Freejazz-Festival "Konfrontationen" in Österreich

Lyrische Töne vom Jazz-Berserker Peter Brötzmann

Jazzmusiker Peter Brötzmann spielt ein Saxophone auf einem Festival in Porto im Oktober 2012.
Immer noch ein herausragender Jazzmusiker – Peter Brötzmann war dieses Jahr auch in Nickelsdorf dabei. © picture alliance/dpa/Estela Silva
Hartwig Vens im Gespräch mit Shanli Anwar · 29.07.2019
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Seit 40 Jahren gibt es an der österreichisch-ungarischen Grenze im Örtchen Nickelsdorf das Freejazz-Festival „Konfrontationen“. Neben spießigen Jazzfans war Jazz-Titan Peter Brötzmann einer der Höhepunkte in diesem Jahr.
Eine Hochburg des Freejazz liegt in Österreich – und das schon seit 40 Jahren. Ein kleiner, eher unscheinbare Grenzort, 200 Meter von Ungarn entfernt. Nickelsdorf hat sich mit dem jährlichen Festival "Konfrontationen" weltweit einen Namen bei Musikerinnen, Musikern und Fans von Freejazz und improvisierter Musik und sonstiger Avantgarde gemacht. Am vergangenen Wochenende fand es wieder statt, und zum 40-jährigen Jubiläum ist Kompressor-Kollegen Hartwig Vens hingereist.


Shanli Anwar:
Um einen Eindruck von der Musikrichtung des Festivals zu bekommen, hast du uns das Stück "Freedom & Unity" Joe McPhee rausgesucht.
Hamid Drake spielt am Schlagzeug.
Der Schlagzeuger Hamid Drake spielte schon 1979 in Nickelsdorf im Jazzkeller und war auch dieses Jahr wieder dabei.© picture alliance / MTI / Zoltan Mathe
Hartwig Vens: Das ist ein Nonett also neun Musiker – unter der Leitung von Joe McPhee – einem afroamerikanischen Saxophonisten und Trompeter. Der hat zusammen mit dem Festivalleiter Hans Falb das Festivalthema "Freedom and Unity" ausgewählt, nach dem gleichnamigen Album von Clifford Thornton. Weil sie beide Clifford Thornton verehren und ihn als eine Art Lehrer betrachten. Clifford Thornton war nicht nur musikalisch ein Radikaler, sondern auch politisch. Der hatte selbst enge Kontakte zu den Black Panthers und deswegen auch Scherereien mit dem Gesetz. Und was John McPhee hier am Anfang rezitiert, ist ein Gedicht, das James Baldwin zum Tod von John Coltrane 1967 geschrieben hatte. McPhee war damals bei der Beerdigung dabei und wie so viele andere beschwört er hier die spirituelle Größe von Coltrane, der ja so was wie der Über-Heilige des Jazz ist.

"Leiter Hans Falb blickt nicht in die Enge, sondern in die Weite"

Anwar: Jazzfestivals gibt es auf der Welt ja ohne Ende. Was ist das spezielle an Nickelsdorf, warum bist Du dort hingefahren?
Vens: Dieses Nickelsdorf ist schon ein besonderer Ort. Er ist so eigentümlich. Dass es hier überhaupt einen Jazzclub und ein Festival gibt! Hier ist in jeder Hinsicht der Hund begraben. Und im Kalten Krieg lag Nickelsdorf direkt am Eisernen Vorhang. Dass es das hier gibt, liegt an einem einzigen Mann, nämlich Hans Falb.

Hans Falb blickt nicht in die Enge, sondern in die Weite. Das ist ein Typ für sich – mit dieser Lache. Unheimlich dünn, geradezu ausgezehrt, paar Zähne weniger. Man würde den für einen Clochard halten, und er hätte wahrscheinlich nicht einmal Probleme damit. Er lief die ganze Zeit barfuß herum, weil er einen dicken Fuß hatte, weil ihm eine Bierbank draufgefallen war. Aber das zu kurieren, dafür war natürlich überhaupt keine Zeit. So ein Typ ist das. Wir hören hier mal den Schlagzeuger Hamid Drake, der zum ersten Mal 1979 in der Jazzgalerie im Keller gespielt hat, also noch bevor es das Festival gab.
Die Band Anguish mit Mike Mare (l), Will Brooks, Andreas Werliin, Hans Joachim Irmler und Mats Gustafsson auf dem Festival "Konfrontationen" in Österreich.
Die Band Anguish mit Mike Mare (l), Will Brooks, Andreas Werliin, Hans Joachim Irmler und Mats Gustafsson auf dem Festival "Konfrontationen" in Österreich.© Hartwig Vens
"Er ist eine einzigartige Person. Er ist eine Person, der nach seinen eigenen Regeln spielt. Er ist sehr fürsorglich gegenüber anderen und wenig gegenüber sich selbst."
Vens: Ich selbst kann das nicht beurteilen, aber alle Musiker rühmen und lieben ihn. Der ist ein Dropout aus den 70ern, der keinen Bock hatte auf Schule und arbeiten und durch Europa und die Welt gereist ist, bis er dann doch wieder mal nach Hause kam und seine Mutter hat ihn bedrängt, er soll den Gasthof übernehmen. Und er hat ja gesagt, aber nur, wenn er hier einen Jazzclub machen kann. Und so hat er das gemacht, alles aus dem Nichts, und dann kamen die weltbekannten afro-amerikanischen Jazz-Radikalen nach Nickelsdorf. Der Erfolg war aber erstmal überschaubar. Davon hat sich Hans Falb als Querkopf aber nicht abschrecken lassen, und später kamen sie dann alle von Max Roach, bis Peter Brötzmann.


