Freiheitsbegriff

Welche Freiheit meinen wir?

Blick auf die Freiheitsstatue in New York
Blick auf die Freiheitsstatue in New York © deutschlandradio.de / Daniela Kurz
Von Nils Markwardt · 02.10.2016
Der klassische liberale Freiheitsbegriff ist nur eine mögliche Lesart von Freiheit - und offenbar eine, die an Gewicht verliert. Hilfreich findet Nils Markwardt den Begriff der "qualititativen Freiheit", der Freiheit und Verantwortung zusammenbringt.
Die Freiheit gilt den Deutschen als hohes Gut, höher als Gleichheit, Gerechtigkeit oder Sicherheit. Das behauptet zumindest das Heidelberger John-Stuart-Mill-Institut in einer aktuellen Studie.
Im sogenannten Freiheitsindex 2016, der auf Basis von Umfragen und Medienanalysen erstellt wird, vernimmt man aber auch warnende Töne. So habe die Sehnsucht nach Gleichheit und die Forderung nach Verboten leicht zugenommen, auch seien nur 62 Prozent der Befragten der Ansicht, dass sie ihre politische Meinung öffentlich frei äußern könnten. Das sei der niedrigste Wert seit 1990.

Frei von Armut zu sein - auch eine Form der Freiheit?

Aus philosophischer Sicht scheinen diese Ergebnisse aber zunächst wenig aussagekräftig. Nun gibt es durchaus Kriterien, an denen sich Freiheit messen lässt – zum Beispiel demokratische Wahlen oder allgemeine Freizügigkeit. Aber für die Diskussion ist auch immer entscheidend, welchen genauen Begriff man von ihr hat. Anders gesagt: Wie frei man sich fühlt, hängt auch davon ab, was man unter Freiheit versteht.
So kann man einerseits die Akzente auf die positiven Freiheiten legen, also den Freiheiten zu etwas. Beispielsweise das Recht auf freien Handel oder persönliche Meinungsäußerung. Andererseits kann man aber auch die negativen Freiheit betonen, also die Freiheiten von etwas. Beispielsweise von Armut oder Diskriminierung.

Freiheit und Gerechtigkeit als widerstreitende Werte?

Es ist also erklärungsbedürftig, dass das John-Stuart-Mill-Institut Freiheit und Gerechtigkeit als widerstreitende Werte verbucht. Denn welche anderen Begriffe man in Beziehung zur Freiheit setzt, ja womöglich sogar als ihre Voraussetzungen begreift, ist immer ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess. Das sieht man übrigens schon daran, dass der Schlachtruf der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – anfangs nicht konkurrenzlos war. Seinerzeit konkurrierte auch das Motto: Freiheit, Gleichheit, Eigentum.

Marktradikale als Gefährder der Freiheit

Heute scheint die Freiheit vor allem von zwei Seiten bedroht. Zum einen in sicherheitspolitischer Hinsicht, also durch den internationalen Terrorismus oder den exzessiven Überwachungsstaat. Andererseits aber auch durch die Apologeten jenes Marktradikalismus, die zwar Freiheit sagen, aber nur Gewinnstreben meinen.
Denkt man Freiheit nämlich universalistisch, geht es bei ihr nicht nur um die Vergrößerung persönlicher Chancen, sondern auch um eine Verantwortung gegenüber dem Anderen. Und das hieße etwa dafür Sorge zu tragen, dass künftige Generationen nicht in eine ökologisch zerstörte Welt geboren werden, in der ihre Freiheiten automatisch eingeschränkt wären.

Freiheit als "wechselseitige Verbesserung von Lebenschancen"

Vor diesem Hintergrund scheint der Begriff der qualitativen Freiheit hilfreich, den der Tübinger Philosoph Claus Dierksmeier jüngst in seinem gleichnamigen Buch geprägt hat. Den unterscheidet er von der rein quantitativen Freiheit, also der bloßen Anhäufung individueller Wahlmöglichkeiten. Qualitative Freiheit beschreibt dagegen die wechselseitige Verbesserung von Lebenschancen.
Das heißt: Sie betont ein qualitatives Abwägen von Freiheiten, um diese nicht nur einigen wenigen, sondern möglichst vielen zukommen zu lassen. Konkret könnte das etwa bedeuten, dass hohe soziale und ökologische Standards die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen zwar einschränken mögen, die Freiheit vieler anderer hingegen erst ermöglicht. Oder wie Dierksmeier sagt: Es geht nicht um ein "je mehr, desto besser", sondern um ein "je besser, desto mehr". Für die nächste Großdebatte über unsere freiheitlichen Werte, wäre das doch mal ein guter Ausgangspunkt.
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