"Fledermaus" in Paris

Liebeskrämpfe und durchgeknalltes Personal

Die Sopranistin Chiara Skerath bei Proben für die "Fledermaus" von Johann Strauss in der Inszenierung von Ivan Alexandre. Sie reckt die Hände zum Himmel, hinter ihr liegt ein Mann, verknäult in ein riesiges Stofftier mit dem Rücken zur Bühne.
Die Sopranistin Chiara Skerath bei Proben für die "Fledermaus" von Johann Strauss in der Inszenierung von Ivan Alexandre. © Francois Guillot / AFP
Von Jörn Florian Fuchs · 21.12.2014
Nicht immer ganz geschmackssicher inszeniert Ivan Alexandre die "Fledermaus" in der fast 300 Jahre alten Opéra Comique. Die Operette von Johannes Strauss beginnt hier harmlos, wird dann aber immer rauer - und so dirigiert auch Marc Minkowski.
Auf dem Boulevard Haussmann herrscht der übliche Vorweihnachtswahnsinn, die einschlägigen Einkaufstempel überbieten sich mit aufwändigen Schaufensterdekorationen. Das Motto 2014 lautet offenbar: monströses Fest. Überall hängen oder schweben oder rasen Monsterfiguren durch die Luft und bewerben teures Spielzeug.
Wenige Minuten abseits des Trubels findet sich ein sehr durcheinander gewürfeltes Publikum zur 15-Uhr-Premiere der "Fledermaus" ein, in der ehrwürdigen Salle Favart der fast 300 Jahre alten Opéra Comique. Johann Straussens Operette um böse Tricks, Liebeswirren und durchgeknalltes Personal in allen Varianten und Milieus schauen sich hier viele Schulkinder aber auch der französische Premierminister an.
Natürlich gibt sich ebenso das reifere Publikum die Ehre, dem Silbersee entsteigen am Ende deutliche Buhs. Man kann die Reaktionen verstehen, denn Ivan Alexandre inszeniert das Stück mit ziemlich kräftiger Pranke und nicht immer ganz geschmackssicher. Der Intrigant Falke ist schwul, weil er jedoch bei Eisenstein erfolglos bleibt, wendet er sich dem androgynen Prinzen Orlofsky zu. Doch dieser beachtet ihn überhaupt nicht, worauf Falke eine Herzattacke erleidet.
Prinz Orlofsky als asiatische Diktatoren-Knallcharge
Das Spiel um Eisenstein, seine zeitweise als ungarische Gräfin verkleidete Gattin Rosalinde und die Verwechslungen und Verwischungen zwischen Dienstmädchen und vermeintlich feinen Herrschaften inszeniert Alexandre genau, manchmal etwas konventionell und anfangs auch arg bieder. In einem braun getäfelten 70er-Jahre Wohnzimmer guckt das Dienstmädchen fern und sieht auf der Mattscheibe doch tatsächlich den Dirigenten Marc Minkowski, der die "Fledermaus" dirigiert. Da schmort ihr glatt das Bügeleisen durch. Bald ist der virtuelle Spuk jedoch vorüber und die reale Party beginnt. Im Laufe des Balls dreht auch die Regie durch, Prinz Orlofsky taucht erst als asiatische Diktatoren-Knallcharge auf, verwandelt sich später in ein androgynes Flattergeschöpf und gibt zwischendrin eine knappe Viertelstunde lang Cecilia Bartoli vom Feinsten, nämlich ihre berühmte Interpretation von Vivaldis "Agitata da due venti".
Warum muss dies sein? Weil der fantastische Counter Kangmin Justin Kim einfach alles beherrscht und das Publikum ein wenig ablenken soll. Angeblich ist nämlich Stromausfall und die Bühne der Comique glänzt in echtem Kerzenschein. Vivaldi ist nicht der einzige 'Fremdkörper' aus dem Graben, wenn irgend jemand auf Halb-Italienisch zweimal "Nein" ruft, dann führt dieses "No no" automatisch zu schmutzigen Orchester-Klangflächen, und es fällt der Name Luigi.
Dirigent Marc Minkowski bringt noch mehr Strauss
Aber das reicht Marc Minkowski noch nicht, er will sich möglicherweise als Kandidat fürs Neujahrskonzert ins Spiel bringen. So gibt es jenseits der Fledermaus noch weitere Strauss-Räusche, von der Neuen Pizzicato Polka über den Russischen Marsch bis zu "Unter Donner und Blitz". Bei letzterem Unwetter tanzt übrigens ein adretter, weiblicher Tod über die Bühne.
Pascal Paul-Harang schuf eine französische Text- und Spielfassung, die glänzend funktioniert. Gefängniswärter Frosch (der exzellente Mime Atmen Kelif) etwa äußert sich einmal nicht zur Tagespolitik, sondern denkt witzig und anspielungsreich über seinen Job nach. Diese "Fledermaus" beginnt harmlos, wird dann immer rauer und ungemütlicher und genau so dirigiert auch Minkowski. Erst federnd und ohne zweifelnde Rubati, dann massiger, flächiger, nicht immer ganz präzise. Ihm und seinen Musiciens du Louvre Grenoble sollen massiv die Subventionen gekürzt werden, auch das wurde kurz auf der Bühne thematisiert und mit heftigen Zwischenrufen in Richtung des Ministerpräsidenten beantwortet.
Mehr zum Thema