Frido Mann zum Thomas-Mann-Haus in L.A.

Ausgangspunkt für "Schneisen der Verständigung"

Frido Mann, Enkel des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, im Buddenbrookhaus in Lübeck
Als kleiner Junge verbrachte Frido Mann viel Zeit mit seinem Großvater, dem Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Moderation: Frank Meyer · 08.01.2019
Er wolle die Dinge ein bisschen in Bewegung bringen, sagt Frido Mann und kündigt an, sich im ehemaligen Haus seines Großvaters Thomas Mann in Los Angeles zu engagieren: für mehr Toleranz und gegen diesen „unseligen Präsidenten".
Frank Meyer: Nach 70 Jahren ist Frido Mann in das Haus seiner Großeltern zurückgekehrt, in das Haus berühmter Großeltern – Katja und Thomas Mann. In ihrem Haus in Los Angeles war Frido Mann als kleiner Junge oft zu Gast, und in seinem neuen Buch "Das weiße Haus des Exils" erzählt er davon, wie Thomas Mann ihm zum Beispiel Märchen vorgelesen hat, oder wie er mit ihm spazieren gegangen ist. Und warum der Schriftsteller die USA wieder verlassen hat. Der Anlass für diese Rückkehr: Das Thomas-Mann-Haus ist seit 2018 ein Haus für den transatlantischen Dialog, ein Ort, an dem deutsche und amerikanische Intellektuelle über die Zukunft der Demokratie debattieren sollen. Wie das gehen könnte, auch darüber schreibt Frido Mann in seinem Buch. Herr Mann, seien Sie herzlich willkommen bei uns im Deutschlandfunk Kultur!
Frido Mann: Hallo, Tag!
Meyer: Man erfährt aus Ihrem Buch, dass das wirklich ein wichtiger Ort für Sie war, für Ihr Leben, das Haus Ihrer Großeltern in Pacific Palisades. Wie war das denn für Sie, als Sie 2018 nach 70 Jahren wieder dort waren?
Mann: Ich hatte mir eigentlich sehr viel mehr Aufgeregtheit erwartet im Grunde. Als ich dann dort war, war es dann eigentlich fast wie so ein Aha-Wiedererlebnis – ach so, ja. Irgendwie fühlte ich mich schon auf Anhieb wieder zu Hause, vor allem, als ich in dem Living Room, in dem ehemaligen, was ja jetzt ein Gemeinschaftsraum für die zukünftigen Stipendiaten mit ihren amerikanischen Counterparts sein soll. Aber es kam mir alles familiär vor, obwohl das Haus damals noch im Umbau war, der Umbau noch gar nicht fertig war. Dann auch im Arbeitszimmer von meinem Großvater, wo ich also viel auch gewesen bin, das war alles irgendwie vertraut und doch eigentlich schon auch spannend. Zu wissen, dass das eben jetzt einfach nicht ein Museum sein soll, sondern ein nach vorne, in die Zukunft gerichtetes Dialogzentrum ist mit der Zielsetzung, im Namen der Demokratie, die ja auch gerade, nicht nur in Europa oder sonst wo, sondern gerade in Amerika durch die jetzige Bundesadministration sehr infrage gestellt wird – und da war mir klar, da, an diesem Ort, dessen Erwerb ich ja dem heutigen Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier zu verdanken habe, dem wir alle das zu verdanken haben. Dieses Haus hat für mich eine doppelte Bedeutung. Eine politische, aber auch eine vergangene.

