"Freude und Delirium"

Von Christian Schmitt und Linda Vierecke · 02.08.2005
Jede Stadt, die was auf sich hält, hat ihr eigenes Bier. Es gibt Kölsch in Köln, Altbier in Düsseldorf oder Weißbier in München. In Leipzig ist es die Gose. Ebendort hat ein Liebhaber des Gebräus eine Gosen-Schenke eröffnet und rührt zugleich die Werbetrommel für das ungewöhnliche Bier.
Hennebach: " Frei nach Schiller: Die Ode an die Gose: Gose guter Göttergaben. Freude und Delirium. Wir bestreben uns zu laben, Gose wird dein Heiligtum. Deine Finger fassen wieder, was im Keller wohlgereift. Alle werden Gosebrüder, wer den sanften Trunk hier säuft. Seid umschlungen Millionen, diesen Schluck der ganzen Welt, Brüder überm Stammtischzelt, muss ein Gosevater wohnen."

Hartmut Hennebach. Der Gosewirt aus Leipzig, mit dem Ziel, die Gose in die Welt zu tragen.

"Was unter den Blumen die Rose, ist unter der Bieren die Gose. Ob's regnet oder schneit, die Gose schmeckt zu jeder Zeit. Es trinken die Studiosen, so zwei bis zwanzig Gosen. Wo man Gose trinkt, da kannst du ruhig lachen, den Bösewichte trinken schärfere Sachen...""

Soweit die Theorie. Doch...

"Es trinken die Studiosen, so zwei bis zwanzig Gosen..."

...kann man heute leider nicht mehr uneingeschränkt sagen. Vor drei bis vier Jahrzehnten war das noch anders. Vielleicht auch deshalb, weil Goseverfechter Hennebach noch selbst Student war und die Leipziger Gosewirtschaft förderte.

"Früher war ich sehr haltlos. Es kostet nichts, es ist am Hahn, es fließt raus, und seit ich fünfundfünfzig geworden bin im März diesen Jahres, hab ich den Whisky weggelassen, aber Gose kann man nicht weglassen. Also ich trinke so am Abend ein bis drei Liter. Das Problem ist nur: pur schmeckt's ja nicht jedem. Der Klassiker ist ja, Gose mit Kümmel zu trinken."

Kümmellikör selbstverständlich! Umso beschwingter wirbt es sich da für das eigenartige Gebräu. Hennebach hält Gose-Vorträge. Wenn man ihn einlädt, sogar in Wien. Und er wird eingeladen. Doch der Visionär bleibt Realist und will die Gose-Revolution von ganz unten starten, von dort, wo sie herkommt.

"Ich will, dass Leipzig die Gose flächendeckend wieder ausschenkt. Es gibt ja wenig Leipziger Spezialitäten, de Quarkkeulchen sind nich aus Läpsch, des ist Säch'sch. Leipziger Allerlei kann kaum jemand machen, weil man die Morcheln und die Flusskrebse nicht hat, die Lerchen, okay. Gose gehört aber dazu. Und das soll sich rumsprechen und der Student in der Südvorstadt soll sich auch mal denken, ach heute geh' ich mal 'ne Gose trinken."

Ob die Gose heute bei der Studentenschaft eine Chance hat?

"Ich glaube nicht, dass die Gose ein Trendgetränk werden kann. Das schmeckt mir viel zu sauer, da zieh' ich doch 'nen Caipirinha vor."

Doch Hennebach ermuntert zum Durchhalten. Auch er muss zugeben, dass das trüblich schimmernde Bier zunächst so schmeckt, wie es aussieht. Und erinnert sich an längst vergangene Zeiten:

"Die erste Gose hat nicht geschmeckt. Das war ja ungewöhnlich, das ist ja ein Sauerbier. Der PH-Wert ist bei 3, sie haben Koriander, Kochsalz und Milchsäure dran, also schmeckt sie sehr säuerlich. Wenn sie die erste trinken, auch hier die Touristen hier, die erste, sind die erschrocken, aber die zweite, dritte schmeckt dann umso besser. Und wenn man sich einmal eingeschossen hat, dann will man kein Pils mehr trinken, dann will man nur noch Gose trinken. Oder: Wer einmal Gose trinkt, der bleibt bei der Gose."

Das funktioniert leider nicht immer. Immerhin gibt es abenteuerliche Mixtouren mit Himbeersaft oder Erdbeersirup. Die sollen erste Begegnungen mit der Gose erleichtern. Doch richtige Männer, die pfeifen darauf, denn:

"Gose – ist – potenzfördernd"

Das soll zumindest Goethe gesagt haben. Wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es nicht. Der Name von Hennebachs Gosenschenke passt trotzdem: "Ohne Bedenken" nennt der Wirt sein Etablissement.

"Gose – ist – potenzfördernd."

Und dementsprechend ist die Stimmung, wenn der ein oder andere Gosetropfen geflossen ist.

"Was denken Sie, bei uns, wenn hier Gruppen sind, Goseverkostung, 11 Sorten Gose, die tanzen hier auf den Tischen. Es ist ja alles erlaubt, was den anderen nicht stört. Es ist hier eine Geselligkeit, ein Trubel. Und deshalb sind Gosenschenken auch immer sehr lustige Kneipen."

Lustig ist es dort in Leipzig allemal. Und wenn die Stimmung am ausgelassensten ist, dann ist Gosewirt Hennebach entweder mittendrin im Trubel. Oder er steht selig daneben und strahlt bis über beide Ohren. Vor zwanzig Jahren gab der studierte Veterinärmediziner seinen gut bezahlten Job an der Uni auf. Aus politischen Gründen. Und wenn früher die Gose nur seine Abende beherrschte, wurde sie nun zum Full time Job.

"Gose ist erst mal meine Existenz und die ersten Jahre hier als Wirt, da kamen schon ein bisschen die Tränen, weil es ganz großer Stress war und ein ganz anderes Leben. Dann habe ich aber gemerkt, ich kann mich entscheiden, ich war ja rehabilitiert, konnte ja zurückkehren an die Universität, aber ich bin dann doch Gastwirt geblieben. Da hat es mir schon Spaß gemacht. Der Riesen-Biergarten, das wurde ja immer schöner, hier habe ich ja fast alles selbst gemacht. Und so ist die Gosenschenke so ein Stück meines Lebens geworden."

Mehr noch. Hennebach ist besessen davon.

"Was unter den Blumen die Rose, ist unter der Bieren die Gose. Ob's regnet oder schneit, die Gose schmeckt zu jederzeit..."

Neben seinem unerschöpflichen Repertoire an überlieferten Goseweisheiten schreibt Hennebach auch Bücher –über die Gose natürlich. In Anlehnung an die Bibel wird bald das "Buch Gose" herauskommen. Sein Traum ist wohl eine pompöse Intonation seiner selbst gedichteten Ode an die Gose:

"Gose guter Göttergaben. Freude und Delirium. Wir bestreben uns zu laben, Gose wird dein Heiligtum. Deine Finger fassen wieder, was im Keller wohlgereift. Alle werden Gosebrüder, wer den sanften Trunk hier säuft. Seid umschlungen Millionen, diesen Schluck der ganzen Welt, Brüder überm Stammtischzelt, muss ein Gosevater wohnen."