Frauen spielen Shakespeare

Von Dina Netz · 26.09.2009
Am Schauspielhaus Köln inszeniert Regisseurin Karin Beier das Stück "König Lear" von Shakespeare. In ihrer Aufführung sind ausschließlich Frauen erlaubt: Sechs Schauspielerinnen teilen sich mehrere Rollen.
Anja Laïs trägt einen weiten weißen Reifrock und eine alberne enge Halskrause. So ist sie Goneril, Lears Tochter. Blitzschnell streift sie dieses Ornat ab, zieht Pullunder über und dicke Brille auf - und ist Edgar, der Sohn Gloucesters. Karin Beier bringt "König Lear" in Köln nur mit Frauen auf die Bühne und mit sechs Schauspielerinnen überhaupt, so dass einige mehrere Rollen spielen (müssen). Die Rolle des Narren verteilt sie sogar auf alle drei Königstöchter.

Diese Besetzung ist nun keine Folge von Sparmaßnahmen, sondern die Schauspielerinnen stellen sie sogar bewusst dar: Man zieht sich auf der Bühne um; gegen Ende ist nicht mal das mehr nötig, da ohnehin alle fast nackt dastehen. Wiederum Anja Laïs, die gerade noch Goneril war, dreht sich um und sagt "Beide (Schwestern) sind tot. Ich bin jetzt Edgar." Das ist komisch, aber das Lachen erstickt.

Dass alle Darstellerinnen Frauen sind, scheint für Karin Beiers Inszenierung gar nicht so entscheidend. Aber dass die Rollen wechseln, sehr. So kann sie zeigen, dass sich die Kategorien Gut und Böse verwischen, niemand nur das eine oder andere ist. Denn das andere Gesicht der herzensguten Cordelia (Kathrin Wehlisch) ist Edmund, der seinen Bruder beim Vater Gloucester anschwärzt. Nur eins haben alle Figuren gemein: Sie sind grotesk bis zur Lächerlichkeit.

Barbara Nüsse zum Beispiel, die den Lear gibt: Sie tritt auf als eiskalter Banker-Verschnitt, mit Hemd, Hose, Schlips und zurückgegeltem Haar. Sie springt mit ihren Töchtern so kaltschnäuzig um, dass man sie hier nicht als die berechnenden Hyänen, die den Vater um sein Reich betrügen, sondern als Rächerinnen ihrer selbst erlebt. Doch als Lear begreift, was er angerichtet hat, indem er seine jüngste und aufrichtige Tochter Cordelia verstieß, weil die verlogene Liebesschwüre verweigerte, verfällt auch Nüsses Lear dem Wahnsinn. Er wird zum hilflosen alten Mann, man wähnt sich in der Gerontologie. Erst als Cordelia tot vor ihm liegt, verleiht Barbara Nüsse ihm tragische Züge. Dieser Lear hat mit ungeheurer Anstrengung verdrängt, die Wahrheit nicht sehen wollen, und das macht ihn zur grotesken Figur - wie auch alle anderen in Karin Beiers Sicht auf Shakespeare, denn sie halten krampfhaft an ihrer eigenen, notwendig beschränkten Weltsicht fest.

Angelika Richter als Lear-Tochter Regan spendet sich selbst mit einem Schlauch Regen, in dem sie tänzelt und Liedchen trällert. Kathrin Wehlisch imitiert einen Affen, Anja Laïs wälzt sich im Schlamm und fragt: "Erkennt man mich noch?" Dieser "Lear" ist kein großes Drama, sondern eine große Freifläche für die Schauspielerinnen, die zahllose Nuancen des menschlichen Wahnsinns zeigen können.

Bühnenbildner Johannes Schütz hat diese dem Tod entgegenstrebende Welt in einen großen schwarzen Kasten gesetzt, der fast leer ist, außer ein paar Musikinstrumenten und einer niedrigen Mauer aus Lehmziegeln. Diese symbolisiert das Reich, das immer weiter erodiert beziehungsweise zusammenfällt, bis am Schluss die drei Töchter minutenlang wüten und Ziegel zertrümmern. Danach folgt langes, leeres Schweigen. Mit dieser hochphilosophischen und hochselbstreflexiven Inszenierung hat Karin Beier ihrer Regiehandschrift eine weitere, leuchtende Facette hinzugefügt.

Service:

Das Stück "König Lear" von Shakespeare, Inszeniert von Karin Beier, wird bis 27. Oktober 2009 im Schauspielhaus Köln gezeigt.