Thomas Mann und der Kampf gegen den Nationalsozialismus

Meyer: Lassen Sie uns mal ein bisschen genau in diese vergangene Bedeutung schauen, in die Geschichte des Hauses, von der Sie eben auch erzählen. Eine Ihrer frühesten Erinnerungen an dieses weiße Haus des Exils, da waren Sie gerade vier Jahre alt, Thomas Mann und seine Familie haben damals in Los Angeles erfahren, dass es das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gegeben hat und dass dieses Attentat gescheitert ist. Was war denn da los im Haus von Thomas Mann, als diese Nachricht kam?
Mann: Ich war knapp vier, und ich kann mich einfach erinnern – das war überhaupt meine wohl erste Erinnerung überhaupt mit knapp vier –, dass ich da am Morgen danach, also am 21., mich irgendwo stehen sehe, im Badezimmer zufällig, und da kam mir in den Sinn, da ist doch gestern dieser, der schlimmste und böseste Mensch auf der Welt, der gefährlichste von allen, der sollte getötet werden. Und das ist aber nicht gelungen, aber es war eine Heldentat. Es war ganz wichtig, dass die Menschen versucht haben, uns alle von diesem Monster zu befreien. Dass da Aufregung gewesen war, dass darüber gesprochen worden ist, dass viele Besucher kamen, dass Telefongespräche geführt wurden, dass die Verwandten da waren, dass man also wusste, jetzt geht es zu Ende. Das war ein klares Zeichen, sechs Wochen nach der Invasion der Alliierten in der Normandie, da wusste man so, jetzt geht es wirklich zu Ende, es kann nicht mehr lange dauern, obwohl man natürlich enttäuscht war, dass dieser Hitler nicht tot war.
Blick vom Garten auf die Villa vonThomas Mann in Los Angeles. Das frühere Wohnhaus des in Lübeck geborenen Schriftstellers im Stadtteil Pacific Palisades ist heute zugewachsen.
Die Villa von Thomas Mann in Los Angeles vor der Renovierung© picture alliance / dpa / Gregor Tholl
Meyer: Dieses Haus in Los Angeles, das war ja auch der Ort, von dem aus Thomas Mann gekämpft hat gegen den Nationalsozialismus, mit seinen Mitteln. Und Sie schreiben in Ihrem Buch, dass dieser Kampf von Thomas Mann ein Fundament sein sollte für das, was künftig in diesem Haus passiert. Wie sehen Sie denn da die Verbindung zwischen dem Kampf gegen den Nationalsozialismus damals und dem, was heute ansteht?
Mann: Ich denke, es sind ja – dass die deutsche Bundesregierung das Haus dann gekauft hat, das hatte natürlich schon auch die Bedeutung, man wollte ein anderes Deutschland sein, als es eben damals gewesen ist. Man wollte zeigen, dass auch Deutschland, was ja damals bekämpft werden musste, jetzt ein Land ist, von dem aus auch ein Kampf gehen kann für Demokratie, für den Dialog, für eine zukünftige Weltordnung. Das hat man erkannt, und dann hat man halt auch gesehen, Thomas Mann selbst hat ein Beispiel geliefert, hat, egal, ob das jetzt ein Kampf war gegen Nazi-Deutschland, über seine Rundfunkansprachen, deutsche Hörer, über die Vortragsreisen, die er alle Jahre gemacht hat, sondern auch dann nach dem Krieg der Kampf gegen die Verkehrung, Verdrehung der Demokratie im eigenen Land durch McCarthy, dieses McCarthy-Regime. Auch da gibt es wieder erschreckende Parallelen zu der heutigen Entwicklung oder Un-Entwicklung oder Anti-Entwicklung der Demokratie in Amerika. Wobei natürlich gerade Kalifornien ein Haus ist, das heute, der ganze Staat nicht mit dieser Antidemokratie in Washington mitzieht, sondern einen ganz eigenen Weg auch geht. Das ist eine sehr günstige und sehr schöne Voraussetzung dafür.

