Frauenforscherin Gail Dines

Feldzug gegen Pornografie

Finger auf Computertastatur mit einer Porno-Taste
Die "Pornifizierung" der Gesellschaft habe böse Folgen für die Praxis, so Autorin Gail Dines. © imago / Christian Ohde
Von Pieke Biermann · 20.12.2014
"Pornland. Wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt" - so Titel und Untersuchungsfeld der Soziologin und Antiporno-Aktivistin Gail Dines. Fraglich ist, warum dieses vier Jahre alte Buch mit veralteten Thesen und Zahlen jetzt auf Deutsch erscheinen muss.
Was soll man von einem Buch halten, bei dem man gleich über den ersten Satz stolpert?
"Howard Stern bringt regelmäßig Pornografie in seiner Radiosendung und wurde dadurch 2006 zum zweithöchst bezahlten Prominenten der Welt."
Wer ist der Mann? Um was für eine Radiosendung geht es? Was für Pornografie bringt er da so akustisch – stöhnen da Leute? Machen die dirty talk? Wie ermittelt man die Bezahlungshöhe von Prominenten? Wer sind die Vergleichsgrößen? Madonna? Der Dalai Lama? Und schließlich: Warum sollte jemanden hier 2014 interessieren, was jemand sonstwo 2006 verdient hat?
Leider keine Aufklärung, die Beschwerdeliste geht weiter: Ein ehemaliger Pornostar kriegt Platz in "Magazinen für Prominente" – gemeint sind vermutlich gala-bunte Klatschmagazine; eine romantische Komödie über ein Paar, das sich mit einem Pornofilm von den Schulden befreien will, erhält doch tatsächlich Kritikerlob; in irgendeiner Uni zeigen Studenten einen Porno, in einer anderen wird eine "Pornografin" zu einem Vortrag über menschliche Fortpflanzung eingeladen.
"Ich könnte noch weitermachen, doch diese Beispiele zeigen, wie Pornografie in unseren Alltag gesickert ist."
Aha? Gail Dines, die das 2010 publiziert hat, ist keine unterbezahlte, also zeitknappe Journalistin. Sie ist Professorin für Soziologie und Frauenforschung, lehrt seit knapp 30 Jahren an einem Bostoner College, hat 1994 ein Medien-Lehrbuch mitverfasst und 1998 einen Reader über Pornografie mit dem pseudo-marxistischen Untertitel: "die Produktion und Konsumption von Ungleichheit und männlicher Vorherrschaft". Pornografie ist also ihr Ding, nicht nur akademisch: Sie ist medial präsent, international vernetzt als Antiporno-Aktivistin, Cheforganisatorin von Stop Porn Culture. Ihre Generalthese:
Cover von Gail Dines: "Pornland. Wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt"
Cover von Gail Dines: "Pornland. Wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt"© Verlag André Thiele
"Wir befinden uns mitten in einem massiven sozialen Experiment, nur dass das Labor hierbei unsere Welt ist und die Effekte sich auf Menschen auswirken, die einer Teilnahme nie zugestimmt haben."
Kein Grund für Empörung
Wer jetzt an all die Umweltzerstörung ohne seine Zustimmung denkt, liegt falsch. Das massive – gemeint ist wohl massenhafte – Experiment heißt Pornografie, und
"… seine Architekten sind […] eine Gruppe von (größtenteils) Männern, die sich zum Ziel gesetzt haben, ihre Profite zu maximieren […]. Kurz gesagt – und das wird dieses Buch zeigen – sie sind Geschäftsmänner von Anfang bis Ende…"
Wow! Ein Geschäft ist ein Geschäft. Menschen verdienen Geld damit, weil Menschen Geld dafür ausgeben. Keine bahnbrechende neue Erkenntnis und eigentlich, gerade in den USA, auch kein Grund für Empörung. Im Fall sexueller Aktivitäten allerdings sehr wohl. Jedenfalls für eine Feministin,
"… die für Sex (im tatsächlichen Sinn des Wortes) ist, für diese wundervolle, spaßige und großartig kreative Kraft, die den Körper in Lust und Verzückung badet."
Sie ist aber strikt gegen pornografischen Sex und setzt anscheinend auf eine Art "gesundes Frauenempfinden". Nun debattieren Denker allerlei Geschlechts seit anno knips darüber, was Pornografie ist, ganz zu schweigen von Sex, Lust und dergleichen. Dines ficht das nicht an, sie definiert Pornografie kurzerhand als:
"… jedes Produkt, das mit dem primären Zweck produziert wird, sexuelle Erregung und Selbstbefriedigung zu erleichtern",
um dann aber plötzlich einzuschränken:
"Ich werde mich hauptsächlich auf kommerziell produzierte Internetpornos konzentrieren, da diese Mainstream geworden und günstig zu beziehen sind."
Und einzuräumen:
"… dass ich mich größtenteils auf Gonzo-Pornos beziehe – […] Darin wird zumeist körperlich schmerzhafter Hardcore-Sex dargestellt, bei dem Frauen erniedrigt werden und als minderwertig erscheinen."
Männer Produzenten, Frauen Opfer?
Es geht also lediglich um bestimmte Spielarten von Heterosex. Nach Dines haben schwule Pornos nämlich "spezifische Codes und Konventionen", vor allem haben sie aber natürlich ein Manko: Sie taugen nicht zur Bestätigung für Dines Behauptung über den Kern der Pornoindustrie: Männer sind Produzenten und Konsumenten – Frauen passiv, also Opfer. Und die "Pornifizierung der Gesellschaft" hat böse Folgen für die Praxis. Das erinnert an die fatale Parole aus den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts: "Pornografie ist die Theorie; Vergewaltigung die Praxis."
Das unselige alte Stück also – so als gäbe es nicht, auch in den USA übrigens, seit den 80er-Jahren eine sex-positive Bewegung von Frauen, die selbst Pornos in allen Genres und Sexspielzeug herstellen und genießen. Solche Stimmen kommen bei Dines nicht vor. Stattdessen schwelgt sie seitenlang in expliziten Beschreibungen von Gonzo-Szenen und dirty words sowie in Hypothesen auf – freundlich gesagt: – wackliger wissenschaftlicher Basis. Und selbstverständlich wirft sie ständig Dinge in einen Topf, die nicht zusammengehören – Kindesmissbrauch ist nun mal etwas anderes als Sex zwischen Erwachsenen, zum Beispiel.
Kurz: Man fragt sich vom ersten bis zum letzten Satz, warum so ein vier Jahre altes Buch mit noch älterem Zahlenmaterial unbedingt jetzt auf Deutsch erscheinen muss. Hat der Verlag da womöglich nur auf leichte Geschäfte in Zeiten der Re-Prüdisierung spekuliert? Denn wenn er die Stop-Porn-Culture-Kampagne mit der Investition vollinhaltlich unterstützen wollte, hätte er doch zumindest für etwas weniger ungelenkes und richtigeres Deutsch sorgen müssen.

Gail Dines: Pornland. Wie die Pornoindustrie uns unserer Sexualität beraubt
Deutsch von Aimée M. Ziegler
Verlag André Thiele, Mainz 2014
294 Seiten, 19,90 Euro

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