"Freigegeben ab 18 Jahren"

Von Josef Schnelle · 18.07.2009
Über Altersbeschränkungen von Videos oder Filmen entscheidet die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die 1949 gegründet wurde. Die Akten der FSK geben heute Aufschluss über die Sittengeschichte und Tabus der Bundesrepublik.
Das Jahr 1949 war ein Jahr der Aufbrüche und Neugründungen. Die Bundesrepublik Deutschland entstand und auch Kinofilme wurden wieder in nennenswerter Zahl von Produktionsfirmen gedreht und von Verleihern ins Kino gebracht. Aber was sollte an die Stelle der Zensurbehörde der Alliierten treten?

Der Emigrant Erich Pommer, in den 30er-Jahren war er der wichtigste Filmproduzent Deutschlands gewesen, kehrte nun als oberster Filmoffizier der amerikanischen Besatzungsmacht zurück. Er war mit dem Wiederaufbau und der Neuordnung der deutschen Filmwirtschaft betraut, lehnte eine staatliche Zensur wie in Weimar und in der Nazizeit entschieden ab und bastelte mit Verbündeten aus der deutschen Filmwirtschaft an einer neuartigen Idee.

"Nach dem Krieg wurde die Filmwirtschaft sehr früh aktiv und hat sich - nach Amerika schauend und den dortigen Production Code anschauend - gesagt: Wir machen selber etwas, wir machen eine freiwillige Selbstkontrolle."

Christiane von Wahlert, Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft mit Sitz in Wiesbaden, erläutert die Anfänge einer Zensurbehörde, die keine sein will. Sie kann lediglich Altersfreigaben vergeben: ganz frei, ab sechs, ab zwölf, ab 16 und ab 18.

Die Verleiher sind auch nicht verpflichtet, ihre Filme vorzulegen. Dann sind sie allerdings nur Erwachsenen zugänglich, was immerhin auf das Einspielergebnis Auswirkungen hat. Ein Pool von rund 200 ehrenamtlichen Prüfern aus Bildungseinrichtungen steht der FSK zur Verfügung und entscheidet in einem mehrstufigen Verfahren über die Altersfreigaben. Rund 120.000 Prüfungen sind bislang bei der Arbeit dieser Gremien erfolgt. Und auch Kritiker des komplizierten Verfahrens ziehen eine positive Bilanz der Einrichtung des Jugendmedienschutzes.

Trotzdem ist die Geschichte der FSK vor allem in den ersten Jahren nicht frei von eklatanten Fehlentscheidungen. Die berühmteste betraf 1950 Roberto Rossellinis Meisterwerk "Rom. Offene Stadt", dem vorgeworfen wurde, er sei geeignet, die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien zu stören.

"Wenn man aber jetzt genauer hinschaut, wovon der Film denn handelt, nämlich von der unglaublichen Brutalität, mit der die deutsche Besatzung in Rom während des Krieges vorgegangen ist, dann kann man diese Begründung, das friedliche Verhältnis zwischen Deutschland und Italien nach dem Krieg würde möglicherweise gestört werden durch diesen Film, aus heutiger Sicht überhaupt nicht anders sehen oder deuten, als eine Form von historischer Verdrängung. Das heißt, wenn wir in die Akten der FSK steigen, haben wir vor uns so etwas wie eine Kultur und Sittengeschichte der Bundesrepublik."

Politische Begründungen, die ja eigentlich mit der Altersfreigabe nichts zu tun haben, wurden mit der Zeit immer seltener. Es ging nun vorwiegend um Sex oder Gewaltverherrlichung. Die Praxis, Schnittauflagen zu erteilen, also Altersfreigaben nur gegen die Zusicherung, bestimmte Szenen herauszuschneiden, zu erteilen, ist inzwischen aufgegeben worden.

Spöttisch bezeichnete die Filmkritik noch in den 60er-Jahren die FSK als größte "Änderungsschneiderei der Republik". So sind ziemlich viele Filme schrecklich entstellt worden. In einem wichtigen Fall blieb die FSK jedoch standhaft. Ingmar Bergmans Film "Das Schweigen" führte 1963 zwar zu öffentlichen Protesten und zu einer Bundestagsdebatte. Die FSK hatte ihn aber ab 18 freigegeben. Innenminister Hermann Höcherl hatte in einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages erkennbar Mühe, die Begründung zu verstehen und zu verteidigen:

"Das Moment des Abschreckenden, Abstoßenden, des Schauderns vor tierischer Triebhaftigkeit, scheint der Ausschuss als so beherrschend angesehen zu haben, dass eine etwaige spekulative Laszivität oder Schmuddeligkeit dabei verdeckt wird. Die Mitglieder des Ausschusses scheinen sich von dem Gedanken leiten zu lassen, die Darstellung tierischer Triebhaftigkeit ohne Herz, ohne Zärtlichkeit, reiße der Sexualisierung des täglichen Lebens gleichsam die Maske herunter, um den Verrat der Liebe durch den Sex umso dreister und deutlicher und erschreckender deutlich werden zu lassen."

Heute steht die Freiwillige Selbstkontrolle vor einer neuartigen Herausforderung. Das Internet ist hinzugekommen und macht international und weltweit so viele Inhalte zugänglich, dass sie gar nicht mehr alle - schon ihrer schieren Zahl wegen - geprüft werden können. Außerdem kann die FSK ja nur auf Antrag eines Anbieters tätig werden. Für das Konsensmodell Freiwillige Selbstkontrolle verändert die Medienwoge des digitalen Zeitalters auch die Geschäftsgrundlage.

"Ich glaube schon, dass die Vorstellung, dass wir, ich meine jetzt die Erwachsenenwelt, sozusagen alles, was für Kinder medial zugänglich ist, per Kino oder Video, in irgendeiner Weise vorher gesichtet haben können und für gut oder schlecht, für zugänglich oder nicht zugänglich befunden haben können, dass diese Zeit vielleicht vorbei ist."