Der amerikanische Flüchtling

Meyer: Mir ist auch wieder bewusst geworden durch das Lesen Ihres Buches, dass eben auch Thomas Mann damals verdächtigt wurde, ein gefährlicher Linker zu sein, ein Verteidiger Stalins. Was einen ja wundert im Nachhinein, dass dieser durch und durch bürgerliche Autor in so einen Verdacht überhaupt geraten konnte. Wie kam das überhaupt, dass Thomas Mann da zu den verdächtigen Linken gezählt wurde?
Mann: Einmal war es sicher auch sehr maßgeblich, dass seine ältesten Kinder, Erika und Klaus, besonders Erika, dass die in den Verdacht kamen, und das auch eher begründet war, weil sie da schon auch etwas in diese linke Richtung gedacht haben. Das mag eine Rolle gespielt haben. Der Ansatz war gewesen, also historisch gesehen, dass 1948, als Thomas Mann befreundet war mit dem Pastor der unitarischen Kirche in Los Angeles, in die ja alle vier Enkel von ihm, ich auch, hineingetauft wurden, auf Veranlassung von Thomas Mann, dass der auch die undemokratischen, antidemokratischen Schnüffeleien seitens der McCarthy-Zeit, dass dieser Pfarrer in der Predigt dagegen verwahrt hat, und dann beide sich zusammengeschlossen haben und ein Manifest geschrieben haben gegen das unmenschliche Vorgehen, dass man Menschen ins Gefängnis warf, was ja sogar der Fall war. Nicht nur verhört hat, nicht nur die Pässe entzogen haben, sondern auch das getan haben. Und das hat ihn langsam in diesen Verdacht hineingebracht, und ein halbes Jahr später, Anfang ’49 kam dann dieser Steckbrief, dieser schreckliche Steckbrief im "Life Magazine", 50 amerikanische Intellektuelle, die sogenannten Red Visitors, also Rote Besucher, wurden die in kleinen Bildern dargestellt. Beruf, Name – da war Einstein dabei, da war Arthur Miller dabei, Chaplin, wichtige Persönlichkeiten, die einfach verdächtigt wurden von dieser rechten stromlinienförmigen Politik der McCarthy-Ära, das FBI, Hoover und so weiter, dagegen zu sein.
Der deutsche Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann, schwarz-weiß-Aufnahme, Portrait, zur rechten Seite guckend
Thomas Mann im Jahr 1955© dpa/picture alliance/Abraham Pisarek
Meyer: Thomas Mann ist ja dann tatsächlich zurückgekehrt. Er war ja amerikanischer Staatsbürger, ist mit seiner Frau 1952 dann aus den USA nach Europa zurückgekehrt. Und Sie sprechen bei dieser Rückkehr von einer zweiten Emigration, als wenn Thomas Mann als amerikanischer Staatsbürger eben ins Exil gedrängt wurde wie schon einmal vorher in seinem Leben.
Mann: Nicht nur ich spreche davon. Es steht im Tagebuch. Es ist eine zweite Emigration. Finden wir ganz genau schriftlich, ’50 oder ’51 steht das im Tagebuch. Er bezeichnet sich auch selbst einmal während der Sommermonate in Europa, wo er ja seit 1947 jedes Jahr gewesen ist, bis es dann endgültig im Rückzug – sagte, er wäre ein amerikanischer Flüchtling. Dieses Wort kommt auch ganz klar vor. Er war todunglücklich, er war angeekelt, er war verzweifelt. Er war depressiv, das kann man in dem Tagebuch nachlesen, wirklich von Anfang bis Ende, und es wird immer schlimmer. ’49 fängt es richtig an, ernst zu werden, ’50, ’51 hat er es kaum mehr ertragen. Und er hat sich ganz ähnlich gefühlt. Er sagte auch, es ist ein bisschen wie 1933 in Arosa, also in der Schweiz, als er dann schon ausgewandert war aus Deutschland. Und er hat also erschreckende Parallelen gesehen, und er war dann auch am Anfang in Europa, 1953, ich war 13 Jahre alt, in dem anderen Haus, in dem er zuerst war, ein kleines Mietshäuschen, da war er totunglücklich und hatte richtig Sehnsucht und Heimweh nach seinem schönen Haus gehabt. Die Menschen können ja heute kaum mehr verstehen, warum baut er ein so schönes Haus und geht dann weg? Das kann doch nur Gründe gehabt haben, die wir nicht kennen. Und das ist der Fall. Das ist wirklich der Punkt gewesen. Und er hat sogar gehofft, dass 1956, bei der nächsten Präsidentschaftswahl, der demokratische Bewerber gewonnen hätte, Stevenson war das. Dann wäre er vielleicht noch mal zurückgekommen. Aber das war nicht der Fall. Aber er ist ja 1955 dann auch gestorben.

