Fresco und Gemälde

02.12.2011
"Kein Laut außer dem Murmeln des Taus, der in Bächlein von den Felsen herabrinnt" – eine idyllisch-entrückte, bukolische Naturzeichnung ist die erste Regieanweisung des Komponisten in der Partitur zu "Daphnis et Chloé" von Maurice Ravel. Als sein "wichtigstes Werk" bezeichnete er diese "choreographische Symphonie".
Das auslandende Ballett um die im antiken Griechenland angesiedelte Geschichte der Nymphe Chloé und ihren Liebsten Daphnis, entstanden zwischen 1909 und 1912, wird heute zumeist konzertant aufgeführt – in einer von Ravel extra zu diesem Zweck zusammengestellten Suitenfassung.

Das Symphonieorchester und der Chor des Bayerischen Rundfunks hingegen bringen das gesamte Ballett aufs Podium, als farbenreiches, üppig-sinnliches und raffiniert orchestriertes Gemälde, indem die Vokalisen des Chores gewissermaßen als Orchesterfarbe wirken.

"Was mir vorschwebte, war ein ausladendes musikalisches Fresko, weniger archaisierend als voll Hingabe an das Griechenland meiner Träume, welches sich sehr leicht mit dem identifizieren lässt, was die französischen Künstler des späten 18. Jahrhunderts nach ihren Vorstellungen gemalt haben", so Ravel.

Eine Art Fresco schuf auch Luciano Berio, genauer: er nahm Restaurierungsarbeiten an einem Fresco vor, wie er es selbst formulierte. Das Fresco: Skizzen zu einer Zehnten Sinfonie von Franz Schubert, die Restaurierung: "Rendering für Orchester". Im Vorwort zur Partitur von 1989/90 schreibt Berio:

"In den letzten Wochen seines Lebens fertigte Franz Schubert vielerlei Skizzen zu einer Zehnten Symphonie in D-Dur (D 936 A) an. Diese Entwürfe sind ziemlich komplex und von vollendeter Schönheit. Es sind dies weitere deutliche Hinweise für Schuberts Entwicklung, welche vom Einfluss Beethovens wegführt. Rendering mit seiner zweifachen Autorenschaft soll eine Restaurierung dieser Skizzen sein, keine Vollendung oder Rekonstruktion. Diese Restaurierung folgt den Richtlinien einer modernen Freskorestaurierung, die auf eine Auffrischung der alten Farben abzielt, ohne die durch die Jahrhunderte entstandenen Schäden kaschieren zu wollen, wobei sogar leere Flecken im Gesamtbild zurückbleiben können (wie etwa im Falle Giottos in Assisi)".

Rekonstruktionsversuche hatte es bereits einige gegeben, Berio geht anders vor. Zwischen die Schubertschen Skizzenblätter schiebt sich ein Subtext musikalischer Entwicklung von Schubert bis heute. Das Ergebnis vergleicht Wilfried Gruhn mit einem Radiosender, in den sich immer wieder eine andere Frequenz einschaltet – als "Störung".

Aus gesundheitlichen Gründen musste Riccardo Chailly dieses Konzert absagen. Dankenswerterweise hat sich der US-amerikanische Dirgent David Robertson bereit erklärt einzuspringen. Er hat das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zuletzt am 28. Oktober 2011 im Rahmen der Reihe "musica viva" dirigiert.

Beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist der amerikanische Dirigent David Robertson ein gern gesehener Gast. Vor zwei Jahren dirigierte er ein Programm mit Werken von Brahms, Skrjabin sowie Ravel und zuletzt am 28. Oktober 2011 im Rahmen der "musica viva" u.a. Berios Sinfonia.

Seine besondere Affinität zur Musik der Gegenwart führte David Robertson 1992 zum Pariser Ensemble intercontemporain, dessen musikalischer Leiter er bis 1999 war. Von 2000 bis 2004 leitete er als Musikalischer Direktor das Orchestre national de Lyon. Seit 2005 ist David Robertson Chefdirigent des Saint Louis Symphony Orchestra und Erster Gastdirigent des BBC Symphony Orchestra. David Robertson steht regelmäßig am Pult der bedeutenden amerikanischen Klangkörper und konzertierte u. a. in der New Yorker Carnegie Hall. Auch in der Alten Welt folgte er Einladungen zu renommierten Orchestern wie den Berliner Philharmonikern und dem Concertgebouworkest Amsterdam. Dabei ist der Künstler nicht nur auf den Konzertpodien, sondern auch am Pult der großen Opernhäuser wie der New Yorker MET, der Mailänder Scala und der Bayerischen Staatsoper zu erleben. Seine umfangreiche Diskographie mit Werken u. a. von Boulez, Milhaud, aber auch Dvořák und Lalo, sowie zahlreiche bedeutende Auszeichnungen dokumentieren sein internationales Renommee.


Live aus dem Herkulessaal München


Luciano Berio
"Rendering"
Rekomposition eines Sinfoniefragments von Franz Schubert

ca. 20:40 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
"Musik lesen" – Neuerscheinungen auf dem Musikbuchmarkt
Mit Ben Alber

Maurice Ravel
"Daphnis et Chloé"
Choreographische Sinfonie in drei Teilen


Chor des Bayerischen Rundfunks
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: David Robertson