"Frisch und vital" unterm Hakenkreuz

07.04.2011
Ein junger Philosoph aus Rumänien trifft auf ein Land, das sich zum Führerstaat wandelt. Er begeistert sich für die undemokratische Veränderung. Das Fatale: E.M. Cioran schreibt gut. Aus seinen Aufsätzen erfährt man etwas über das Faszinations- und Projektionspotential des "Dritten Reiches".
Er war Sohn eines Priesters und wurde zum großen Verneiner; ungläubig gegenüber jeglicher Orthodoxie, pessimistisch gegenüber der Möglichkeit dem Dasein Sinn und Form zu geben: Emil Mihai Cioran, geboren 1911 in einem kleinen Dorf in Transilvanien, gestorben 1995 in Paris.

"Vom Nachteil geboren zu sein" oder "Die verfehlte Schöpfung", so betitelte er seine Schriften, mit denen er sich, überwiegend in Form von Aphorismen und Essays, den Ruf als bedeutender Skeptiker und radikaler Kulturkritiker des 20. Jahrhunderts erschrieb. Bereits mit Anfang 20 wusste er: "Es gibt keinerlei Argumente für das Leben."

Das klingt pathetisch und mag der übermäßigen Lektüre Schopenhauers und Kierkegaards entspringen oder der großen Desillusionierung nach Ende des Ersten Weltkrieges – könnte man meinen. Doch Cioran ist damals bereits ein eigenständiger Denker, der den Zeitgeist reflektiert, sich ihm aber immer auch entzieht.

Aus diesen frühen Jahren seiner publizistischen Tätigkeit stammen Ciorans Aufsätze "Über Deutschland". In einer Auswahl liegen sie nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vor. Nach Abschluss des Studiums (Ästhetik und Philosophie) in Bukarest erhält der junge Rumäne ein Stipendium für Deutschland. Von Ende 1933 bis 1935 lebt er in Berlin, München und Dresden.

Er trifft auf ein Land, das sich zum Führerstaat wandelt, eine Bevölkerung, die dem nationalsozialistischen Regime gegenüber eine überwiegend positive Haltung einnimmt. Cioran ist beeindruckt. Hatte er 1932 noch "Weltangst" als einmütiges Gefühl in Deutschland ausgemacht, hört sich das nun so an: "Wenn ich von Deutschland rede, kann ich nur lyrisch sein." Der Philosoph begeistert sich – wie viele andere Intellektuelle der Zeit – für die undemokratische Veränderung: "Wenn man mir einwenden möchte, die politische Ausrichtung von heute sei unzulässig, sie beruhe auf falschen Werten, der ganze Rassismus sei eine wissenschaftliche Illusion und die germanische Ausschließlichkeit kollektiver Größenwahn, will ich entgegnen: Was bedeutet das schon, wenn Deutschland sich doch unter einem derartigen Regime wohl, frisch und vital fühlt."

Die Diktatur erscheint Cioran als "Dynamisierung der Werte", die "der demokratische Rationalismus platt und trivial gemacht hatte". Fanatismus und Glaube gelten ihm als geschichtliche Wirkkräfte, er wünscht sich für Rumänien eine Diktatur wie die deutsche.

Cioran schreibt über Kokoschka und Dürer, die Berliner Universität, Sexualmoral, die Illusion eines Friedens mit Frankreich, über bayerische Landschaft und Lebensart. Das Fatale: Er schreibt gut. Radikal argumentierend, überheblich. Poetisch und philosophisch. Das irritiert, regt an, regt auf. Mit den Folgen von Schlaflosigkeit – unter der Cioran zeitlebens litt – ist seine schrille Befürwortung von Anti-Rationalem nicht zu erklären. Man muss diese Texte aushalten. Und bei näherem Hinsehen erweist sich manch ein Begriff als hohl, manch funkensprühender Gedanke als Kurzschluss. Auch konfrontieren sie mit einer Haltung, die aus heutiger Sicht das Gegenteil von "politisch korrekt" ist und von der Cioran sich bald wieder distanzierte.

Doch erfährt man in den Aufsätzen aus den Jahren 1931–1937 etwas über das Faszinations- und Projektionspotential von Hitlers "Tausendjährigem Reich". Und sie offenbaren das Leiden eines stets verneinenden Geistes an sich selbst.

Besprochen von Carsten Hueck

E.M. Cioran: Über Deutschland. Aufsätze aus den Jahren 1931–1937
Herausgegeben, aus dem Rumänischen übersetzt und mit einer Nachbemerkung versehen von Ferdinand Leopold
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
231 Seiten, 17,90 Euro
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