Von McCarthy bis Trump

Meyer: Sie selbst, Frido Mann, sind ja auch US-amerikanischer Staatsbürger. Sie haben vorhin schon einmal kurz über die Parallelen gesprochen, die Sie sehen zwischen dem Amerika dieses McCarthyismus damals und dem Amerika von heute. Wo sehen Sie da Parallelen?
Mann: Ich sehe sie in dem Bestreben, zum Beispiel jetzt im Ausländerstopp oder in der Abwertung der Frauen, dass die Administration unliebsame Meinungen bekämpft. Noch nicht in der Weise, dass man ins Gefängnis geworfen war, was zur McCarthy-Zeit der Fall war, aber genau dieses Hetzen, in der Zeitung Menschen bloßstellen, verhindern, dass Menschen einreisen, wie sie gern möchten. Das sind erschreckende Parallelen. Nur, dass ich sehr froh bin, dass es in der heutigen Zeit noch nicht ganz diese Ausmaße angenommen hat. Und ich habe immer noch die Hoffnung, dass dieser jetzige Präsident Trump noch vor der Zeit, wo er anfangen könnte, auch noch Leute ins Gefängnis zu werfen, vielleicht dann doch mal ihm das Handwerk dann gelegt wird.
Das restaurierte Thomas Mann Haus in Los Angeles.
Das restaurierte Thomas-Mann-Haus© dpa/picture-allicane/rebuild.ing GmbH/H2S Architekten
Meyer: Herr Mann, lassen Sie uns mal auf die Gegenwart des "Weißen Hauses des Exils" schauen, des neuen Thomas-Mann-Hauses. Es gab ja schon die ersten Fellows im Jahr 2018, die Soziologin Jutta Allmendinger war dort, der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering. Was kann denn der Aufenthalt solcher Persönlichkeiten in Los Angeles, im Haus Ihres Großvaters, Ihrer Meinung nach bewirken?
Mann: Die faktische Bewirkung wird sicher sehr, sehr begrenzt sein. Irgendwelche blauen Wunder wird man sich da nicht erwarten dürfen. Es lohnt sich aber dann erst recht, zu kämpfen dafür, dass wenigstens kleine Schneisen geschlagen werden, Schneisen der Verständigung, der Toleranz gegenüber Menschen, die anders denken. Und ich denke, da kann man schon gewisse Ansätze bringen. Das habe ich auch selber dann vor in meiner Funktion als Honorary Fellow, nämlich, dass da im Dialog von Deutschen Stipendiaten aus allen Berufsgebieten und aus allen großen Sparten, ob das Wissenschaft ist, ob das Kunst ist, ob das auch sogar Religion ist, dass da mit amerikanischen Counterparts – also Gesprächspartnern – Dialoge geführt werden können, die zu öffentlichen Veranstaltungen dann führen, die aber nicht nur im Haus selbst stattfinden, die vom Haus ausgehen. Aber die Stipendiaten haben ja ein Reisebudget, und sie sind auch dazu angehalten, an anderen Orten in ganz Amerika, in Institutionen bei Tagungen dabei zu sein oder Tagungen zu organisieren, Vorträge, Round-Table-Gespräche und so weiter. Und ich denke schon, so wie das halt mit diesem Schneeballsystem ist, dass mal vielleicht ein kleiner Schneeball ins Rollen kommt, der dann mitwirken kann und mithelfen kann, gerade jetzt, wo in der Amtszeit dieses unseligen Präsidenten – in den nächsten zwei Jahren wird der Wahlkampf ja auch wieder beginnen, und das ist auch der Grund, warum ich selbst auch dort sehr aktiv werden möchte.

Die Dinge ein bisschen in Bewegung bringen

Meyer: Und glauben Sie, dass die amerikanische Öffentlichkeit, von der man ja immer hört, die sei sehr auf ihr eigenes Land konzentriert, dass es da eine Neugier gibt auf das, was Deutsche zu sagen haben zur Zukunft der Demokratie?
Mann: Das wird das Deutschland-Jahr jetzt zeigen. Es hat ja vor zwei Monaten angefangen, und davon habe ich noch nicht sehr viel gehört, weil es ja noch sehr in den Anfängen ist. Aber da möchte ich gerade mitwirken. Ich bin jetzt kürzlich in Berlin gewesen, habe mit dem Bundespräsidenten und auch einem Ministerialdirigenten im Auswärtigen Amt darüber gesprochen, über die Pläne, da jetzt wirklich mit einzusteigen und da mitzuwirken, dass das ein bisschen schon die Dinge in Bewegung bringt.
Meyer: Wie hören, wie aktiv Frido Mann ist, mit fast 80 Jahren, wenn ich das sagen darf, Herr Mann. Sein Buch heißt "Das weiße Haus des Exils", im S.-Fischer-Verlag ist es erschienen mit 208 Seiten, 20 Euro ist der Preis. Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch, Herr Mann!
Mann: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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