Friedrich C. Delius: "Die Zukunft der Schönheit"

Jazz als Unruhestifter

Friedrich Christian Delius: "Die Zukunft der Schönheit"
Delius verarbeitet seine Jugend in "Die Zukunft der Schönheit" © Rowohlt Verlag / Unsplash
Von Michael Opitz · 26.02.2018
Auch seine neue Erzählung hat autobiographische Züge: Friedrich Christian Delius erzählt in "Die Zukunft der Schönheit" von einer Vater-Sohn-Beziehung. Er bettet sie ein in einen ungestümen Abend in einer New Yorker Jazz-Bar. Stilistisch greift er dabei auf Bewährtes zurück.
Ohrenbetäubend und von ungestümer Kraft ist die Musik von Albert Ayler, die Delius’ 23-jähriger deutschen Ich-Erzähler in "Die Zukunft der Schönheit" zum ersten Mal in einer New Yorker Bar hört. Ihm kommt es vor, als würde er verprügelt werden. Mit ähnlich radikaler Wucht begann auch Delius’ Erzählung "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde" (1994). Als Deutschland zum ersten Mal Fußballweltmeister wird, sind es die nahen Kirchturmglocken, die den im Zentrum der Erzählung stehenden Jungen aus dem Schlaf reißen und die zugleich einen Tag einläuten, den er nicht vergessen wird.
An Schlaf ist in Delius’ neuer Erzählung auch nicht zu denken. Das musikalische Feuerwerk, das von Ayler entfacht wird, ist von einer so schockierenden Intensität, dass dem jungen Deutschen die Sinne schwinden. Zur Ruhe kommt er an diesem Abend nicht. Im Gegenteil, er wird mehr und mehr von eben jener Unruhe erfasst, die Aylers Musik auszeichnet. Delius wechselt in der Erzählung immer wieder aus der sich in der Bar abspielenden Gegenwartsebene in die Vergangenheit des Ich-Erzählers. Auslöser für dieses gedankliche Abdriften ist der Jazz – ein "Schallüberfall", wie es im Text heißt –, der als geballter Energiestoß im Kopf des Pfarrersohnes für Unordnung sorgt. Dem fliegen Bruchstücke seiner Jugend wie Fetzen um die Ohren, wobei eine Auseinandersetzung zentral ist, in der es um einen Kissenwurf seines Vaters geht, der als Strafe gedacht war.

Am Ende wirkt die Musik befreiend

Schließlich gelingt es dem namenlos bleibenden Erzähler, das Verhältnis zu seinem Vater ins rechte Verhältnis zu rücken. Die Musik hilft ihm dabei. Insofern will die musikalische Saite, die Delius in dieser autobiografischen Erzählung anschlägt, eigentlich eine andere, die der Selbstfindung des angehenden Schriftstellers, zum Klingen bringen. Aylers Musik, die Delius’ Protagonist zunächst als einen Angriff erfährt, wirkt am Ende befreiend. Dem Erzähler wird deutlich, dass sich diese "prügelnde" Musik als eine bewusst verstörend gemeinte Antwort auf erfahrene Verletzungen versteht. Ayler vermeidet physische Gewalt – stattdessen "schlägt" er mit Tönen zurück. Und so hilft die Musik dem Erzähler zu verstehen, dass auch sein Vater bis zum Äußersten gegangen sein musste, als er das Kissen nach seinem Sohn warf, gegen den er nicht die Hand erheben wollte.
Erzählerisch greift Delius in "Die Zukunft der Schönheit" auf ein bewährtes Verfahren zurück, das er bereits in "Die Birnen von Ribbeck" oder in "Bildnis der Mutter als junge Frau" besonders kunstvoll anzuwenden verstand: Er unterteilt die Erzählung in einzelne Blöcke, die er durch Leerzeilen von einander absetzt. Und er setzt keinen Punkt, sodass sein Text eine besondere Dynamik und Sogkraft entwickelt. Subtil erkundet der Büchner-Preisträger auch in dieser Erzählung seinen eigenen biografischen Vergangenheitsraum. Dabei geht ihre Bedeutung über das Persönliche hinaus, denn sichtbar werden jene ersten Zuckungen, die wenig später scheinbar festgefahrene gesellschaftliche Strukturen ins Wanken bringen.

Friedrich Christian Delius: Die Zukunft der Schönheit
Rowohlt, Berlin 2018
92 Seiten, 16,00 Euro

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