft nicht daran. Das sollte uns nicht grämen, tröstet Kulturphilosoph Andreas Urs Sommer. Denn Überzeugungen müssen sich auch an der Realität orientieren.
In der Weihnachtszeit werden besonders viele Bundesbürger zu Onlinekäufern, denn Job und Familien lassen wenig Zeit fürs Geschenke-Shopping. Viele handeln damit gegen ihre Überzeugung, denn eigentlich empören sie sich gegen die miserable Bezahlung der Zusteller.
Andere wiederum, die eigentlich fest entschlossen waren, nicht mit einer Billig-Airline in den Winterurlaub zu starten, sondern die umweltfreundlichere Bahn zu nehmen, buchen doch wieder einen Flug – weil, es einfach schneller und deutlich weniger ins Geld geht als der Kauf eines DB-Tickets. Und statt Bio-Rinderfilet von glücklichen Tieren kaufen sie ihr Fleisch aus Kostengründen dann doch wieder im normalen Supermarkt.

Einfach mal lockerlassen

Warum schaffen wir es eigentlich nicht, nach unseren inneren Überzeugungen zu leben? Der Kulturphilosoph Andreas Urs Sommer, Professor an der Universität Freiburg, gibt zunächst einmal den Rat, ein bisschen lockerzulassen, denn die Wirklichkeit setze dem Handeln aus tiefster innerer Überzeugung oft Grenzen. Die Auseinandersetzung damit sei ein fruchtbares Wechselspiel:
"Wir sollten nicht denken, dass wir nur nach den höchstmoralischen Überzeugungen handeln sollten, sondern wir sollten auch versuchen, unsere Überzeugungen relativieren zu lassen durch die Wirklichkeit."

"Wir sind nicht nur hochmoralische Wesen"

Wäre es demnach eine gute Strategie, einen moralischen "Ausrutscher" durch eine andere, gute Handlungsweise auszugleichen, etwa wenn ich den Billigflieger nehme, im Gegenzug nur noch Biofleisch zu kaufen? Sommer sagt dazu:
"Vielleicht ist das keine schlechte Strategie zu sagen, dass wir nicht nur hochmoralische Wesen sind. Wir sind selbstverständlich Wesen, die Eigeninteressen haben, die als 'unmoralisch' qualifiziert werden können. Die wenigsten von uns haben die Fähigkeit, quasi Heilige zu sein, die alles, was sie tun, nach ihren Überzeugungen tun."
Die Frage sei zudem, ob es so wünschenswert wäre, wenn wir alle immer nur Überzeugungstäter seien. Es sei vielmehr gut, dass die Welt uns von Fall zu Fall Grenzen setze, und wir unsere Überzeugungen an der Realität erproben müssten.
(mkn)
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