Fred Heller: "Das Leben beginnt noch einmal"

Von der Flucht und dem Ankommen

Vor und nach dem Krieg - zunächst auf der Flucht, dann auf der Suche nach der Heimat - Flüchtlinge in der Kriegszeit
Vor und nach dem Krieg - zunächst auf der Flucht, dann auf der Suche nach der Heimat - Flüchtlinge in der Kriegszeit © picture alliance / dpa / UPI
Von Günther Wessel  · 24.06.2016
Kaum 80 Jahre ist es her, dass Millionen Menschen innerhalb Europas auf der Flucht waren oder den Kontinent ganz verließen. Der Wiener Milena Verlag hat nun in einem Band Schriften des 1949 verstorbenen österreichischen Autors Fred Heller veröffentlicht. Darin: Betrachtungen, Porträts und Erzählungen über Flucht und Vertreibung.
Heute streiten wir über Menschen, die nach Europa flüchten. Dabei vergessen wir gern, dass vor 80 Jahren Menschen aus Europa flüchtet mussten, darunter auch Fred Heller. Der österreichische Autor schrieb darüber kurze Betrachtungen, Porträts und Erzählungen, die erstmals 1945 in Buenos Aires veröffentlicht wurden. Jetzt hat der Milena Verlag die sehr eindringlichen "Schicksale der Emigration" wieder aufgelegt.
Fred Heller war, als er 1938 ins uruguayische Montevideo emigrierte, kein Unbekannter. 1889 in Niederösterreich geboren, zog der Jude nach Wien, um dort eigentlich Medizin und Philosophie zu studieren. Schnell aber reüssierte er als Autor für linksliberale Zeitungen, veröffentlichte eine paar Bücher mit Feuilletons und schrieb bald auch Liedtexte, Komödien und Libretti für Operetten.

Unberechenbarkeit beginnt mit erzwungenem Aufbruch

Nach dem "Anschluss" Österreichs an Nazi-Deutschland musste Heller flüchten. In Montevideo arbeitete er für Zeitungen wie das "Argentinische Tageblatt" und den deutschsprachigen Hörfunk in Uruguay, seine Lebenssituation aber blieb unsicher, auch finanziell. Am 12. April 1949 starb er kurz vor seinem 60. Geburtstag an Herzversagen.
Hatte Fred Heller in Wien vor allem Komödien verfasst, wurde sein Werk in der Fremde ernsthafter. Meisterhaft fängt er die unterschiedlichen Facetten der Emigrantenschicksale ein. In kurzen Texten, die von menschlicher Hilfsbereitschaft und praktischer Solidarität handeln, von der Sehnsucht nach Freunden, Verwandten und Heimat, vom Aufbau neuer fragiler Existenzen. Es sind Geschichten, die oft unglaubliche Lebensenergie zeigen, aber auch Tragödien von zerrissenen Familienbanden, zu harter, tödlicher Arbeit und zu spät erteilten Visa.
Manche der Geschichten sind absurd, wie die des jüdischen Emigranten, der sich mit viel Schminke als chinesischer Assistent eines Zauberkünstlers verdingte, um so aus Europa zu flüchten. Viele sind auch anrührend: Die eines Schienenverlegers bei der Eisenbahn, der nach einem Zugunglück die Verletzten fachmännisch verarztet. Es stellt sich heraus, dass er früher Assistenzarzt in einem Krankenhaus war und als Jude emigrieren musste.

Geschichten über die Unsicherheiten unterwegs

Oder die Geschichte eines 14jährigen Jungen, der in Montevideo mit großem Erfolg die Schule besucht. Er war schon jahrelang auf der Flucht durch Europa auf keiner Schule mehr gewesen, hatte sich aber auf der Schiffspassage von Europa nach Südamerika immer in den Maschinenraum geschlichen, und war dort einem Schiffsoffizier aufgefallen, der ihm die Grundlagen der Schiffsmotoren und des -antriebs vermittelte – und der Mutter schließlich sagte, sie solle ihn auf eine technische Schule schicken.
In der letzten Geschichte beschreibt der emigrierte Autor seine erste Reise in ein anderes lateinamerikanisches Land: von Montevideo nach Buenos Aires. Eindrücklich erzählt er von seiner Angst um seine Ausweispapiere, als er sie auf der Schiffspassage abgeben muss. Würde er sie zurückbekommen? "Esta bien!" – "Alles okay", sagt man ihm lapidar bei der Einreise und reichte ihm den Ausweis. Die Erleichterung ist spürbar. Gut, dass zumindest dieser Autor sicher angekommen ist. Er hat uns ein eindringliches Buch hinterlassen.

Fred Heller, Das Leben beginnt noch einmal. Schicksale der Emigration.
Mit einem Vorwort von Fred Heller und einem Nachwort von Reinhard Andress
Milena Verlag, Wien 2016
211 Seiten, 22 Euro

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