Frauenrechte in Westdeutschland

Der zähe Kampf um Gleichberechtigung

Undatierte Aufnahme aus den 1950er oder 1960er Jahren: Eine junge Hausfrau kniet vor einem Ofen und kontrolliert einen Braten.
Laut Grundgesetz herrschte in der BRD Gleichberechtigung. Andere Gesetze sahen die Frau noch viele Jahre am Herd. © dpa picture alliance/ Hans Peter Stegenwalner
Von Annette Wilmes · 27.06.2018
Am 1. Juli 1958 trat das Gleichberechtigungsgesetz in der Bundesrepublik in Kraft. Doch gleichberechtigt waren Mann und Frauen da auch nicht: In Erziehungsfragen hatte bei Uneinigkeit der Eltern der Vater die Entscheidungsgewalt.
Elisabeth Selbert: "Meine verehrten Hörerinnen und Hörer, der gestrige Tag, an dem die Gleichberechtigung der Frau in die Verfassung aufgenommen worden ist, dieser Tag war ein geschichtlicher Tag."
Der Juristin Elisabeth Selbert ist es zu verdanken, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau 1949 ins Grundgesetz geschrieben wurde. Sie war quer durch die Bundesrepublik gezogen, um Unterschriften zu sammeln. Waschkörbeweise kamen Protestschreiben von Frauen in Bonn an. Mithilfe der unglaublichen außerparlamentarischen Unterstützung gewann die engagierte Sozialdemokratin den Kampf im Parlamentarischen Rat.
Nun stand der Gleichberechtigungsartikel zwar im Grundgesetz, aber nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch hatte in Ehe und Familie ausschließlich der Mann zu bestimmen. Die Frau durfte nicht einmal ein eigenes Konto führen, auch nicht, wenn sie selbst Geld verdiente. Der Mann konnte – ohne ihr Wissen – auch bei ihrem Arbeitgeber kündigen, um ihre Berufstätigkeit zu beenden. Selbst in Erziehungsfragen hatte der Mann die alleinige Entscheidungsgewalt.
Lore Maria Peschel-Gutzeit: "Man muss sich vorstellen, dass viele Gesetze noch aus der Kaiserzeit stammten. Also aus der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts."
Lore Maria Peschel-Gutzeit, ehemalige Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, später Justizsenatorin in Hamburg und in Berlin, heute Rechtsanwältin in Berlin.
"Da war von Gleichberechtigung weit und breit keine Rede. Das galt insbesondere für das Familienrecht. Denn das Familienrecht hat ja immer geordnet das Zusammenleben der Menschen untereinander, mit den Kindern, in der Gesellschaft und so weiter."

Mehr Löcher als Gesetz

Viele Vorschriften im Familienrecht stimmten mit der neuen Verfassung nicht überein. Deshalb hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine Übergangsregelung ins Grundgesetz geschrieben. In der ersten Legislaturperiode sollte alles, was gegen den Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 verstößt, geändert werden. Die erste Legislaturperiode von 1949 bis 1953 verstrich, ohne dass ein Änderungsgesetz zustande kam. So wurden viele Vorschriften aus dem Familienrecht unwirksam.
Lore Maria Peschel-Gutzeit: "Und ab 1.4.1953 hatten wir einen Schweizer Käse, mehr Löcher als Gesetz. Und was geschieht in solchen Fällen? Es tritt Richterrecht an die Stelle. Das heißt, jeder Richter, jede Richterin mussten unter Anwendung des Gleichberechtigungsgrundsatzes das entscheiden, was sie meinten, was am besten diesem Grundrecht entsprach. Man kann sich gut vorstellen, dass ein großer Flickenteppich entstand, denn jeder Richter, jede Richterin hat ja eine andere Vorstellung von Gleichberechtigung."
Nach Jahren wurde ein Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht.
Karl Weber, CDU: "Die Ehe besteht zwar aus Mann und Frau, ist aber nach ihrem Vollzug etwas Neues, eine Gemeinschaft. Wir kennen ja in Gemeinschaften das sogenannte Zweierproblem, wo man ja doch zu einer Entscheidung nicht kommen kann, wenn zwei gleichberechtigt gegenüberstehen."
Der CDU-Abgeordnete Karl Weber aus Koblenz wehrte sich in der Bundestagsdebatte am 3. Mai 1957, kurz vor Ende der zweiten Legislaturperiode, gegen die Gleichberechtigung. Nun aber schaffte es der Bundestag, ein Gesetz zu verabschieden.

