"Keine Ahnung" an den Berliner Sophiensaelen

Vom Zwang, sich auskennen zu müssen

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Foto zum Stück "Keine Ahnung" an den Sophiensaelen in Berlin. Zwei Frauen haben jeweils eine Spargelstange wie eine Zigarette in der Hand.
Die unwissende "Sandra" und die wissende "Kassandra" in dem Stück "Keine Ahnung". © Sophiensaelen/Arda Funda
Nele Stuhler im Gespräch mit Max Oppel · 04.06.2019
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Das angesagte Buch oder die hippe Internetserie – ständig muss man vorgeben, etwas zu kennen oder zumindest davon gehört zu haben. Im Stück "Keine Ahnung" von Nele Stuhler bekennt man sich an den Berliner Sophiensaelen zum Nichtwissen.
Wissen ist Macht, heißt es. Millionen Klicks hat allein eine einstündige Youtube-Vorlesung von Rezo. Das Bedürfnis nach Orientierung ist groß. Keine Ahnung haben, ist dagegen peinlich. Einfach mal zu sagen "Ich weiß es nicht" ist für viele fast unmöglich. Was könnte es heißen, sich zur Ahnungslosigkeit zu bekennen? Das fragt Regisseurin Nele Stuhler in ihrer Aufführung "Keine Ahnung" in den Berliner Sophiensaelen.

Unwissende Sandra und allwissende Kassandra

Das Stück besteht aus drei Vorlesungen – über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Gesprochen werden sie von zwei Frauen: von der unwissenden Sandra und der allwissenden Kassandra, sagt Regisseurin Nele Stuhler im Deutschlandfunk Kultur.
"Wir haben uns für diese Arbeit ziemlich viel mit Christa Wolf beschäftigt, weil die Poetik-Vorlesungen gehalten hat über Kassandra in Frankfurt am Main". So habe Wolf zu Beginn gesagt, von Poetik habe sie keine Ahnung, erzählt Stuhler. Christa Wolf habe dann aber Vorlesungen über ihre Reisen und über Mythologie gehalten, die "wahnsinnig viel Wissen" offenbarten und die "völlig überhöht" gewesen seien, so Stuhler. "Und das hat uns als Form total interessiert."


Die Einsicht, keine Ahnung zu haben, galt schon in der Antike als Voraussetzung, weise werden zu können. Sokrates wird das geflügelte Wort zugeschrieben: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Auch in der Erarbeitung des Theaterstückes hätten sie sich auf Sokrates bezogen: "Weil das auch unsere persönliche Erfahrung widerspiegelt, dass man sagen kann: Wir leben in einer Welt, wo man permanent behaupten muss, dass man ganz viel weiß."
Schwarzweißaufnahme von Nele Stuhler, die ernst und direkt in die Kamera schaut.
Die Performerin, Regisseurin und Autorin Nele Stuhler© William Minke
So erlebe Stuhler regelmäßig bei der Entstehung ihrer Theaterstücke, dass sie Konzepte schreiben müsse, in denen sie vorgibt, schon das Ende zu wissen: "Dabei mache ich die Arbeite ja noch."
Wenn man allerdings zugibt, man wisse etwas nicht, werde das "oft ziemlich peinlich", sagt Stuhler. Man behaupte lieber, ein Buch zu kennen oder gelesen zu haben, obwohl das gar nicht der Fall sei. "Dabei wäre es doch vielleicht interessanter, in einer Welt zu leben, in der man sagt: Ja, ich weiß es nicht. Aber lass mal weitergucken."

Männer geben öfter vor, Bescheid zu wissen

Für Nele Stuhler hat dieses "Bescheid wissen" auch etwas patriarchales. Studien würden diese Einschätzung belegen. So würden zum Beispiel Männer viel seltener zugeben, einen Weg nicht zu kennen, als Frauen.
Als reines Frauenteam beschäftigten sie sich jetzt bewusst mit dem Nichtwissen und auch mit Schwächen. "Wenn ich jetzt zum Beispiel als Regisseurin sage: Leute, ich weiß jetzt auch nicht so genau. Dass es nicht darum geht, mir das als Schwäche zu unterstellen, sondern das ist erstmal ein Grundblick in die Welt."

(jde)

Das Stück "Keine Ahnung" läuft am 5. / 6. / 8. und 9. Juni an den Berliner Sophiensaelen.

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