"French Disko" im Film "Tschick"

Simpel, charmant - und etwas ungelenk

Die Beatsteaks stehen beim Kosmonaut-Festival am Stausee Rabenstein in Chemnitz auf der Bühne.
Die Beatsteaks waren am Soundtrack für den Film "Tschick" beteiligt. © dpa / picture alliance / Ole Spata
Von Gesa Ufer · 29.09.2016
Die Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick" kommt in den Kinos gut an. Das liegt neben den guten Schauspielern und der Regie von Fatih Akin sicher auch am Soundtrack. Bemerkenswert ist hier die Zusammenarbeit der Rockband Beatsteaks mit Dirk von Lowtzow, dem Sänger der Band Tocotronic.
Seltsam, dass sich ausgerechnet diese beiden gefunden haben: Die Beatsteaks stehen für eine ungemein live-taugliche Mischung aus Deutschpunk und Stadionrock, Dirk von Lowtzow, Sänger und Kopf der Band Tocotronic dagegen für durchgeistigten Diskurspop.
Zusammen haben sie den Song für den Soundtrack zur "Tschick"-Verfilmung von Wolfgang Herrndorf geschrieben. Bei diesem einmaligen Gemeinschaftswerk aber gibt’s gleich zwei gemeinsame Nenner: Die große Sympathie für Herrndorf und seinen Text und die Begeisterung für die britische Band Stereolab. Deren Songs waren Mitte der Neuzigerjahre ganz groß und durften auf keiner geisteswissenschaftlichen Institutsparty fehlen. Den Text ihres kleinen Hits "French Disko" hat damals wahrscheinlich niemand so recht verstanden. Man war nicht mal sicher, ob Frontfrau Laetitia Sadier hier englisch oder französisch sang:
Verständlich war eigentlich nur der Aufruf zum Widerstand "La Resistance"
Dirk von Lowtzow hat den Text nun für den Soundtrack der "Tschick"-Verfilmung eins zu eins ins Deutsche übersetzt. Simpel, charmant und etwas ungelenk:
//Es ist sicherlich absurd
In dieser Welt zu leben
Sie erscheint dir sinnentleert
Doch zieh Dich nicht zurück//
Diese Sätze reihen sich nahtlos in die Forderungen ein, die Tocotronic sonst in ihren Songs formulieren, etwa in "Pure Vernunft darf niemals siegen", "Das Unglück muss zurückgeschlagen werden" oder "Im Zweifel für den Zweifel".
Tocotronic lassen in ihren Texten - genau wie die britische Band Stereolab - ihre Liebe zu den französischen Situationisten und Surrealisten durchscheinen, zu spielerischem Widerstand, zu Irritation und zu einem Leben, in dem Kunst und Politik immer dazugehören und mitgedacht werden:
//Spontane Rebellion
Und Solidarität
Sind Akte, die erst wertvoll sind
Es ist nie zu spät
La Resistance
Das Leben ist hart
La Resistance//
Diesen Song "French Disko" genannt zu haben, zeugt von einer gewissen Selbstironie der Band Stereolab. Als die nämlich Mitte der Neunzigerjahre ihre Hochzeit hatte, war es ungemein angesagt, sich mit französischer Philosophie zu beschäftigen. Mit Situationisten wie Guy Debord, die in der Gesellschaft nur noch ein Spektakel sahen, das gegen echte Veränderungen immun sei, genauso wie mit all den Poststrukturalisten von Derrida bis Baudrillard, die Rationalismus und Kapitalismus ablehnten und dabei für Rebellion und Coolness gleichermaßen standen.
Pop und Philosophie trafen sich im übertragenen Sinne, um in der "French Disko" gemeinsam zu tanzen.
Auch wenn Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick" weder eine explizit politische noch philosophische Message vor sich herträgt, so passt dieser Song dennoch gleich in mehrfacher Hinsicht dazu:
Musikalisch taugt diese treibende Mischung aus Krautrock, Easy Listening und elektronischer Redundanz ideal zum Autofahren - etwa auf langen Strecken im geklauten Lada.
Der Aufruf zum Widerstand, zum Ausbruch und zur Revolte wird zwar nicht konkret, dafür aber mit umso mehr Wumms und Pathos formuliert, gerade so, wie es jugendlichen Stürmern und Drängern entspricht. Und das genau sind Maik und Tschick, die beiden Außenseiter, die aufbegehren und alles stehen und liegen lassen um ihr Leben in diesem Sommer selbst in die Hand zu nehmen.
Dass beim Refrain "La Resistance" Assoziationen zur französischen Widerstandsbewegung gegen den Faschismus aufkommen, ist noch ein weiterer Effekt dieses Songs. Angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen eine eindrucksvolle Erinnerung an zivilen Ungehorsam in dunklen Zeiten.
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