Fred Pearce: "Die neuen Wilden"

Sind eingewanderte Tierarten die Retter der Natur?

Ein Siebenschläfer sitzt auf einem alten Fensterrahmen aus Holz.
Der Siebenschläfer breitete sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien aus. Heute steht er unter Naturschutz. © imago/Nature Picture Library
Von Johannes Kaiser · 06.05.2016
Der britische Umweltjournalist Fred Pearce hat eine gute Botschaft für alle Naturpessimisten: Die Artenvielfalt nimmt zu! In "Die neuen Wilden" belegt er kenntnisreich und schlüssig, warum Tier- und Pflanzenarten von anderen Kontinenten unsere heimische Natur bereichern. Eine kluge Kampfansage an alle, die Angst vor den "Invasoren" schüren.
Der entscheidende Satz findet sich gleich in der Einleitung: "Das Normale ist die Veränderung." Die Evolution, so der englische Umweltjournalist Fred Pearce, kennt keinen Stillstand. Die Natur befände sich in stetem Wandel und jeder Versuch, zu alten Zuständen zurückzukehren, sei vergeblich. Die ständigen Eingriffe des Menschen und seine Re-Naturierungsmaßnahmen dienen allein der menschlichen Vorstellung von einer schönen Natur. So Pearce Kritik.
Ab wann also gilt eine Art als heimisch? Viele der vertrauten Pflanzen und Tiere waren noch vor wenigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten Neuankömmlinge. Gerade Großbritanniens Botaniker und Biologen brachten hunderte fremder Arten aus den Kolonien in Zoos und Botanischen Gärten, von dort aus vermehrten sie sich rasant. Auch außerhalb. Der 1902 aus einem Privatzoo ausgebüchste Siebenschläfer ist so ein Fall. Bis zu seinem Ausbruch war er in Großbritannien unbekannt, heute steht er unter Naturschutz.

Bienen brauchen das bekämpfte "Drüsige Springkraut"

In zwölf Kapiteln behandelt der Autor sein Thema sachlich kompetent. Er argumentiert anschaulich, verständlich und nachvollziehbar, prangert den offiziellen Naturschutz immer wieder als realitätsblind an. Dazu hat er zahleiche Interviews mit Forscher und Naturschützer geführt, Studien durchforstet und vor Ort recherchiert. In seinen Fließtext blendet er immer wieder kleine Reportagen ein.
Heute, so stellt der Engländer fest, ist es vor allem die Globalisierung, die fremde Arten weltweit verteilt. Mit dem Ballastwasser der Schiffe werden hunderte kleiner Wasserorganismen in den Häfen freigesetzt; zahlreiche Pflanzensamen und Insekten reisen als blinde Passagiere in Containern rund um Erde. Allerdings überleben nur die wenigsten die eingeschleppten Arten in der fremden Umgebung und noch seltener werden sie zu einer Bedrohung der einheimischer Tier- und Pflanzenwelt. So gilt das "Drüsige Springkraut" nicht nur Großbritannien als invasiver Übertäter, der vielerorts bekämpft wird. Dabei sind Bienen, laut britischen Bienenzüchtern, angesichts großflächiger Monokulturen mittlerweile auf dessen Nektar und Pollen angewiesen.

Fremde Arten bilden Gemeinschaften mit einheimischen Arten

Fred Pearce zeigt, dass sich die Invasoren oftmals perfekt in vorhandene Ökosysteme einpassen, Nischen ausfüllen und mit einheimischen Arten neue Gemeinschaften bilden. Angesichts ausgeräumter Agrarlandschaften finden zudem immer mehr Pflanzen und Tiere Zuflucht in den Städten, die dadurch zur neuen Wildnis werden. Pearce Fazit: Die Artenvielfalt nimmt also zu statt ab! Jeder, der das nicht sehen will, hängt einem rückwärtsgewandten Naturschutz an. Sein inspirierendes Buch ist eine gewagte kluge Kampfansage und bringt im besten Fall Naturschützer zum Nachdenken und nimmt Naturfreunden die Angst vor Neuankömmlingen.

Fred Pearce: "Die neuen Wilden. Wie es fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten"
Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan
oekom Verlag, München 2016
330 Seiten, 22,95 Euro

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