Freud und Leid des Haschischs

08.04.2011
Baudelaires Essay "Die künstlichen Paradiese" ist ein großer Lobgesang auf Drogen und ihre berauschende Wirkung, erschienen erstmals im Jahr 1860. Der Regisseur Kai Grehn hat aus dem Text nun ein Hörspiel gemacht und dafür eine Reihe nahmhafter Musiker mit ins Boot geholt.
Der Rausch, über Jahrhunderte als notwendiger, reinigender Ausnahmezustand gesellschaftlich anerkannt, ist in jüngster Zeit zunehmend in Misskredit geraten. Drogen, Alkohol und Zigaretten werden immer aggressiver bekämpft und Berauschte, seien es bierselige Arbeitslose oder zugekokste Hollywoodsternchen, als abartige oder krankhafte Freaks dargestellt. Da tut es gut, wenn ein Kenner wie Charles Baudelaire, auf die schönen Seiten wirklichkeitsverändernder Mittel hinweist.

Während seiner ganzen Dauer wird der Rausch nichts anderes sein als ein freilich unermesslicher Traum; unermesslich dank der Intensität der Farben und der Schnelligkeit der Eindrücke. Immer jedoch wird er gestimmt sein auf den jeweiligen Ton der Persönlichkeit. Der Müßiggänger hat sich den Kopf zerbrochen, um auf künstlichem Wege das Übernatürliche in sein Leben und Denken einzuführen.

Charles Baudelaire war nicht der erste und bei weitem nicht der letzte, der von Freud und Leid des Haschischs und des Opiums berichtete. Kaum jemand aber hat wie er den Rauschzustand, seinen Verlauf und seine philosophischen Implikationen so konzise darzustellen gewusst wie der Franzose. Kai Grehn ist es zu danken, dass er "Die künstlichen Paradiese" nun wieder ins Bewusstsein rückt. Die Idee, zwölf Musikern das Gedicht "Berauscht Euch" als Inspirationsquelle für eigene, musikalische Gedanken über den Rausch anzubieten, hat darüber hinaus zu erstaunlichen Ergebnissen geführt.

Die zwölf Versionen von "Berauscht Euch" sind denkbar verschieden: da ist die schwebende Leichtigkeit der Nouvelle Vague, da ist der schwermütige Dark Folk des Matt Elliott, die Rauheit der Band Mariahilf oder die rein instrumentalen Euphorien des Original Kocani Orkestar. Jedes Stück stellt etwas Besonderes dar; keines klingt nach Auftragsarbeit. Nicht weniger beeindruckend ist der Auftritt Jeanne Moreaus, die mit entsprechend verrauchter Stimme das Original rezitiert.

Il faut être toujours ivre, tout est là ; c'est l'unique question. Pour ne pas sentir l'horrible fardeau du temps qui brise vos épaules et vous penche vers la terre, il faut vous enivrer sans trêve. Mais de quoi? De vin, de poésie, ou de vertu à votre guise, mais enivrez-vous!

Spannend ist die Musik auf "Die künstlichen Paradiese" auch und gerade deswegen, weil sie die unterschiedlichen Aspekte des Rauschs hörbar macht: Rausch als Betäubung, als himmlischer Schwebezustand oder als alle Grenzen sprengende Ekstase. Nicht zuletzt in seinem von Alexander Fehling vorgetragenen Essay beleuchtet Baudelaire diese Aspekte, weist aber auch darauf hin, wie unberechenbar die Wirkung von Haschisch oder Opium sein kann. Dieses Spielerische des Drogenkonsums lässt Fehling leider außer Acht. Er trägt den Text stattdessen über weite Strecken mit übertriebener Gravität vor.

Die Ausgelassenheit und diese jähen Ausbrüche von Gelächter wirken wie eine Narretei oder wenigstens wie eine blödsinnige Albernheit auf jeden Menschen, der sich nicht in dem gleichen Zustand befindet wie ihr. Sogar die Klugheit und der gesunde Verstand, die regelrechte Ordnung der Gedanken des nicht berauschten Augenzeugen erfreuen und amüsieren euch als eine besondere Art von Sinnlosigkeit.

Doch weniger die etwas einseitige Textinterpretation Alexander Fehlings, als vielmehr die Grundanlage der "Künstlichen Paradiese", wie sie Kai Grehn uns zu Gehör bringt, macht skeptisch: Hat man es hier überhaupt, wie auf dem Cover des Hörbuchs versprochen, mit einem Hörspiel zu tun? Oder handelt es sich nicht vielmehr um eine Lesung mit Musikunterbrechungen? Dagegen wäre nichts zu sagen, nur erwartet man unter dem Label "Hörspiel" eben etwas anderes, etwas, das akustisch homogener wirkt und in sich geschlossen. So wird zwar der Baudelaire-Liebhaber an diesen "Künstlichen Paradiesen" für Momente ebenso seine Freude haben wie der Kiffer oder die Fans von Tuxedomoon, Helmut Oehring oder Sandow. Wäre der Rezensent jedoch nicht unversehens der Stimme Anne Clarks verfallen wie Baudelaire dem Opium, er hätte sich über die 80 Minuten hinweg vermutlich ein wenig gelangweilt.

Tobias Lehmkuhl

Charles Baudelaire: Die künstlichen Paradiese
Regie: Kai Grehn, Sprecher und Musik: Alexander Fehling, Nouvelle Vague, Tuxedomoon, Anne Clark, Tarwater u.a.
Hörbuch Hamburg 2011
1 CD, 80 Minuten