Fröhliche Wissenschaft

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 28.07.2006
Auf dem Hörbuch "Musen, Nymphen, Sirenen" führt der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler die Zuhörer durch das antike Griechenland. In legerem Konversationston erzählt er von Göttern, Dichtern und Mischwesen der Sagenwelt. Ihm gelingt damit eine wunderbar unterhaltsame Rückkehr, weg von der geschliffenen Schriftsprache, zur mündlichen Erzählung.
"Zwei Münder vereinigen sich zu einer schönen Sangstimme. Weil sie alles wissen und weil sie alle Lust versprechen, die möglich ist, soll Odysseus das Schiff anlegen, an der Insel. Das sind die beiden Sirenen, die später auf den Vasen immer drei sind und immer schreckliche Mischwesen: oben Jungfrauen mit Busen, unten Krallen und Vögel – bei Homer sind es einfach zwei schöne Nymphen."

Kittler zitiert, er deklamiert auf Griechisch und auf Deutsch, er fasst zusammen und interpretiert, er veranschaulicht die Geschichte des Odysseus, so wie Homer sie erfunden hat, und die ihn umschwirrenden Gestalten, Göttinnen, Nymphen und Sirenen.

Der Professor für Literatur und Inhaber des Lehrstuhls für Ästhetik und Geschichte der Medien an der Humboldt-Universität in Berlin untersucht den griechischen Text nicht nur auf der literarischen Ebene. Er betreibt experimentelle Philologie, zeigt, wie die Musik entstand aus dem Geist der Mathematik, und er bereiste zu diesem Zweck die Sireneninseln, die es wirklich gibt, drei steinige Eilande im Golf von Salerno, südlich von Positano. Mit zwei Sängerinnen und einem Komponisten stellte er die fabelhafte Verführungsszene von damals nach.

"Wir haben nach 2800 Jahren – ich schätze, dass Odysseus ungefähr 800 vor unserer Zeitrechnung da gesegelt ist, endlich mal die Philologie auf eine experimentelle Basis gestellt statt immer nur auf eine Textwichserei."

Anders als sein Kollege Peter Wapnewski mit seinen Nacherzählungen des Nibelungenlieds und anderer mittelalterlicher Epen, liest Kittler keinen wohl formulierten Text ab. Er strolcht auf Seitenwegen durch die griechische Mythologie und erzählt gegen jeden Lehrplan, was ihn an den griechischen Helden, ihren Göttern und dem antiken Denken fasziniert.

"Ich will den Raum öffnen, indem man sich fragt, was sind Götter, die nicht monotheistisch definiert sind, sondern durch ihre sexuellen Beziehungen untereinander und zu den Menschen. Es ist nicht notwendig, an Aphrodite zu glauben, es ist auch nicht notwendig, Mensch zu sein, um an Aphrodite zu glauben, die Tiere wissen das auch... Natürlich sind die nicht sterblich, die Sirenen oder Kirke oder Kalypso, und sie sind alle verbunden mit Trinkwasser und Rindfleisch, Gebratenem und Rotwein, und das alles dankt sich, indem man mit den Göttinnen speist und mit ihnen schläft und sich freut."

Beiläufig, im Konversationston, plaudert er vor sich hin, zündet sich eine Zigarette an, trinkt, verfertigt hörbar die Gedanken beim Reden, gönnt sich Pausen, ganz so, als säße er am Tisch unter Freunden. Geschliffen Scharfes mischt sich mit krausem Kauderwelsch. Dabei geht es um nichts weniger als um die griechische Variante des Erbes der Menschheit und den Ursprung der Wissenschaften.

"Was ich gern vorlesen möchte, ist das einzige Fragment von der Dichterin Sappho, das vollständig erhalten ist, weil ein Grieche seine Hand genommen hat, und vor lauter Begeisterung es von vorn bis hinten abgeschrieben hat, alle anderen Fragmente sind im Wüstensand verstreut, weil die Christen dafür gesorgt haben, dass von dieser erotischen Dichterin wenig bleibt."

Es schnarrt und nuschelt und knarzt, da ist alles andere als eine schöne Stimme am Werk. Doch der mangelnde Wohllaut wird allemal aufgewogen durch den Ideenreichtum und die Respektlosigkeit, mit der Kittler durch die Antike vagabundiert.

"Bunt zaubernd und unsterblich, Aphrodita... dich ruft`s aus mir, verwunde nicht mit Schmerz und Angst mein Gemüt, nein komm hierher! ...Aus deines Vaters Haus kamst du auf goldenem Wagen angeschirrt, flink zogen dich die schönen Spatzen über schwarze Erde mit raschem Flügelschlag vom Himmel durch die Luft, so bald gelandet...

Vollkommen umwerfend... Die Spatzen ziehen deshalb den Wagen der Aphrodite, weil Spatzen so fruchtbar sind, Tauben und Spatzen ruckeln und hecken die ganze Zeit, und deshalb sind sie ihre Tiere. Und daran ist nichts Schmähliches. Spatzen werden nicht von der Polizei gejagt."

Es ist amüsant, man fühlt sich gut unterhalten. Kittler benimmt sich wie ein Archäologe, der ein paar Scherben gefunden hat, und so tut, als ließen sie sich zu einer Tasse zusammensetzen. Am Ende steht da ein ganzes Service, man schmeckt förmlich die Getränke, hört die Gespräche, sieht ganze Gastmähler vor sich. Das ist fröhliche Wissenschaft.

"Es wird ganz klar, dass Sappho sich nach einer Frau sehnt oder einem Mädchen, aber das ist für die Griechen oder Sappho überhaupt kein Grund, Aufhebens davon zu machen, es steht einfach da, Horaz und andere kippen dann aus den Pantoffeln, wenn sie sowas lesen."

Mit diesem Sprechbuch, wie Kittler es nennt, geht er hinter die geschliffene Schriftsprache zurück, zum mündlichen Erzählen, woraus alle Literatur entstanden ist. Es lohnt sich, ihm eine Stunde lang zuzuhören.

Friedrich Kittler: Musen, Nymphen und Sirenen.
supposè-Verlag, Köln.
56 Minuten, 18 Euro