Anwar: Wer hat denn dieses Jahr gespielt? Wahrscheinlich nicht nur die alte Garde?
Irene Schweizer sitzt an ihrem Flügel und schaut freundlich in die Kamera.
Die Pianistin und Schlagzeugerin Irene Schweizer ist mit Schlagzeuger Hamid Drake beim 40-jährigen Jubiläum aufgetreten.© picture alliance / KEYSTONE / Christian Beutler
Vens: Nein, natürlich nicht nur, aber einige, die schon in den 80ern hier gespielt haben. Wie eben Hamid Drake oder auch seine Duett-Partnerin am Klavier – die große europäische Jazzfrau Irène Schweizer aus der Schweiz. Die hat erzählt, was alle geahnt haben, nämlich dass sie nicht übt und die beiden nicht geprobt hatten.
Anwar: Aber Du sagst, es geht in Nickelsdorf nicht nur um Jazz, sondern das ist offen für alle mögliche freigeistige Musik.
(Einspieler: Joke Lanz, Ute Wassermann)
Vens: Zum Beispiel hören wir hier den Turnable-Spieler Joke Lanz aus Berlin zusammen mit der Vokalistin Ute Wassermann. Das sind also Geräusche aus dem Mund und vom Plattenspieler. Mit solcher Vokal-Improvisation kannst du mich normalerweise schreiend vom Hof jagen, aber hier mit dieser Geräuschmusik von Joke Lanz passt es perfekt. Man hört ja zum großen Teil gar nicht, dass sie das mit der Stimme macht.

"Der Freejazz-Spießer ist noch spießiger"

Anwar: Insgesamt ist das 40. Jubiläum des "Konfrontationen"-Festivals für Dich hörbar gelungen?
Vens: Halt, da muss ich doch einen ordentlichen Schluck Wasser in den Wein kippen. Was einem nämlich den Genuss verhageln kann, und mir auch bei einigen Konzerten verhagelt hat, ist ein Teile des Publikums. Man kennt ja den Typus des Jazz-Spießers, aber der Freejazz-Spießer ist noch spießiger. Da hängen schon am Mittag an mehr als 60 Prozent der Sitze Decken und Handtücher, um die zu reservieren. Und wenn man sich draufsetzt, rasten die aus. Ich hatte mit einem zu tun, der meinte, er hätte eine blaue Decke auf meinen Stuhl gehängt, aber da war keine blaue Decke. Und der wurde dann ruckzuck ausfällig. Da gab es Wortgefechte. Und von solchen Momenten des Wahnsinns haben mir auch viele andere erzählt.


Und das steht dann in schreiendem Widerspruch zum freien Geist, den die Musik haben soll und den die Macher auch haben. Und auch von den vielen Helfern, von den viele aus Nickelsdorf kommen, die haben den Hans Falb und seinen Freejazz am Anfang natürlich erst mal gar nicht verstanden. Aber jetzt ist das der Event einer Dorfgemeinschaft oder zumindest von einem Teil der Dorfgemeinschaft.
Platzreservierung von Jazzfreunden in Nickelsdorf. Wie auf Mallorca sind Handtücher und Decken auf den Sitzen gelegt worden.
Platzreservierung von Jazzfreunden in Nickelsdorf. Wie auf Mallorca sind Handtücher und Decken auf die Sitze gelegt worden. © Hartwig Vens
Anwar: Und musikalisch?
Vens: Von der Musik her würde ich sagen – es ist auch in der Free Music einiges in Konventionen erstarrt, das wird ja auch schon lange moniert. Aber es gab hier schon große Momente, wenn auch nicht so viele und so große wie ich gehofft habe. Einer jedenfalls war der Solo-Auftritt von Peter Brötzmann, dem Freejazz-Titanen aus Wuppertal, der auch schon bei der ersten "Konfrontation" dabei war. Der gilt ja immer noch als Berserker, aber bei diesem Konzert gab es schöne leise lyrische Passagen. Das war ein Höhepunkt in Nickelsdorf dieses Jahr. Und man hofft, die Jazz-Spießer sterben langsam aus, und dass Nickelsdorf und Hans Falb und die "Konfrontationen" bleiben.
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