"Es war ein reines Machtspiel"

Lore Maria Peschel-Gutzeit: "Ich habe mir die Protokolle aus den Sitzungen angesehen und das ist unglaublich, welche Argumente da gebracht werden: Wenn man den Frauen zu viel Macht gibt, dann gehen alle Ehen kaputt, wenn man die Frauen mit Rechten ausstattet, dann werden sie berufstätig und dann haben sie ihr eigenes Geld. Also es ging wirklich darum, die Macht zu erhalten. Es war ein reines Machtspiel."
Karl Weber: "Weshalb muss nun der Mann und soll nun der Mann diese Entscheidung treffen? Das entnehmen wir aus den ganzen Entwicklungen seit Jahrhunderten."
Herta Ilk: "Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dieser Diskussion gehen wir offensichtlich an einer Tatsache völlig vorbei: dass nämlich die Ordnung, die Jahrhunderte lang bestanden hat, im letzten Jahrhundert langsam, aber sicher eine Veränderung erfahren hat."
Die FDP-Abgeordnete Herta Ilk sah nicht ein, warum der Mann das letzte Wort haben sollte. Denn auch in dem Gesetz, das am 1. Juli 1958 in Kraft trat, gab es immer noch keine Gleichberechtigung: In Erziehungsfragen gab es den sogenannten Stichentscheid - bei Uneinigkeit der Eltern hatte der Vater die Entscheidungsgewalt.
Ilk: "Wir werden nicht von vornherein dem Ehemann bzw. dem Vater das unbedingte Recht einräumen, auf den Tisch zu schlagen und in jedem Fall zu sagen: Jetzt will ich nicht!"
Trotzdem vertraten Väter weiterhin ihre minderjährigen Kinder, während die Mütter per Gesetz zur ordentlichen Haushaltsführung verpflichtet wurden. Aber nicht lange. Denn der Deutsche Juristinnenbund brachte eine Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht auf den Weg. Lore Maria Peschel-Gutzeit war damals dabei.
"Das Bundesverfassungsgericht hat schon ein Jahr später, im Juli '59 entschieden, dass beide Einschränkungen der elterlichen Gewalt, wie sie ja damals noch hieß, nichtig, weil verfassungswidrig sind, so dass seither ein Stichentscheid des Vaters nicht mehr existiert und beide Eltern gleichmäßig berechtigt sind, die Kinder zu vertreten."
Aber im Gesetz war dies noch nicht festgeschrieben.

Teil 2: 70er und 80er Jahre

Die Hausfrauenehe war in den langen Nachkriegsjahrzehnten das Leitbild der Bundesrepublik: Der Mann verdiente das Geld für den Unterhalt der Familie allein, die Frau sorgte für den Haushalt und betreute die Kinder. Selbst wenn sie einen Beruf erlernt hatte, war die Frau meist ohne eigenes Einkommen, weil sie nicht arbeiten ging.
Ende der Sechziger- und Anfang der Siebziger-Jahre entstand – als Teil der Studentenproteste – die neue Frauenbewegung. Das selbstbewusste Auftreten der jungen Frauen gegen patriarchalische Strukturen veränderte die Rolle der Frauen nicht nur in den studentischen Milieus – es half auch, die allgemeine Situation der Frauen ganz allmählich zu verbessern.
Frauen demonstrieren am 8.3.2018 in Berlin für mehr Frauenrechte
Frauen demonstrieren am 8.3.2018 in Berlin für mehr Frauenrechte© imago stock&people
In Bonn bemühte sich die sozialliberale Koalition um gesellschaftliche Reformen. Nach fast zehn Jahren Vorbereitung wurde 1976 die Eherechtsreform verabschiedet, 1977 trat sie in Kraft. Das Zerrüttungsprinzip bei Ehescheidungen löste das Verschuldensprinzip ab. Nach einem Trennungsjahr konnte die Ehe geschieden werden, ohne dass schmutzige Wäsche gewaschen wurde. Außerdem wurde das Unterhaltsrecht angepasst.

Eltern gleichberechtigt gegenüber den Kindern

Die letzte große Reform der Bonner Republik war die Reform der elterlichen Sorge von 1980. Bis dahin sprach man noch von elterlicher Gewalt.
Lore Maria Peschel-Gutzeit: "Seither sind auch die Eltern beide gänzlich gleichberechtigt den Kindern gegenüber. Es hat da keiner das letzte Wort, auch nicht bei Entscheidungen, die wichtig für das Kind sind. Das alles war vorher ja noch anders und insofern war das der Stein, der noch fehlte in der Durchsetzung der Gleichberechtigung in der Ehe und in der Elternschaft, also in der Familie."
Allmählich verschob sich in der westdeutschen Gesellschaft auch das Leitbild von der Hausfrau hin zur berufstätigen Mutter. Und die Frauenbewegung veränderte die Alltagssprache: ob Ministerin oder Technikerin – die dominierende Männlichkeitsform wurde zunehmend in Frage gestellt.
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